Interview mit Düsseldorfs Planungsdezernentin „Die Menschen sollen nicht im Hinterhof wohnen mit der Autobahn vor der Tür“

Düsseldorf · Düsseldorfs Planungsdezernentin Cornelia Zuschke spricht im Interview über Raumwerk D, den Platz in der Stadt und flexible Raumlösungen.

 Cornelia Zuschke ist seit 2016 Planungsdezernentin in Düsseldorf.

Cornelia Zuschke ist seit 2016 Planungsdezernentin in Düsseldorf.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Warum wollten Sie ein neues Stadtentwicklungskonzept für Düsseldorf?

Cornelia Zuschke Ich bin nach Düsseldorf gekommen, weil mich diese Stadt mit ihrer Dynamik  in meinem Gestaltungswillen abholt. Hier gibt es viele Menschen, die Pläne verwirklichen wollen. Das macht Spaß. Mit ist jedoch zweierlei aufgefallen: Wir diskutieren bei jedem Projekt die ganze Stadt und wir fragen nach der Qualität. Ich habe auch beobachtet, dass Düsseldorf ein Körpergefühl hat. Die Menschen wissen, wie sich Düsseldorf anfühlt, haben dem aber nicht Ausdruck verliehen. Wenn ich danach fragte, bekomme ich nie wirklich die eindeutige Antwort.

Das stimmt doch nicht.

Zuschke: Ich höre vielschichtiges: von Dorf und Metropole. Tatsächlich ist es nicht so einfach, denn Düsseldorf hat, wenn man aus der Stadtplanerperspektive auf die Stadt schaut und sich mit Topographie, Morphologie oder dem Thema Stadt-Land-Fluss beschäftigt, eine einzigartig  schöne Gestalt. Daraus ergeben sich Potenziale, die keine andere Stadt hat. Selbst Frankfurt mit dem Main, selbst Dresden mit der Elbe haben eine andere Verfasstheit; Düsseldorf hat dieses Mäandern des Rheins und die städtischen Anlagerungen. Die Stadt ist gleichzeitig ein Netzwerk kleiner Orte, ihre Bedeutung liegt nicht allein in dem starken Zentrum. Diese Orte sind verbunden durch Dynamik und Spannungen, es bestehen positive Antagonismen wie bei einem Atommodell. Ich dachte, dies verdient es, erforscht und mit der Stadtgesellschaft diskutiert zu werden.

Was meinen Sie mit Spannungen?

Zuschke: Es fließt nicht einfach ein Fluss durch eine Stadt, es haben sich vielmehr unterschiedliche  städtische Elemente an eine Flusslandschaft angelagert. Diese ergeben unterschiedliche Qualitäten, aber da der Fluss sich in großen Schleifen windet, liegen sie so eng bei- und korrespondieren miteinander. Das Moderne mit dem Alten, das Dörfliche mit dem Städtischen. Düsseldorf hat zudem eine bewaldete Hügellandschaft im Osten und die Rheinauen im Westen, man wird umarmt von zwei Landschaften, dem Übergang ins Bergische und dem Beginn des Niederrheins. Das Zusammenwachsen der Orte durch die industrielle Revolution hat aber nicht dazu geführt, dass es nur eine Ortstypik gibt. Es gibt mehrere, die dennoch als homogen wahrgenommen werden, das ist ebenfalls besonders.

Es sind aber auch ganz neue Dinge entstanden, etwa der Medienhafen

Zuschke Der ja auch kontrovers diskutiert wird. Einige belächeln ihn und sagen, da holt sich Düsseldorf berühmte Namen und schafft sich einen Architekturzoo. Man kann  aber auch sagen: Da ist eine neue Familie entstanden, die sich an eine tolle Tradition anlehnt und mit der Umgebung spielt, mit dem Fernsehturm und der Brückenfamilie. Ich fahre dort gerne mit dem Fahrrad durch, am Paradiesstrand vorbei zum Kraftwerk, und denke nicht, dass dies schockiert oder abstößt. Man staunt eher. Ebenso ist es in Himmelgeist. Du hast ein Dorf, drehst dich weiter, sieht die Krane des Neusser Hafens und dann die Lausward. Andere Städte haben dieses enge Miteinander nicht, sie sind seggregiert, aufgeräumt, da ist alles voneinander sauber getrennt. 

Der Zuzug vieler Menschen und die vielen Bauprojekte sorgen aber für Verunsicherung.

Zuschke Ich höre auf Bürgerversammlungen oft, es werde alles immer enger und explosiver. Dieses Gefühl hat einen Grund und deswegen entwickeln wir das Raumwerk D und beteiligen die Menschen.  Die tiefste Kraft zur Entwicklung der Stadt liegt im Verständnis von der Stadt. Wir müssen uns selber kennen und vertrauen, dann können wir Neues in dieses gewebte Gefüge einarbeiten. Denn natürlich müssen wir nicht alles, was geht, auf Teufel komm raus umsetzen. 

Bekommt das die Bevölkerung mit?

Zuschke Wir haben Hunderte Teilnehmer in unseren Veranstaltungen und erhalten online in diesen Prozessen Tausende Anregungen. Um Weihnachten herum hat mich eine Frau auf der Kö angesprochen. Ich sei doch die Frau mit dem Raumwerk, sie achte in der Zeitung darauf und werde zu weiteren Veranstaltungen kommen. Das hat mich gefreut. Wir sammeln in diesem Prozess sehr viel Bürgerwissen ein.

Er dauert schon sehr lange.

Zuschke Das stimmt, aber wir lassen ja nicht aktuelle Projekte liegen. Die Stadtentwicklung geht weiter, unter anderem wird unter Beteiligung von IHK und dem Bund der Architekten ein Hochhaus-Rahmenplan erarbeitet, es gibt auch ein Konzept für starke Quartiere. Aber wir haben jetzt eineinhalb Jahre bei und mit der Bevölkerung für das Raumwerk D recherchiert. Daraus sind Aufgaben für vier externe Teams entstanden, die jeweils aus Städte- und Verkehrsplanern sowie Landschaftsarchitekten bestehen. Das sind Fachleute, die in Deutschland und der Welt tätig waren.  Sie entwickeln unabhängig voneinander Raumbilder für Düsseldorf. Vier Modelle, die mit einem ersten Aufschlag im Oktober öffentlich vorgestellt werden. Wir sind gespannt.

Nach welchen Methoden wird gearbeitet?

Zuschke Das ist unterschiedlich. Ein Team geht von „Düsseldorf-Faktoren“ aus, die von der Basilika in Gerresheim bis zur Freitreppe am Rhein reichen. Ein anderes setzt auf einen großen Schritt bei der Verkehrswende, kleinräumige Vernetzung und die Entwicklung qualitätvoller Freiräume. Aus all dem entstehen Raumbilder. Im folgenden Zukunftsdialog werden Handlungsfelder definiert. Wir fragen dabei, was die Stadt an welcher Stelle zu leisten imstande und wo sie überfordert ist, denn es geht uns nicht um Dynamik um jeden Preis sondern um Entwicklung der eigenen Kontinuität. Im nächsten Jahr legt der Stadtrat dann fest, wo sich Düsseldorf wie entwickeln soll.

Wird es irgendwann auch praktisch?

Zuschke Ja. Wir nehmen uns die Zeit, weil eine Stadt ohne Konzept in Gefahr ist, Projekte nicht mit der nötigen Sorgfalt und Qualität durchzuführen. Sollen wir einfach Hochhäuser in der Stadt verteilen, nur weil das jemand gerne möchte? Natürlich nicht. Wenn wir ein Konzept haben, sind wir und die Stadtgesellschaft sicherer und entlasten gleichzeitig Einzelprojekte von der Verantwortung des Ganzen. Zuverlässigkeit heißt dann andererseits auch, nicht immer auf die Straße zu gehen und alles verhindern zu wollen. Das ist die tiefere Wahrheit dieses Raumwerks: Wir packen die Demokratie beim Schopf und arbeiten täglich trotzdem operativ.

Zurück zum Gefühl vieler Menschen. Wir hören bei unseren Mobilen Redaktionen viele Vorbehalte gegen die zunehmende Verdichtung.

Zuschke   Wenn wir dichter werden, benötigen wir bessere öffentliche Räume. Die Menschen sollen nicht im Hinterhof wohnen mit der Autobahn vor der Tür. Wir müssen auf unseren Straßen mehr Aufenthalt und nicht nur Transit planen – und den Menschen die Straße zurückgeben. Die Aufgabe der Gegenwart ist eine Umverteilungsaktion, die nicht dem Recht des Stärkeren folgt. Heute haben nicht alle das gleiche Recht im öffentlichen Raum. Wir haben leider nicht wie andere Städte ein umfassendes U-Bahn-Netz aus der Zeit um 1900. Dennoch geht es bei Verkehrsinfrastruktur nicht um Ideologie. Die Losung heißt nicht Autos raus um jeden Preis, sondern wo stören sie und wo nicht. Genauso ist es bei den Parkplätzen und es geht um viel mehr – um Chancen für alle und auch für Neues.

Da sind Konflikte programmiert.

Zuschke Konflikte gehören dazu, wir sollten keine Angst vor ihnen haben. Mal werden sie so, mal anders entschieden. Das ist Lebendigkeit!

Wollen Sie mehr Fußgängerzonen?

Zuschke Eine Konzentration rein auf Fußgängerzonen war in den achtziger Jahre das Maß der Dinge. Heute geht es darum, zu entschleunigen und den Verkehr gleichzeitig zu verflüssigen. Auf einer Straße sollte genug Platz für alle sein, es sollte mehr Abstellmöglichkeiten für Räder geben, ein paar Stühle vor einem Café, eine Ladezone und auch drei Parkplätze. Dabei müssen wir ausprobieren und jede Straße ist anders.

Wie an der Bismarckstraße?

Zuschke Da wird ja bald sogar saisonal umgenutzt. Im Sommer mehr Außenterrassen, im Winter mehr Parkplätze, dann kommen die in Säcken angelieferten Bäume ins Gewächshaus. In der Stadt muss nichts für die Ewigkeit sein.

Sie sind auch Verkehrsdezernentin. Der Effekt der Umweltspuren ist schon jetzt umstritten. Sind sie ein Fehler?

Zuschke Wenn wir zum Ergebnis kommen, sie zurückzudrehen weil etwas anderes besser wirkt, ist das so. Aber so weit sind wir nicht und ich lehne von vorn herein schuldbeladenen Diskussionen auch ab. Schlimm wäre doch, wenn wir Handschellen trügen und nichts tun könnten. Wir sind übrigens nicht zu dumm zum Planen, wenn wir experimentieren, sondern benötigen Experimente, weil uns die Realität und ihre Möglichkeiten etwa durch die Digitalisierung immer wieder überholt und Neues lehrt. Wir müssen permanent im System Verkehr intervenieren und es gleichzeitig am Leben erhalten. 

Die Diskussionen um die Abschraffierungen auf dem Südring oder an der Erkrather Straße hören deswegen aber nicht auf.

Zuschke Die Erkrather Straße ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir es uns schwer machen. Wenn die Straßenbahn auf der Erkrather Straße schneller vorankommt, ist das ein Vorteil. Dieses Ziel würde durch einen Ortsumgehung Oberbilk als Entlastungsstrecke z. Bsp. unterstützt. Ich bin beileibe nicht für innerörtliche Großstraßen, aber diese macht Sinn. Wir müssen aber für alle Maßnahmen einzelne Anträge stellen, anstatt eine Gesamtförderkulisse für die Verkehrswende oder Entlastung zu haben. Wir brauchen für solche wichtigen Maßnahmen zu lange. Ein tolles interkommunales Entlastungsprojekt wäre eine Lkw-Brücke von der A52 in den Neusser Hafen. Aber soetwas dauert leider ewig. 

Das Wiener ÖPNV-Ticket für ein Euro am Tag halten viele für eine gute Idee. Sie auch?

Zuschke Die Frage stellt sich für mich derzeit nicht als Hauptaspekt, weil wir gar nicht die Kapazitäten für einen Expansionssprung haben. Wichtig wäre es, dem Nutzer möglichst schnell eine App an die Hand zu geben, mit denen er seine Mobilität organisiert und abrechnen kann, wie er sie im günstigsten Fall will oder verknüpft z. Bsp. als Rheinbahn, Sharing-Dienste plus E-Bike. Wir arbeiten daran in allen Verantwortungsebenen

Ist die Vorgabe des Klimanotstands, bis 2035 klimaneutral zu sein, angesichts so vieler Hemmnisse überhaupt zu schaffen?

Zuschke Ich akzeptiere die politischen Vorgaben des Stadtrates und strenge mich an, sie zu erreichen. Ich lamentiere nicht, was zu schaffen ist und was nicht.

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