Interview mit der Düsseldorfer Frauenberaterin Luzia Kleene „Chefin klingt immer noch nicht normal“

Düsseldorf · Die Frauenberaterin über geschlechtergerechte Sprache, die Macht des Patriarchats - und die erste „Vorständin“ der Rheinbahn.

 Die Juristin und Sozialpädagogin Luzia Kleene arbeitet bei der Frauenberatungsstelle.

Die Juristin und Sozialpädagogin Luzia Kleene arbeitet bei der Frauenberatungsstelle.

Foto: Anne Orthen (ort)

Seit 35 Jahren kümmert sich die Frauenberatungsstelle um das Thema Gewalt gegen Frauen – für Beraterin Luzia Kleene auch eine Frage der Machtdynamik zwischen den Geschlechtern.

Frau Kleene, was ist Ihr Titel?

Luzia Kleene Mein Titel? Ich habe Berufe. Ich bin Juristin und Sozialpädagogin. Und hier im Verein bin ich Beraterin und Mitarbeiterin.

Eine Chefin gibt es hier gar nicht. Wie kommt das?

Kleene Der Verein ist basisdemokratisch organisiert. Wir sind entstanden aus einer Studierendeninitiative. Lange Zeit haben hier alle die Geschicke gemeinsam bestimmt. Je größer wir werden, desto schwieriger wird das.

Ein Klischee ist, dass Frauen viel weniger Lust auf Titel-Huberei haben als Männer. Ist da was dran?

Kleene Ich erlebe tatsächlich, dass viele Frauen solche Statusfragen als nachrangig betrachten. Es geht eher darum, die Arbeit gut zu erledigen – und weniger darum, mit welcher Position die meiste Macht zu holen ist.

Wir haben in letzter Zeit häufig über Sylvia Lier geschrieben, die „Vorständin“ der Rheinbahn – ein Wort, das vielen erst mal komisch vorkam.

Kleene Frauen werden häufig in Führungspositionen nicht mal gedacht. Bei Vorstand stellen sich alle einen Mann im Anzug vor. Ob das Wort „Vorständin“ der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht, aber in irgendeiner Form muss diese Assoziationskette ja mal aufgebrochen werden. „Chefin“ ist immer noch ein Aufmerker. Das klingt nicht normal.

Manche finden, so eine Herleitung wie „Vorständin“ tue der Sprache Gewalt an.

Kleene Ich stelle zunehmend fest, dass es früher sehr viel selbstverständlicher war, auch in großen Unternehmen oder Verwaltungen, geschlechtergerechte Sprache festzuschreiben. Das erlebt gerade wieder einen Rückschlag. Alte Klischees leben wieder auf, und es wird vieles demontiert, was an Frauenrechten erreicht wurde.

Warum passiert das?

Kleene Ich glaube, dass es darum geht, alte patriarchale Strukturen wieder zu zementieren. Und das tut man, indem man geschlechtergerechte Sprache lächerlich macht.

Ist es denn wirklich so entscheidend, ob ein weibliches Mitglied eines Vorstands „Vorstand“ oder „Vorständin“ genannt wird? Erst mal ist es doch gut, dass eine Frau es überhaupt so weit geschafft hat.

Kleene Ich reagiere schon sehr empfindlich darauf, wenn jemand das falsche Wort verwendet. Wenn eine meiner Kolleginnen sagen würde, sie sei „Sozialpädagoge“, dann würde es mich schütteln. Genauso, wenn eine Workshopleiterin vor lauter Frauen steht und von „Teilnehmern“ spricht. Das gehört angestrichen! Da muss ich noch nicht mal Feministin sein, das ist schon grammatikalisch falsch.

Es mag falsch sein – aber ist es auch schädlich?

Kleene Es negiert die Hälfte der Bevölkerung. Und mit einem Nichts kann ich machen, was ich will. Es ist, als würde man Äpfel Birnen nennen.

Ein Irrtum – aber davon verschwinden die Äpfel ja nicht.

Kleene Es ist nicht egal, ob 15 Männer oder 15 Frauen in einem Workshop sitzen. Unterschiedliche Lebenswirklichkeiten werden so nicht wahrgenommen, es werden die Merkmale ignoriert, die diese Menschen spezifisch als Männer oder Frauen mitbringen. Die besonderen Interessen von Frauen werden negiert, wenn Teilnehmerinnen als „Teilnehmer“ angesprochen werden. Wer das tut, verzichtet durch diesen Sprachgebrauch darauf, wirklich in Kontakt mit dem Gegenüber zu gehen.

Das Problem ist: Sprachgewohnheiten sind zwar wandelbar, lassen sich aber kaum von außen verändern.

Kleene Ganz klar hat es aber Fortschritte gegeben. Als ich groß wurde, war ich Schüler. Das hat sich geändert. Mein Eindruck ist: Die große Masse geht damit gut um. Nicht immer lupenrein, aber ein Bewusstsein ist da. Nur an den Rändern werden Gegenpositionen bezogen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass es immer noch viel mehr Chefs als Chefinnen gibt – und Gewalt gegen Frauen?

Kleene Ich weiß, dass Gewalt gegen Frauen sehr oft etwas mit einem Ungleichgewicht in der Macht zu tun hat. Es geht darum, Macht auszubauen oder auszunutzen. Weswegen der Sprachgebrauch auch so wichtig ist: Wenn man so tut, als gäbe es die Interessenlage von Frauen nicht, kann man eher Macht über sie ausüben.

Sind Frauen, die auf geschlechtergerechte Sprache verzichten, Verräterinnen?

Kleene Sie teilen jedenfalls nicht mein Ideal von einer Welt, in der es gerecht zugeht. Auch zwischen den Geschlechtern.

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