Selbstversuch im Uerige Heute ein Köbes

Düsseldorf · Der Kellner im Uerige ist König, dachte unserer Reporter. Dann machte er den Selbstversuch und arbeitete dort einen Tag lang. Das war für ihn eine spannende Erfahrung – und für einige seiner Gäste auch. Eine Geschichte vom Scheitern auf niedrigstem Niveau.

 Ja, es macht auch Spaß. Aber trinken darf man im Uerige eh erst ab 23 Uhr. Vorher herrscht Alkoholverbot für die Köbesse, an das sich der Autor auch hielt. Dabei wäre es eine gute Erklärung für die vielen Fehler, die er gemacht hat.

Ja, es macht auch Spaß. Aber trinken darf man im Uerige eh erst ab 23 Uhr. Vorher herrscht Alkoholverbot für die Köbesse, an das sich der Autor auch hielt. Dabei wäre es eine gute Erklärung für die vielen Fehler, die er gemacht hat.

Foto: Endermann, Andreas

Der Kellner im Uerige ist König, dachte unserer Reporter. Dann machte er den Selbstversuch und arbeitete dort einen Tag lang. Das war für ihn eine spannende Erfahrung — und für einige seiner Gäste auch. Eine Geschichte vom Scheitern auf niedrigstem Niveau.

Das Klischee ist bekannt: Ein Köbes pampt die Leute an und lässt sich volllaufen. Er verdient ein Heidengeld, schummelt bei der Abrechnung und macht den Gästen, die er nicht mag, die Sülze madig. Ein Köbes, der ist König, und vielleicht spielte dieses Vorurteil ja auch eine Rolle, als ich beim Uerigen nachfragte, ob ich nicht mal für einen Tag Köbes sein könnte.

Naja, das müsse man erst mit Herrn Kaatz besprechen, hieß es. Es gab ein Vorgespräch eben mit jenem Herrn Kaatz, dem Chef der Köbesse im Uerigen, und dann, ja, dann durfte ich Köbes sein. Am Donnerstag in der Woche drauf, ich bräuchte nur eine schwarze Hose anziehen, der Rest werde mir gestellt. "Schonen Sie mich nicht", sagte ich zum Abschied.

"Also gut", sagte Herr Kaatz spöttisch. Er kann das. Mit hochgezogenen Augenbrauen und angedeutetem Grinsen guckt er dann nach rechts oben. Der wird sich wundern, dachte Herr Kaatz sicher, und natürlich sollte er Recht behalten.

So bin ich guter Dinge, als ich am darauf folgenden Donnerstag gegen 15 Uhr zum Uerigen komme. Draußen stehen ein paar Gäste rum, drinnen ist nicht allzu viel los, ich gehe nach oben, wo die Büros sind. Treppe hoch, klingeln, ich werde eingelassen, und Herr Kaatz ist von nun an der Detlef, schließlich sind wir Kollegen. Detlef führt mich in die Mitarbeiter-Küche, wo die anderen Kollegen schon sitzen, rauchen und Kaffee trinken. Die Stimmung ist wie auf einem Piratenschiff: es ist laut, es wird gelacht, und der Neue, der ich ja nun bin, wird zunächst angesehen, als habe er dem Kapitän das Holzbein geklaut.

Detlef stellt mir Kosta vor. Kosta ist so etwas wie meine Anstandsdame im Gastraum, er erklärt mir, was ein Köbes, wann und wie zu tun hat, und nachdem ich mich umgezogen habe, gibt er mir 150 Euro Wechselgeld. Kosta faltet mir die Zehner und steckt sie mir in die Hemdstasche, "Kleinschrott" geht in die Schürzentasche, Silbergeld und Fünfer in den Geldbeutel. Kosta sagt, dass schon alles glattgehe und ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Kosta passt schon auf mich auf.

Wir gehen nach unten, Micha zapft, Kosta erklärt mir die Kasse. Jedes Getränk, jedes Essen muss ich zunächst bonieren, mit dem Bon lauf ich zu Micha und muss eine Ansage machen. Eins, zwei, drei, das "Bitte" nicht vergessen, schließlich bin ich neu. Micha stellt die eins, zwei, drei Biere auf das Tableau, ich laufe mit Tableau zu den Gästen, mach einen Strich. War nicht so schwer, "am besten nimmst Du auch die leeren Gläser mit, sagt Kosta, "das lernst Du schon."

Mein Revier ist die Kneipe, der Ursprung des Uerigen, ein paar Tische, wohl das einfachste Revier, weil man so wenig laufen muss. Allerdings sitzen auch viele Stammgäste dort, und die können - sagen wir es mal so - ziemlich fies sein. Manche kommen seit 50 Jahren, sagen die Kollegen, und denken, der Laden gehöre ihnen. In der Ecke sitzt ein schlecht gelauntes älteres Paar und wartet. Der Mann spricht sehr düsseldorferisch, was, so schön es sich auch anhört, ich nicht verstehe. Im Zweifel boniere ich Mettbrötchen, die ich vergesse, auf den Deckel zu schreiben. Der alte Mann guckt böse und sagt irgendwas mit "Jong". Ich lächele.

Drei Ecktische sind reserviert. Männer kommen, die aussehen wie Filialleiter der Sparkasse und auch welche sind. Sie meckern, sie mäkeln, mal bin ich zu langsam, mal zu schnell, einer von ihnen wartet seit Ewigkeiten auf seine Apfelschorle. Ich erkläre, dass dies mein erster Tag ist, was sie nicht weiter interessiert. Ob ich nicht mal so ein volles Tableau Bier auf die Halbglatze des schnauzbärtigen Wichtigtuers in der Ecke fallenlassen soll, frag ich mich. Drei Mett — sofort! Einmal gemischte Platte — sofort! Frikadelle, Mainzer, Leberwurst — sofort! Blutwurst und Krüstchengulasch. "Ich krieg noch drei Bons von Dir", sagt Micha. Im Nacken sitzen mir die Stammgäste, wollen Bier, Bier, Bier. Gabeln, Messer, Fassbrause — sofort! Einer sagt "ey" zu mir, ich schwimme, und in dem Moment kommt Kosta. "Geh doch mal eine rauchen", sagt er.

Ich gehe in den Innenhof, ein Kollege steht schon da. Er lacht mich ein bisschen aus, ist aber nett gemeint. Wir rauchen, schnell, süchtig: klar, der Job sei hart, Familie hat er keine, aber eine Freundin. Kippe aus und weiter.

Kosta hat inzwischen die komplette Kneipe bereinigt, Essen gebracht, Bier — es ist ein bisschen wie auf See, wenn der Sturm sich gelegt hat. Man ist überrascht, wie friedlich das Meer sein kann.

Der Sparkassen-Tisch will abrechnen, ist kleinlich beim Trinkgeld, doch natürlich gibt es auch wahnsinnig viel nette Gäste. Die Rentner-Gruppe zum Beispiel, der es egal ist, dass ihre Mett-Brötchen gebuttert sind, obwohl sie ungebutterte bestellt haben. Der einzelne Mann, der mich darauf hinweist, dass ich vergessen habe, sein Essen aufzuschreiben. Das Paar, das vier Euro Trinkgeld gibt, obwohl ich beim Zusammenrechnen versage und auf 36, 39 Euro komme.

Ich bin fertig, es ist 23 Uhr, Detlef rechnet mit mir ab: Laut Kasse habe ich 655 Euro Umsatz gemacht, 150 Euro bekommt Kosta. Mir bleiben danach zehn Euro Trinkgeld. Ich habe vergessen, vieles abzurechnen. Eigentlich müsste das mehr sein, sagt Kosta. Doch eigentlich redet man über Trinkgeld ja auch nicht. Das bekommt man nur.

(RP/jco)
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