Anne-Sophie Mutter Heiliger Ernst einer Geigerin

Düsseldorf · Die Geigerin Anne-Sophie Mutter trat beim Gastkonzert des Oslo Philharmonic Orchestra in der Düsseldorfer Tonhalle auf. Die Künstlerin bot Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-moll. Neulich hat sie das Werk unter Kurt Masur auf Platte aufgenommen.

 Anne-Sophie Mutter schwärmt für George Clooney, verriert sie dem Radiosender HR1.

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Foto: ddp, ddp

Vor einiger Zeit krachte ein Blitz aus heiterem Himmel in unseren ruhigen Musikbetrieb: Anne-Sophie Mutter, die große, weltweit gefeierte Geigerin, denke ans Aufhören. Das Gerücht wurde von ihr auf schnellstem Wege wie Unkraut vernichtet, das zufällig im Vorgarten gewuchert war.

Jeder, so stellte sie fest, könne ans Aufhören denken, wenn er das wolle, das sei nicht verboten — aber konkrete Pläne für einen Rückzug vom Podium gebe es bei ihr nicht. Es sei eher ein Denkspiel gewesen.

Ist das überhaupt vorstellbar, dass wir jemals ohne sie sein werden? Ohne dieses Atemanhalten des Auditoriums, welches Kleid in welcher Farbgebung sich heute an ihren Leib schmiegen wird? Ohne die Schauer, die der sandige Ton ihrer Stradivari über die menschliche Haut jagt? Ohne dieses gemessene, edle, immer leicht unfrohe Gebaren der Tempelpriesterin, die ihren Dienst am göttlichen Werk am liebsten in Stille verrichten würde? Ohne die immer größer werdende Spanne zwischen ihrem historischen Nimbus und ihrer Gegenwart?

Jetzt war sie wieder da, im Heinersdorff-Gastkonzert des Oslo Philharmonic Orchestra in der Düsseldorfer Tonhalle. Das Kleid (oder immerhin ein ähnliches), so raunten kundige Damen zur Pause, habe sie hier früher schon einmal getragen — eine Mitteilung, die den Charakter subtilster Verleumdung hatte. Hat eine Anne-Sophie Mutter ihre Garderobe nicht für alle Säle der Welt logistisch über Jahre geplant? Die Herren im Saale schauten eher gelassener, wenn auch mit gebührender Hochachtung, ob die textile Passform im Sinne einer kostbaren Silhouette so bestaunenswert war wie immer schon. In dieser Hinsicht blieben wenig Wünsche offen.

Es war allerdings so, dass die Künstlerin nervöser wirkte als sonst. Sie hatte sich ein kleines Schweißtuch mitgebracht, das sie ans Konzertmeister-Pult hängte und beizeiten pflückte, um das Aquaplaning des Lampenfiebers zu beseitigen. Tatsächlich, Anne-Sophie Mutter war mit dem eisernen Vorsatz aufs Podium getreten, Felix Mendelssohn Bartholdys wonnig-unverdächtiges, blühendes, fast humanistisches Violinkonzert e-moll zu einem Thriller umzufunktionieren. Das Tempo war mehr als rassig, sie sprang in das Werk, als sei es eine Spartakiade, sie entfesselte virtuose Dämonen, die nicht auf der Besetzungsliste stehen. Das kann man klirrender kaum spielen, und die Interpretation atmete eine Gefährlichkeit, die neu, kühn und originell war. So gespielt, steigt das Bubenwangenrot des Werks ins Hitzige.

Fraglos wäre es hinreißend gewesen, wenn sie diesen Zugang zum Werk durchgehalten hätte. Leider aber glaubte sie der eigenen Idee vom Werk nicht, als sie wieder altem Mutterkitsch vertraute und über das Griffbrett rutschte, als werde es vom Streudienst absichtlich nicht angefahren. Unterwegs massierte sie unschuldiges Linienwerk mit ihrem altbekannt wimmenden Vibrato. Hingegen betreute sie die lyrischen Passagen mit einer — jeden Fortgang verzückt bremsenden — Demut, als dürfe man in diesen Momenten an musikalisches Weiterkommen nicht einmal denken. Wir hörten, summa summarum, das Violinkonzert Mendelssohns in einer Bearbeitung von Anne-Sophie Mutter. Ihre Botschaft ans Publikum: Mendelssohn hat es komponiert. Ich zeige, was man daraus machen kann.

Man sah ihr übrigens an, dass ihr diese Aufgabe selbst nicht geheuer war. Sie wirkte angestrengt. Verkniffen. Wenig spontan. Ihr Spiel kommunizierte nicht. Es hatte keinerlei Vergnügen an irgendetwas. Es sagte aller Welt: Seht her, ich muss das Werk alleine richten. Ich nehme es auf mich. Heiliger Ernst und noch heiligere Sorgenfalten durchfurchten ihr Gesicht und ihr Spiel. Früher hat sie das Opus mit Charme gespielt. Jetzt verschanzte sie sich hinter ihrer allzu offensiven Deutungshoheit wie hinter einem Manifest, dem nicht einmal der Referent glaubt, der es verliest. Und man horcht den Spuren ihres früheren Charmes nach wie dem Andenken eines Engels.

Nach dem Schlussakkord gab es einen aufgeregten Jubel, der sogar die Geigerin selbst ergriff. Sie schoss auf den überraschten Dirigenten Jukka-Pekka Saraste zu und umarmte ihn, als habe er ihr bei einer Durchquerung eines reißenden Flusses beigestanden. Ein bisschen so war es ja auch.

Das Osloer Orchester geriet fast in den Hintergrund. Es hat einige Qualitäten, Saraste ist ein stiller Maestro, der beinahe linkisch taktiert, aber sehr effektvoll ist. Er wird demnächst das WDR-Symphoniekonzert von Semyon Bychkov übernehmen. Mit Jean Sibelius' etwas ungeschlacht-bäriger 1. Symphonie e-moll nach der Pause wurde man allerdings nicht froh. Hier lag es eindeutig am Stück.

(RP)
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