Serie Der Mai "Ich bin ja so verliebt"

Düsseldorf · So klingt die Liebe in Korea, Indien oder Brasilien: Die Düsseldorfer Künstlerin Corina Gertz hat mehr als 200 Liebesbriefe aus aller Welt gesammelt.

 Künstlerin Corina Gertz zeigt einen ganzen Stapel ihrer gesammelten Liebesbriefe.

Künstlerin Corina Gertz zeigt einen ganzen Stapel ihrer gesammelten Liebesbriefe.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Ach, Karl! Er war ein Poet, schrieb Liebesbriefe und Gedichte voller Glut, beklebte seine Momentaufnahmen der Leidenschaft mit Rosenblättern. Wegwerfen? Niemals! Selbst wenn die Liebe schon Jahrzehnte vorüber ist, werden die per Hand geschriebenen Bekenntnisse oft ein Leben lang aufgehoben, mit Kordeln fixiert, in Schachteln gepackt. All die Zeilen voller Sehnsucht, die vom Glück erzählen und vom Herzschmerz. Die Düsseldorfer Künstlerin Corina Gertz hat sie gesammelt: über 200 Liebesbriefe aus aller Welt, aus unterschiedlichen Kulturen, in vielen Sprachen verfasst. Wahllos greift sie in einen Stapel, der vor ihr liegt - und liest: "Ich bin nicht verrückt, ich bin verliebt!" Ewige Worte.

 Viele Briefe setzen nicht auf Worte, sondern auf Bilder...

Viele Briefe setzen nicht auf Worte, sondern auf Bilder...

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Sie hat in ihren jungen Jahren viele bekommen: Liebesbriefe - schmachtende Zeilen zwischen Hoffen und Bangen, oft mit Zeichnungen und Collagen geschmückt. "Ich such' ein Mädchen, sie ist blond mit langen Beinen", schrieb ihr ein Namenloser. Die Erinnerung an den Mann verblasste, seine Zeilen blieben. "Keine Ahnung, wer das war." Als Pragmatiker erwies sich ein anderer Verehrer, der ihr einen Abreißzettel schickte (wie sie am Schwarzen Brett in der Uni hängen, von denen sich Interessenten einen Schnipsel mitnehmen können). Diese Schnipsel waren schon beschriftet, fertig zum Absenden an ihn. "Du fehlst mir" stand auf einem, auf einem anderen "Du kannst mir gestohlen bleiben." Botschaften je nach Gemütslage. Hat sie die abgeschickt? "Nie, fand ich viel zu schade." Aber inspiriert von diesen Briefen, fragte sie vor gut zwei Jahren mal im Freundeskreis nach, was andere denn so von den Zeugnissen früherer Schwärmerei aufgehoben haben. Und da Corina Gertz nicht nur Künstlerin mit Lehrauftrag in China ist, sondern auch Globetrotterin aus Passion, ist Freundschaft für sie ein globales Band. Tatsächlich kamen Liebesbriefe aus aller Welt, auch aus Indien, Japan, China, Korea, Brasilien, Russland. "Das war eine große Überraschung, ich hätte nicht gedacht, dass sich so viele von diesen Erinnerungen trennen würden." Mit der Video-Künstlerin Gudrun Teich entwickelte sie eine Idee: Die Frauen fragten Paare, wie sie sich kennengelernt haben und was sie am anderen lieben, und sie drehten Videos in Geschäften für Brautmoden und deren Produktionsstätten in China. Mit den Briefen, übertragen auf Projektionsflächen, schufen sie eine Installation über die Facetten der Liebe.

 ... wie auch diese ebenso einfache wie ausdrucksstarke Zeichnung.

... wie auch diese ebenso einfache wie ausdrucksstarke Zeichnung.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Eine japanische Künstlerin schickte eine von ihrem Liebsten gemalte Sonnenfinsternis - eine Anspielung auf die Beziehung? Auf einem Telegramm von 1984 wird kurz und knapp verkündet "Ich schwebe." Ein Thomas schrieb an seine Dörthe: "Der Abschied am Bahnhof war das Schönste, das ich je erlebt habe." Beate schickte ihrem "Traummann" einen rosa Brief in Herzform. Und von Mallorca sandte einst ein "Liebeskranker" einen Gutschein für ein Weinseminar. Dazu eine Wunschliste: "Ich wünsch' mir deine Gelassenheit. Ich wünsch' dir meine Pünktlichkeit." Der Gutschein wurde nie eingelöst. Was das über die Liebe erzählt?

 Dieser Liebesbrief ist im Format eines typischen Abreißzettels gehalten, wie sie häufig an Schwarzen Brettern hängen.

Dieser Liebesbrief ist im Format eines typischen Abreißzettels gehalten, wie sie häufig an Schwarzen Brettern hängen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Für Corina Gertz sind diese Briefe "ein Zeugnis einer Situation, eines Lebensabschnitts. Und ihre Sprache, ihre Zeichnungen Ausdruck einer bestimmten Zeit." Und ein Fenster in die eigene Vergangenheit. Beim Stöbern in der Post ihrer Freunde ist ihr aufgefallen, dass viele Zeilen geschrieben wurden in einem Moment, der voller Zweifel war: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht... "Diese Briefe erzählen oft wahre Dramen."

Und heute? Ist der handgeschriebene Liebesbrief aus der Mode gekommen? Corina Gertz fragte ihre chinesischen Studenten und die zeigten ihr ausnahmslos SMS-Botschaften an ihre Liebsten. Bekenntnisse in Kurzform. Und wenn es doch ein paar Zeilen mehr sein sollen, lassen sich im Internet vorformulierte Briefe herunterladen: Ghostwriter fürs Gefühl. Den hatte Jens, Klassenkamerad aus Jugendzeiten, gewiss nicht nötig, als er Corina nach einer Schulfete am nächsten Morgen schrieb: "Als du beim Blues in meinen Armen lagst, wollte ich dich nie mehr loslassen." Wurde er erhört? "Ich konnte ihn nicht ausstehen." Da half auch der schönste Liebesbrief nichts.

(RP)
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