Stadtteile International in Düsseldorf Von japanischen Comics und Nudelsuppen

Düsseldorf · Als Neu-Zugezogener begibt sich unser Autor auf einen Streifzug durch das japanische Viertel.

 Die Buchhandlung Takagi gibt es seit 1974. Damit ist sie die älteste japanische Buchhandlung außerhalb Japans.

Die Buchhandlung Takagi gibt es seit 1974. Damit ist sie die älteste japanische Buchhandlung außerhalb Japans.

Foto: Julian Budjan

Als ich den kleinen Buchladen in „Little Tokyo“ betrete, fühle ich mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt. Von überall aus den Regalen grüßen von bunten Einbänden oder als Actionfiguren die Helden meines zwölfjährigen Ichs. Da ist der Nudelsuppen liebende Ninja und Naseweis Naruto aus Konohagakure, der das Ziel hat, einmal ein von allen akzeptiertes Dorfoberhaupt zu sein, oder der immer grinsende, Strohhut tragende Pirat und Gummimensch Monkey D. Ruffy auf seiner endlosen Suche nach dem Schatz One Piece. Dann ist da der gelbhaarige und muskelbepackte Super-Saiyajin und Erdenretter Son Goku vom Planeten Vegeta, oder der durch ein Gift in den Körper eines Kindes zurückversetzte, aber nicht minder brillante Meisterdetektiv Conan Edogawa, der noch jeden Mörder überführt hat.

Sie alle und viele mehr bestaunte ich zusammen mit meinen Freunden regelmäßig nach der Schule im Fernsehen, wenn sie auf einem Privatsender, der heute nur noch grottenschlechte Reality-TV-Formate zeigt, gegen das Böse kämpften und mich moralisch besser bildeten als jeder Disney-Film. Good old times. Schon bald erwarb ich dann auch die Bücher, japanische Comics würden einige sagen, die korrekte Bezeichnung: Mangas, die mit ihren feingliedrigen und detailverliebten Zeichnungen auch in den deutschen Versionen von hinten nach vorne und von rechts nach links gelesen werden.

 Es gibt nicht nur Bücher und Mangas an der Immermannstraße, sondern auch allerlei Souvenirs.

Es gibt nicht nur Bücher und Mangas an der Immermannstraße, sondern auch allerlei Souvenirs.

Foto: Julian Budjan

Von ihnen wimmelt es im Takagi, der bekannten japanischen Buchhandlung an der Immermannstraße, im japanischen Viertel von Düsseldorf. Das Takagi gibt es bereits seit 1974, was es zum ältesten japanischen Buchladen außerhalb Japans macht. Das erzählt mir die Besitzerin Yurie Takagi. Ihre Eltern waren Anfang der 70er Jahre von Tokio nach Hamburg gekommen. Der Vater der Familie Takagi bot Kurierdienste für japanische Geschäftsleute an, besorgte ihnen Zeitungen und Magazine aus der Heimat. Als immer mehr seiner Kunden auch nach Büchern fragten und sich in Düsseldorf eine wachsende Japan-Community bildete, kam ihm die Idee mit dem Buchladen. 2004 haben sich die Eltern zur Ruhe gesetzt, nur manchmal, wenn es sehr viel zu tun gebe, helfe ihre Mutter noch aus, sagt Yurie. Außerdem sind da noch die drei Festangestellten und der deutsche Mitbesitzer, die wegen der Jahresinventur gerade alle Hände voll zu tun haben.

Die Buchhandlung ist schlauchförmig und der Raum längsseitig durch Bücherregale getrennt, sodass die Bücher in zwei langen Gängen angeordnet sind. Im linken finden sich die deutschen Manga-Versionen, im rechten die japanischen. Die Vielzahl der Kunden seien Deutsche, erzählt Yuri Takagi, sie würden oftmals sogar die japanischen Versionen kaufen. Yuri nimmt einen regelrechten Japan-Hype wahr: „Immer mehr lernen Japanisch, interessieren sich für die japanische Kultur, kochen Japanisch oder wollen einmal nach Japan reisen“, sagt sie und betont, dass sie sich sehr darüber freut. Nicht nur, weil das gut fürs Geschäft sei, sondern auch, weil das eine Wertschätzung darstelle. Mittlerweile hat sie deswegen auch Souvenirs, Schreibwaren und vieles mehr, das mit Japan zu tun hat, mit ins Sortiment aufgenommen.

 Yurie Takagi hat die Buchhandlung von ihren Eltern übernommen.

Yurie Takagi hat die Buchhandlung von ihren Eltern übernommen.

Foto: Julian Budjan

Seit jeher bin ich es gewohnt, überall in meinem Umfeld Japanern zu begegnen. Meine Heimatstadt Heidelberg in Baden-Württemberg ist für sie so etwas wie das Mekka des kulturhistorischen Erbes von Europa. Jeder aus dem Land der Kirschblüten muss einmal dort gewesen sein, um das Schloss und die Altstadt zu bestaunen und sich vor einem alten Bauwerk aus der Kurfürsten-Zeit mit zum Peace-Zeichen gespreizten Fingern und angewinkeltem Bein per Selfie-Stick digital verewigen. Niederlassen tun sich aber die wenigsten, und wenn, dann sind es vorwiegend Wissenschaftler. So etwas wie das japanische Viertel mit seinen Supermärkten, Restaurants, Porzellan- und Buchläden, also japanische Kultur zum Anfassen, ist deshalb neu und gleichzeitig wahnsinnig faszinierend für mich, schließlich bin ich gerade erst nach Düsseldorf gezogen.

 Es gibt deutsche und japanische Mangas im Takagi. Inzwischen kaufen auch viele Deutsche die Hefte auf Japanisch.

Es gibt deutsche und japanische Mangas im Takagi. Inzwischen kaufen auch viele Deutsche die Hefte auf Japanisch.

Foto: Julian Budjan

Was mir bei meinem Streifzug plötzlich auffällt: Ich habe noch nie eine authentische japanische Nudelsuppe, noch nie richtige Ramen gegessen, denn die Tütensuppen aus meiner Studentenzeit lasse ich ebenso wenig zählen wie die Pampe, die ich einmal in England bei einem bereits im Vorfeld wenig vertrauenserweckenden Laden zu mir genommen hatte. Also auf zur Klosterstraße, die parallel zur Immermannstraße verläuft und von den Japanern Washoku-Meile genannt wird. Das bedeutet, dass dort die heimische Küche zu Hause ist. Vor dem Naniwa, das nach einem Stadtteil von Osaka benannt ist, hat sich um die Mittagszeit bereits eine lange Schlange gebildet. Nach etwa zehn Minuten Wartezeit bin ich an der Reihe. Im Innern erwartet mich eine typische Szenerie, es ist ganz so, wie ich es mir in einem Nudelsuppenrestaurant vorgestellt habe: Menschen verschiedener Herkunft sitzen auf Hockern an einer langen Theke, sind über ihre Schalen gebeugt und schlürfen genüsslich ihre Nudelsuppen.

 Zu seiner Suppe trinkt Autor Julian Budjan Tee.

Zu seiner Suppe trinkt Autor Julian Budjan Tee.

Foto: Julian Budjan

Die Luft ist erfüllt vom Geruch nach Soja und gebratenem Fleisch. Vor den Gästen geht es hektisch zu, es dampft und zischt: Die Küche ist offen einsehbar und vom Rest des Restaurants nur durch eine Plexiglasscheibe getrennt. Jeder der vier Köche hat seine eigene Aufgabe bei der Zubereitung der Gerichte, die er minutiös befolgt. Der Chefkoch steht an mehreren Wok-Pfannen, die er abwechselnd schwenkt, ein anderer bereitet Fleisch und Gemüse mit schnellen Messerbewegungen für die Pfannen vor, der Dritte kümmert sich um die Nudeln, die in einem großen Becken mit kochendem Wasser in Sieben blubbern, der Vierte richtet die Gerichte und Vorspeisen an und verfeinert sie.

Ich entscheide mich auf Anraten der charmanten Bedienung Asako Aoki für die beliebteste Variation, einen Miso-Ramen, bei der die Brühe auf Basis von Sojabohnenpaste zubereitet wird, dazu Schweinehackfleisch sowie Schweinebauchstreifen, Zwiebeln, Frühlingszwiebeln, veredelt mit Chili-Öl. Selbstredend dürfen die speziellen Ramen-Nudeln nicht fehlen. Als meine dampfende Suppe dann vor mir steht, versuche ich sogleich wie die anderen Speisenden um mich herum, die Nudeln mithilfe von Stäbchen schlürfend einzusaugen.

 Die Comics werden von hinten nach vorne gelesen.

Die Comics werden von hinten nach vorne gelesen.

Foto: Julian Budjan

Ein fataler Fehler, denn selbstverständlich sind sie noch kochend heiß. Ich verbrenne mir massiv Lippen und Mund und schaffe es auch noch, dabei mich selbst und die Theke vor mir mit Suppe zu besprenkeln. Ich lasse die Schale erstmal etwas betreten stehen und nutze die Zeit, mich mit Aoki zu unterhalten. Sie ist vor etwa zwei Jahren wegen ihres deutschen Freundes aus Kyoto nach Düsseldorf gezogen. Sie lernte ihn auf seiner Japan-Reise kennen, als er den Souvenir-Shop betrat, in dem sie arbeitete. Sie macht mich auf das multikulturelle Personal aufmerksam, in der Küche arbeiten neben Japanern auch Nepalesen und Vietnamesen, ein nepalesischer Maschinenbau-Student und ein amerikanischer Jura-Student bedienen ebenfalls. Alle scheinen gut miteinander auszukommen und sagen mir, dass sie Spaß bei der Arbeit haben, es gebe immer etwas zu erleben.

Seit 30 Jahren gibt es das Naniwa nun, es hat sich einen Namen gemacht. Ich hatte offenbar noch Glück mit meiner Wartezeit, so sagt man mir, manchmal stünden die Menschen bis um die Straßenecke, um einen Platz zu ergattern. Endlich kann ich meine Ramen essen und auch den beigelegten Löffel und Sieblöffel verwenden, um Brühe und Zutaten fernab der Nudeln zu mir zu nehmen. Obwohl ich eigentlich kein schlechter Esser bin und einen gesunden Hunger mitgebracht habe, muss ich irgendwann mein Vorhaben aufgeben, die Schüssel zu leeren – zu groß ist die Portion.

 Miso-Ramen gibt es an der Oststraße im Naniwa, das vor 30 Jahren eröffnet hat.

Miso-Ramen gibt es an der Oststraße im Naniwa, das vor 30 Jahren eröffnet hat.

Foto: Julian Budjan

Die Suppe hat lecker geschmeckt, auch wenn ich mich beim nächsten Besuch wohl eher für eine Variante mit weniger Schweinefleisch und mehr Gemüse entscheiden würde. Und ich werde wohl nie wieder den Fehler machen, eine Suppe sofort vertilgen zu wollen, wenn sie dafür noch viel zu heiß ist.

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