Urteil gegen Kunstberater Helge Achenbach, der Kunstmarkt und die Moral

Essen/Düsseldorf · In einem der spektakulärsten Prozesse der deutschen Kunstszene kommt es zum vorläufigen Finale. Das Landgericht Essen wird am Montag ab 11 Uhr das Urteil gegen den prominenten Kunstberater Helge Achenbach verkünden.

So lief der Fall Helge Achenbach
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Foto: Andreas Endermann

Es gibt nicht viele Angeklagte, über die in einem Strafprozess so freundlich gesprochen wird wie über Helge Achenbach. Charmant sei er, und warmherzig, großzügig und in der Lage, sich und andere zu begeistern. Er habe "einem das Gefühl vermittelt, wichtig zu sein", hat der Zeuge Christian Boehringer gesagt, Worte, die man bisweilen von Zeuginnen hört, deren Sparbücher Heiratsschwindler geplündert haben. Boehringer ist aber keine einsame Witwe, sondern ein milliardenschwerer Unternehmer, dem es an sozialen Kontakten kaum fehlen dürfte. Und der sich dennoch vom charismatischen Düsseldorfer Selfmade-Mann hinters Licht führen ließ.

Es ist wahrscheinlich, dass Achenbach heute zu mehreren Jahren Haft verurteilt wird. Er werde das akzeptieren, hat er gesagt, als bliebe ihm eine große Wahl. Verloren hat er längst mehr als einen Prozess. Sein Unternehmen, seine Reputation, sein Lebenswerk. Und seine Moral, sagt er, die sei ihm auf dem Kunstmarkt irgendwo "abhandengekommen".

Diesen Markt zu verstehen, der kaum in krasserem Gegensatz zur Schnörkellosigkeit des Essener Landgerichts stehen könnte, hat sich die Große Strafkammer redlich bemüht. Vor allem der Vorsitzende Joachim Hidding hat bemerkenswert unbeeindruckt in der Kunstwelt nach Fakten gesucht.

Helge Achenbach: Bilder vom Prozessauftakt
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Die Kammer hat von einem Ehepaar erfahren, das "zwei Söhne, aber nur ein Bild" hatte und deshalb ein Zweit-Gemälde kaufte, um es an ein Museum auszuleihen, weil das günstig für die Erbschaftssteuer war. Sie erfuhr von Babette Albrecht, der bei einem privaten Abendessen in der Wohnküche eines befreundeten Galeristen ein Bild ins Auge stach, das ihr Mann am nächsten Tag telefonisch für 7,3 Millionen Euro orderte. Und die Kammer hörte von der Galeristin, die wegen steuerlicher Vorteile Gursky-Fotos aus Düsseldorf nach London schickte, um sie von dort an Boehringer in den Rheingau zu liefern, und von Spenden an Museen, die Türen zu Sammlern öffnen sollten.

Kunstberater und Ex-Fortuna-Präsident: Das ist Helge Achenbach
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Kunstberater und Ex-Fortuna-Präsident: Das ist Helge Achenbach

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Foto: Endermann, Andreas

"Desaströs" hat Zeuge Benjamin Katz den Weltkunstmarkt genannt, über astronomische Preise geschimpft und über Spekulationsgeschäfte, über Depots, in die für viel Geld angeschaffte Bilder gesteckt würden, um erst wieder ans Licht zu kommen, wenn die Besitzer sie für noch mehr Geld weiter verkauften. Das, sagte der 75-jährige Künstler und Fotograf mit unverhohlener Verachtung, "das sind die leidenschaftlichen Kunstsammler von heute". Ihm hat wehgetan, sich aus Geldnot von einem Bild zu trennen, das er seit seiner Jugend besaß, das ein Studienfreund malte, lange, bevor er sich Baselitz nannte. Von Achenbach hat er dafür die 200 000 Euro bekommen, die er brauchte, um sein eigenes Lebenswerk für die Nachwelt zu digitalisieren. Dass der es später für deutlich mehr verkaufte, sei ihm egal, es hätten seinetwegen 100 Millionen sein können. Ihm habe gereicht, was er bekommen habe. Verärgert ist er nur, weil alle Welt jetzt davon weiß.

Von dem Baselitz schwärmt Achenbach noch auf der Anklagebank. Er hat es neu rahmen lassen, der alte Rahmen sei doch eher schäbig gewesen. Dann sei es in seiner Schönheit wunderbar zur Geltung gekommen. Es sei die 875 000 Euro wert gewesen, die er dafür verlangt habe, beteuert er. Aber nach sieben Monaten Untersuchungshaft ist er auch zu der Einsicht gelangt: "Moralisch war das eigentlich nicht."

Mit Kunst hat die Moral gemeinsam, dass ihr Wert im Auge des Betrachters liegt. So lange Achenbach der erfolgsverwöhnte Liebling der internationalen Kunstszene war, als jeder dort es ihm gleich tun wollte, da hat nach seiner Moral niemand gefragt. Die Geschichte, wie er einem jungen und offensichtlich ahnungslosen Verkäufer beim einst berühmtesten Gebrauchtwagenhändler Deutschlands, "Auto Becker" in Düsseldorf, den Bentley von Joseph Beuys zum Schnäppchenpreis abluchste, hat er gern als Anekdote erzählt. "Ein Filou war er schon immer", soll Gerhard Richter im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Millionenbetrugs über Achenbach gesagt haben. Die Moral kam, so scheint es, nicht nur bei Achenbach erst mit dem Haftbefehl.

Achenbach, der eigentlich mit dem Ziel, Entwicklungshelfer zu werden, ins Sozialpädagogik-Studium gezogen war, sah sich als Visionär. Einer, der keine herumgesponnene Idee einfach vorüberziehen lassen konnte. Heute sagt er, das sei Teil seines Problems. "Ich hab 'ne große Idee - und dann bin ich auch schon aus dem Haus." So ist er in den späten 1990ern Präsident der Düsseldorfer Fortuna geworden. Und später Gastronom.

"Monkey's Plaza", drei Restaurants um einen Hochhaus-Innenhof, schrieb schon im ersten Jahr eine Million Euro Verlust. Achenbach hielt daran fest. Monkey's, sagt er, "war mein Nukleus", das Zentrum, das Geschäft und Kunst, Kunden und Künstler, vereinte. Ein Raum, der für Zufälle geschaffen sei, wie den, aus dem sein größter Coup entstand. Das wird er nicht müde zu erzählen, die Geschichte vom Volkswagen-Sprecher, den im Monkey's ein Gursky-Foto faszinierte und der mit dem Vorstandschef wiedergekommen sei, mit dem Achenbach dann die Kooperation zwischen VW und dem Museum of Modern Art in New York einfädelte.

Auch Berthold Albrecht traf er oft im Monkey's. "Es war ein Raum, der Vertrauen schaffen konnte", sagt er stolz, und ihm scheint die böse Ironie darin zu entgehen. Denn es waren die immensen Verluste des Monkey's, die ihn seinem Geständnis zufolge schließlich dazu brachten, Albrechts Vertrauen zu missbrauchen und ihm mindestens zehn überhöhte Rechnungen auszustellen. "Ich brauchte das Geld", sagte er im Gericht. Und auch, dass er sich dafür geschämt habe.

Die Scham galt nicht nur dem Betrug. Wer auf dem Kunstmarkt Geld verdienen will, muss viel ausgeben. Es ist ein teures Geschäft, nicht nur für die Kunden. Da sind Reisen zu machen, Messen zu besuchen und zu bestücken und natürlich Einladungen zu geben. Großzügig wollte Achenbach sein, und er war es auch, aber in den Kreisen, in denen er nun verkehrte, überstieg das sein Vermögen. Dem Freund und Kunden Albrecht zu sagen, dass ihm die Kosten über den Kopf wuchsen und die vereinbarte Provision dafür nicht reichte, brachte er nicht über sich. "Es war mir peinlich. Ich schämte mich, ihn um mehr Geld zu bitten."

Das Angebot der Hamburger Berenberg Bank, mit ihr eine Kunstberatung zu gründen, muss Achenbach wie ein Topf voll Gold erschienen sein. Mit dem ihm eigenen Elan stürzte er sich in das Projekt, ließ dafür sogar seinen Lieblingskunden Albrecht, der inzwischen seine Sammelleidenschaft von der Kunst auf Oldtimer verlagert hatte und mit dem bis dahin keiner seiner Angestellten ohne Anweisung sprechen durfte, hauptsächlich von einem Mitarbeiter betreuen.

Doch statt ihm finanziellen Freiraum für seine Geschäfte zu verschaffen, geriet das Gemeinschaftsunternehmen schon nach einem Jahr in Engpässe. Die Bank kümmerte sich kaum um ihre Tochter, Kundenströme blieben aus. Wieder stopfte Achenbach Löcher mit fremdem Geld, diesmal mit dem Christian Boehringers, den er duzt und als Freund betrachtet. Dass Boehringer im Gerichtssaal von einem "Arbeitsverhältnis" spricht, trifft Achenbach sichtlich.

Sein Verhalten sei "unmöglich" gewesen, sagt er am Ende des Verfahrens. Blässe und Gewichtsverlust zeugen von neun Monaten Untersuchungshaft - und der Sozialpädagoge hat sich in seiner Zelle offensichtlich wie kaum ein Angeklagter mit sich selbst, seinen Taten und Motiven auseinandergesetzt. In seinen Anfangszeiten hat er einmal für 250.000 Mark zwei Richter-Gemälde an eine Versicherung verkauft. Die seien heute zig Millionen Euro wert. In den Dimensionen solcher Marktentwicklungen "bin ich selbst irgendwo verloren gegangen".

"In der Kunstszene sind alle sehr nett", hat Babette Albrecht im Zeugenstand gesagt. Doch es scheint, als bewegten sich die Reichen dort wie Touristen auf dem Weihnachtsmarkt, in ständiger Gefahr, dass ihnen vermeintlich nette Leute freundlich lächelnd in die Tasche greifen.

(RP)
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