Helene Fischer in Düsseldorf Atemlos durchdacht

Düsseldorf · Helene Fischer reißt auf ihrem Tourstopp in der Düsseldorfer Esprit Arena das Publikum von den Stühlen. Unser Autor wäre eigentlich ganz gerne sitzengeblieben.

Helene Fischer in Düsseldorf: Fotos vom Konzert 2018 in der Esprit-Arena
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So war das Helene-Fischer-Konzert in Düsseldorf

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Foto: Anka Hesse/Anke Hesse

„Wir fliegen sowieso auf“, sagt meine Freundin, und winkt ab. Als hätte sie es gehört, blickt die Mittvierzigerin auf dem Sitz links neben uns empört in unsere Richtung. Sie erwartet, dass wir mitklatschen, wie sie und ihre etwa gleichaltrige Begleitung. Ein Klatschen, das natürlich untergeht in den wummernden Beats, die unmöglich von dem Schlagzeuger stammen können, der da vorne in ungefähr 100 Meter Entfernung spielt.

Es riecht wie an Silvester, die Konfettikanonen verschießen kiloweise ihre rieselnden Ladungen über ein gutes Dutzend glitzernder und glänzender Tänzerinnen und Tänzer. In ihrer Mitte: eine Donnergöttin im blauen Badeanzug voller baumelnder Schnüre. Wehendes blondes Haar und ein Lächeln wie das der Mona Lisa.

Zweieinhalb Stunden stampft und wirbelt Helene Fischer über die Bühne der Esprit Arena, doch der Funke springt nicht so richtig über. Zumindest bei uns. Die restlichen 45.000 Zuschauer sehen das offenbar ein bisschen anders. Es braucht nur ein kurzes Aufblitzen des makellosen Gesichts der 33-Jährigen auf den gigantischen Doppel-Leinwänden, und das Stadion geht hoch.

Obwohl es nur ein Einspieler ist, der da am Anfang zu hören und zu sehen ist, sprudelnde Regenbogenfarben und Musik vom Band, geht ein Ruck durchs Publikum. Es jubelt, ist atemlos, will sie. Und Gott weiß, es bekommt sie auch. „Spürst du das?“ ist der Titel ihrer mit 14 geplanten Auftritten bislang längsten Tour.

Immer wieder rauscht zwischen den Songs kurz eine Variante des Liedes „Achterbahn“ durch die Boxen, aus dem die Zeile stammt. Es steht schon sinnbildlich für das bemüht Nahe, Intime und das ganz offen Sexuelle in der Show. Meine weibliche Begleitung lächelt etwas gequält, als Helene bei „Herzbeben“ auf einem riesigen, rot blinkenden LED-Herz reitet, ihre Tanzgruppe in Lack und Leder sie umspringt. Weiße Blitze rasen über die Leinwände. Peinlich? Unbedingt. Überzogen? Nicht für die Donnergöttin.

In einem der vielen knappen Kostüme fährt sie mit ihrer Band auf dem Dach eines Autos durchs Publikum. Gitarren sind dabei, seltsamerweise auch ein Akkordeon. Niemand kann es hören, niemanden schert es. Helene überstrahlt alles, und jagt selbst den Zuschauern auf den hintersten Rängen noch das Klatschen in die Knochen. Und immer diese unverbindliche Fröhlichkeit, das angewachsene, leicht schelmische Lächeln.

Eine Schlagerqualität, denke ich, und dabei hört man gar keinen Schlager. Meine Freundin meint es nicht gut mit ihr. Sie sagt, Helene lasse nichts unversucht, um dem Vorwurf, sie mache Schlager, auszuweichen. Elektrische House-Beats sind das Gerüst für „Sowieso“, flinke Flamenco-Klänge spielen zu „Viva La Vida“. In einem kurzen Augenblick hört man zwischendurch gar eine frech quietschende E-Gitarre, die wieder das Thema von „Spürst du das?“ aufnimmt.

Dem Publikum gefällt das.

Überhaupt, das Publikum. Wie bei jedem Konzert gibt es diese Momente, die man nicht inszenieren kann. Ein etwa 70-jähriger Mann tanzt, selbstvergessen und allein, neben den Publikumsmassen vor der Bühne. Ein Junge rennt mit einem der überdimensionalen Luftballons herum, den er gefangen hat. Der vielleicht 20-Jährige rechts vor uns singt inbrünstig mit, seine Freundin scheint weniger begeistert.

Klischees zerbrechen auf wundersame Weise, Männer tragen Männer auf den Schultern, um ihnen einen besseren Blick zu bieten, Frauen nutzen die weniger treibenden Lieder, um kurz im Gang zu verschwinden und mit Händen voller Bierbecher zurückzukommen.

So pathetisch die Show, so echt die Menschen, die sie schauen. Also kann das alles ja so schlimm nicht sein, denke ich mir. Meine Freundin und ich haben es uns mittlerweile angewöhnt, jedes Mal aufzuspringen, wenn unsere Nachbarn das tun. So sehen wir besser, wie Helene den Westernhagen-Klassiker „Freiheit“ singt, im Duett mit Ben Zucker, der vor ihrem Auftritt schon die Arena anheizte. Doch der 34-jährige Berliner kann neben Helene nur verglühen.

Sie badet in einem künstlichen Flammenmeer, setzt sich auf einen aus dem Boden gefahrenen Schmetterlingsthron und lässt sich von ihren Tänzern herumkatapultieren – ohne auch nur für eine Sekunde ihr marmornes Lächeln abzusetzen. Sie singt in ein goldenes Mikro, ihr Mund ist aber nicht unbedingt immer in dessen Nähe, wenn ihre Stimme zu hören ist. Auf einmal setzt sie es ganz ab, das Publikum soll singen.

Wir kennen den Text nicht, aber die anderen dafür umso besser. Sie spielen ihre Freude nicht, die Kamera, die das Bild auf die Leinwand bringt, fährt euphorische Gesichter ab, Hände, die das Herzsymbol formen, ein selbst gemaltes Transparent mit der Aufschrift„Adoptiere uns!“. Ein Scherz, klar – ganz im Gegenteil zu einem anderen Schild. Darauf ein Spruch, aus unserer Sicht ist er wahrhaftiger als jeder Liedtext aus dem Fischer-Gefühlsgenerator. Wir wissen nicht ganz, wie er gemeint ist, aber er stimmt: „Helene, du bist ein Star!“

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