Zeitzeugin berichtet zum Novemberpogrom „Vergeben, aber nicht vergessen“

Düsseldorf · Rather Gymnasiasten erforschten die Geschichte einer jüdischen Familie aus Düsseldorf. Eine Enkelin war nun zu Besuch und beantwortete viele Fragen.

Alfred Altman mit seinem Vater David auf der Königsallee. An der Ecke zur Blumenstraße hatte die Familie ein Geschäft und lebte auch in dem Haus.

Alfred Altman mit seinem Vater David auf der Königsallee. An der Ecke zur Blumenstraße hatte die Familie ein Geschäft und lebte auch in dem Haus.

Foto: Familie Altman

Der 19-jährige Marek fasste zusammen, was viele seiner Schulkameraden empfunden haben dürften: „Kein Buch oder Bericht kann so eine persönliche und authentische Begegnung ersetzen. Es ist einfach wichtig, mit Zeitzeugen zu sprechen.“ In diesem Fall war dies Jacquelyn Altman. Die herzliche Dame ist anlässlich des Gedenkens an den Novemberpogrom aus Toronto, Kanada, nach Düsseldorf gereist und beantwortete hier unter anderem ausführlich die Fragen von Schülern des Friedrich-Rückert-Gymnasiums. Diese hatten sich mit Jona Winstroth von der Mahn- und Gedenkstätte, mit der die Schule seit 2016 eine Kooperation unterhält, und Lehrer Tim von Berswordt-Wallrabe intensiv auf den Besuch vorbereitet und zur Geschichte der Familie Altmann geforscht. (Die Schreibweise Altman entstand erst später in Kanada.)

Selber erlebt hat die 1961 geborene Jacquelyn Altman die NS-Zeit nicht, geprägt wurde sie aber dennoch stark davon. Sie ist die Enkelin von Johanna und David Altmann aus Düsseldorf. Johanna Altmann leitete einen Modesalon auf der Blumenstraße, wo die Familie auch wohnte. Während des Novemberpogroms 1938 wurden Wohnung und Arbeitsstätte völlig verwüstet. David und Johanna konnten ihren damals 17-jährigen Sohn Alfred noch mit einem Kindertransport aus Deutschland nach Großbritannien bringen. Von dort wurde er später nach Kanada abgeschoben. Doch sie selbst wurden am 27. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert und später in Auschwitz ermordet. Bis zur Deportation stand ihnen ihre ehemalige Angestellte Martha Schumacher zur Seite.

Ihr Vater habe über die Erlebnisse nicht sprechen können, zu groß sei der Schmerz gewesen, berichtet Jacquelyn Altman. Nur kleine „Schnipsel“ über die Vergangenheit habe sie erhalten. Wie das Trauma ihres Vaters auch sie belastet habe, habe sie erst in einer Therapie erfahren, die sie als junge Erwachsene gemacht habe, nachdem sie unter Depressionen litt. Das sei die schlimmste Phase in ihrer Kindheit gewesen.

„Mich beeindruckt die Haltung von Frau Altman und dass sie so persönliche Dinge erzählt“, sagt die 17-jährige Iman. Viele Fragen der Schüler befassten sich aber nicht nur mit der Vergangenheit und der NS-Zeit. Sie wollten auch die Meinung von Jacquelyn Altman zu aktuellen Themen erfahren. Dabei ging es zum Beispiel um die antisemitischen Äußerungen des Rappers Kanye West, den Ukraine-Krieg oder die Verfolgung der Uiguren in China.

Die offene und persönliche Art, mit der ihr Gast antwortete, faszinierte viele der Schüler. Auch nach dem offiziellen Teil des Besuchs umringten sie Altman, um sich weiter auszutauschen. Dabei zeigten sich einige der Schüler so berührt, dass nur noch eine lange und feste Umarmung von Altman und aufmunternde Worte von ihr halfen. „Sie hat uns gesagt, dass es wichtig ist, zu vergeben, aber es dabei wichtig ist, nicht zu vergessen“, sagt die 17-jährige Aisha. „Wir sollen selber herausfinden, wie man ein guter Mensch, ein Licht für andere sein kann“, erklärt Iman.

Wie Erinnerungen wachgehalten werden können, zeigt am Abend der Zusatzkurs Geschichte der Jahrgangsstufe Q2. Die Schüler haben den Gedenkgang der Stadt Düsseldorf anlässlich des Novemberpogroms von 1938 gemeinsam mit der Mahn- und Gedenkstätte vorbereitet. Dabei wird sich auf die Spuren der Familie Altmann begeben. An drei Stationen werden die Schüler aus dem Leben der Familie berichten, unter anderem schildern, wie diese die Überfälle und die Zerstörung ihres Zuhauses und der Synagoge während des Pogroms erlebt haben.

 Jacquelyn Altman (3. von rechts) tauschte sich intensiv und sehr persönlich mit Schülern des Friedrich-Rückert-Gymnasiums aus.

Jacquelyn Altman (3. von rechts) tauschte sich intensiv und sehr persönlich mit Schülern des Friedrich-Rückert-Gymnasiums aus.

Foto: Julia Brabeck

„Wenn Schüler erfahren, was in ihrer eigenen Stadt passiert ist, an Orten, die sie gut kennen, macht das Geschichte greifbarer und persönlicher. Zudem war Alfred Altmann, als er Deutschland verlassen musste, genauso alt, wie die Schüler. Das schafft eine Identifikationsmöglichkeit“, sagt Lehrer Tim von Berswordt-Wallrabe.

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