Interview: Susanne Hirsmüller und Ellen Scherrer Hospiz sieht Sterben als Teil des Lebens

Düsseldorf · Die Stiftung Evangelisches Krankenhaus gründete 1994 das Hospiz. Die Gründerin und die Leiterin sprechen über die Geschichte der Einrichtung, ihre Bedeutung und die wichtige Hilfe von Ehrenamtlichen.

 Susanne Hirsmüller (l.) leitet das Hospiz, das vor 20 Jahren von Ellen Scherrer gegründet wurde.

Susanne Hirsmüller (l.) leitet das Hospiz, das vor 20 Jahren von Ellen Scherrer gegründet wurde.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Die Stiftung Evangelisches Krankenhaus hat mit der Gründung des Hospizes 1994 die Betreuung von Sterbenskranken und deren Lebenssituation verbessern helfen und damit Maßstäbe gesetzt. Es gilt für viele ähnliche Einrichtungen als Vorbild. Die Gründerin des Hospizes, Ellen Scherrer, und die jetzige Leiterin, Susanne Hirsmüller, ziehen aus Anlass zur Feier des 20-jährigen Bestehens eine Bilanz.

Ein Hospiz ist die letzte Station vor dem Sterben. Wie werden Menschen mit dieser Erkenntnis fertig?

Hirsmüller Völlig individuell. Manche schätzen die Ruhe und die umfassende Betreuung, andere wünschen sich, wieder nach Hause gehen zu können. Wieder andere sind froh, dass sie gut aufgenommen sind und Angehörige entlastet sind.

Scherrer Es gibt immer die Angst vor dem Sterben. Aber in der Gründungszeit Anfang der 1990-er Jahre wurde sie stark mit dem Hospiz verbunden, weil diese Einrichtung damals gänzlich unbekannt war. Patienten fürchteten, dass sie als Kranke nicht gut versorgt werden. Die Nähe zum Krankenhaus hat geholfen, diese Ansicht zu überwinden. Denn ein Krankenhaus konnte Schmerztherapie leisten, die Hausärzte damals selten kannten und auch ablehnten.

Was tun Sie, um die Angst vor dem Sterben zu nehmen?

Scherrer Man kann einem Menschen die Angst generell nicht nehmen, man kann daran arbeiten, dass er die Angst verliert. Wichtig ist, dass der Patient das Sagen hat und bestimmen kann, und nicht Pflegerinnen den Takt vorgeben. Und es muss eine freundliche, eine häusliche Atmosphäre im Haus herrschen. Wichtig war beispielsweise die Hausküche, in der viel gebacken wurde. Der Kuchenduft hat alle begeistert und gut gestimmt.

Hirsmüller Die Servicekräfte achten darauf, dass das Hospiz so wohnlich wie möglich ist. Es gibt nur frische Blumen und echte Pflanzen, die Räume und ihre Einrichtung sind farbenfroh, die Dekoration den Jahreszeiten angepasst. Die ehrenamtlichen Helfer bringen die Normalität mit ins Haus, das nicht so steril wie ein Krankenhaus sein darf. Die Grundhaltung ist positiv. Sterben ist nicht Warten auf den Tod, sondern Teil des Lebens.

Trotzdem fürchten Sterbenskranke, in eine Krankenhaus-Maschinerie zu kommen.

Scherrer Alle Handlungen im Hospiz werden davon geleitet, jeden einzelnen Patienten individuell zu umsorgen. Der Einsatz der Angestellten, der Personalschlüssel, ist ausschlaggebend. Das Personal hat Zeit für die Patienten. Durch die kleinen Einheiten hat der Patient keine Angst, vergessen zu werden oder mit einem anderen verwechselt zu werden. Wegen der unterschiedlichen Krankheiten brauchen die Fachkräfte zudem ein breites medizinisches Wissen.

Ist solches Personal zu finden?

Hirsmüller Ja, man findet es. Auf Ausschreibungen bewerben sich viele Krankenschwestern. Sie machen vor der endgültigen Bewerbung eine dreitätige Probezeit, um die Aufgabenbereiche kennenzulernen. Die Fluktuation ist sehr gering, das zeigt, dass die Krankenschwestern und -pfleger gern hier arbeiten. Trotz der belastenden Situation, denn es sterben pro Jahr etwa 130 bis 150 Menschen im Hospiz. Das muss verkraftet werden. Es gibt daher auch regelmäßig Supervision. Aber es wird auch viel gelacht im Hospiz bei der täglichen Betreuung.

Ist ein Hospiz jetzt besser anerkannt als in der Gründungszeit?

Scherrer Die gute Erfahrung, die Menschen gemacht haben, hat sich herumgesprochen. Man hört von der guten Umsorgung. Man weiß, dass das Menschenbild im Vordergrund steht und nicht das Blutbild, also rein medizinische Aspekte.

hirsmüller Die Aufgabe des Hospizes ist mittlerweile in den Düsseldorfer Krankenhäusern gut bekannt. Aber neue Ärzte sind oft noch verwundert und können das Hospiz nicht einschätzen. Aufklärung ist daher immer noch nötig, beispielsweise durch den ,Runden Tisch palliative Versorgung', der über alle Hospiz- und Palliativangebote informiert.

Wie sehen Angehörige von Sterbenskranken das Hospiz?

Hirsmüller Angehörige haben oft ein schlechtes Gewissen, wenn der Patient in das Hospiz kommt. Denn sie haben meist versprochen, den Kranken bis zum Tod zu betreuen, spüren aber, dass sie an die Grenze ihrer Kräfte kommen. Aber Angehörige wollen mehr als die rein medizinische Versorgung, sie wünschen Zuwendung. Es ist eine der Hauptaufgabe des Hospizes, die Angehörigen in die Umsorgung im Hospiz einzubeziehen.

Scherrer Ein Hospiz soll ein offenes Haus für Patienten und deren Angehörige sein. Eine Einladung zum Anschauen des Hauses und zum Miterleben des Tagesablaufs und der Atmosphäre ist daher hilfreich. Viele haben nach den Besuchen gefragt, ob sie bleiben könnten.

Für die Betreuung der Patienten setzt das Hospiz auf ehrenamtliche Mitarbeiter. Gibt es genug Interessenten?

Scherrer Ohne Ehrenamtliche könnte die Idee des Hospizes nicht verwirklicht werden. Wir haben deshalb schon vor Gründung des Hospizes für die Arbeit geworben und Kurse für die Vorbereitung angeboten. Ehrenamtliche sind enorm wichtige Multiplikatoren, um Vertrauen für das Hospiz in der Bevölkerung aufzubauen.

Hirsmüller Die Vorbereitung auf die Arbeit ist wichtig. Die Interessierten, zu 95 Prozent sind es Frauen, nehmen ein halbes Jahr an Kursen teil, in denen Themen wie Kommunikation, Spiritualität, aber auch Sterben, behandelt werden. Sie dienen auch zur Orientierung der Helferinnen. Bei der Begleitung der Patienten beispielsweise müssen sie auf die Persönlichkeit des Patienten eingehen und dürfen nicht in eigene Lebensgeschichten verfallen, etwa in dem Kranken Vater oder Mutter zu sehen.

Was hält Ehrenamtliche denn bei der Stange?

Scherrer Alle sprechen von wichtigen Erfahrungen. Sie bekommen einen neuen Blick auf die Welt, erkennen, was wichtig und was unwichtig ist. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass sie aus der Oberflächlichkeit des Lebens herauskommen.

Werden Tod und Sterben dadurch aus der Tabuzone herausgeholt?

Hirsmüller Es gibt zwei Tendenzen. Es wird öffentlich mehr über den Tod gesprochen. Filme thematisieren den Tod im Alltag. Und Totenkopf-Symbole werden unbefangen verwendet. Nicht zuletzt werden wir durch die Nachrichten über Terror und Krieg mit Toten konfrontiert. Dabei wird aber stets nur der Tod des anderen betrachtet. Die Frage nach dem eigenen Tod oder dem von Angehörigen wird nach wie vor verdrängt. Es ist wie ein Spagat: Über den Tod anderer wird sehr viel gesprochen, über den eigenen zu wenig.

Kann der Hospizgedanke helfen, sich mit dem Tod zu befassen?

Hirsmüller Der Umgang mit den Patienten schärft das Bewusstsein, dass jeder sterblich ist. Und in diese existenzielle Situation kommt. Im Hospiz wird eine grundlegende Haltung gelebt: den Willen des Sterbenden zu akzeptieren, seine Wünsche zu erfüllen und die Phase vor dem Tod auch als Leben zu begreifen.

Scherrer Dabei hilft es, dass in den zurückliegenden Jahren die Palliativ-Medizin anerkannt wurde. Weitestgehend schmerzfrei leben zu können, ist für die Patienten eine große Erleichterung. Sie können sich ohne allzu große Beeinträchtigungen den Dingen widmen, die ihnen wichtig sind.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE MICHAEL BROCKERHOFF

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort