Fünf Fälle in kurzer Zeit Gewalttäter werden immer brutaler

Düsseldorf · Der Messerstecher, der am Wochenende einen Deutsch-Marokkaner verletzte, ist gefasst. Sein angebliches Motiv: der Andere habe ihn beleidigt. Es ist der fünfte Fall in kurzer Zeit, bei dem eine Belanglosigkeit zu gnadenloser Brutalität führte.

Trauerfeier für Ömer H.
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Der Mann mit dem Spiralohrring ist nicht gefunden. Am 15. September hat er an der Rheinbahn-Haltestelle Reeser Platz einem 16-Jährigen wortlos sein Messer in die Brust gerammt, bevor er dessen Handy an sich nahm.

Zwei Wochen später forderte der Kellner Jorge G. auf dem Burgplatz drei Männer auf, nicht mit Flaschen zu werfen. Die drei pöbelten ihn an, es kam zum Streit. Dann schlugen zwei der drei Duisburger den 33-Jährigen ins Koma.

In U-Haft warten drei 16, 17 und 30 Jahre alte Männer auf ihren Prozess wegen versuchten Totschlags. Sie hatten im September einen 40-Jährigen auf der Werstener Dorfstraße verprügelt und bewusstlos auf den Straßenbahnschienen liegen lassen. Bis zu der nächtlichen Schlägerei hatten sie sich nicht gekannt.

Ömer H. ist gestern in seinem zentralanatolischen Heimatort beigesetzt worden. Am Samstag war er verblutet, weil ihn ein vorbestrafter Gewalttäter nach einem harmlosen Streit gemeinsam mit einem Komplizen durch das Kö-Center gejagt hatte, bis der junge Familienvater in eine Schaufensterscheibe stürzte.

Vier Fälle unfassbarer Gewalt in zwei Monaten. Vier Mordkommissionen, die bei der Suche nach Tatmotiven auf nichts als Belanglosigkeit stießen — und die mit schwersten Tatfolgen konfrontiert sind. Den 16-Jährigen vom Reeser Platz rettete eine Not-OP knapp vor dem Tod. Kellner Jorge ist bis heute nicht ansprechbar, wird in einer Reha-Klinik versorgt. Der 40-jährige Werstener erholte sich langsam, sein Glück in der Nacht war, dass auf der Strecke keine Straßenbahn mehr fuhr. Und die einjährigen Zwillinge von Ömer Hemo haben keinen Vater mehr.

Messerstecher gefasst

"Wir beobachten seit einiger Zeit mit Sorge, dass sich Gewalttaten verändert haben. Schlägereien gab es immer. Aber die Fälle, in denen auf am Boden Liegende eingetreten und geschlagen wird, häufen sich", sagt Polizeisprecher Andreas Czogalla. "Es fehlt der Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit des Anderen. Man ist wegen geringster Anlässe bereit, sogar den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen."

Unter diesen Vorzeichen muss vergangenen Samstag auch die Begegnung eines Deutsch-Marokkaners aus Ratingen mit dem mutmaßlich Rechtsextremen verlaufen sein, den die Polizei gestern festnahm. Der 18-Jährige war mit fünf Freunden auf dem Mannesmannufer dem zwei Jahre Älteren begegnet, der in Begleitung eines Gleichaltrigen war. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der kahlgeschorene Gerresheimer ein Messer zog und den 20-Jährigen niederstach.

Sein am Mittwoch veröffentlichtes Fahndungsbild war über soziale Netzwerke im Internet verbreitet worden und von dort kamen auch die Hinweise an die Kripo. Die nahm den jungen Mann, der sich mit dem Eisernen Kreuz und einer Pitbull-Jacke schmückte, in der elterlichen Wohnung fest. Jetzt bezichtigen er und sein Opfer sich gegenseitig, den jeweils anderen beschimpft zu haben. Die Kripo wird nun die bislang unbekannten Beteiligten an der Schlägerei befragen. Ihre Namen hat der 18-Jährige genannt, bevor er zu seinen Eltern entlassen wurde.

Im Elternhaus sieht Kriminologe Hans-Jürgen Kerner die Hauptursachen für das, was der Wissenschaftler soziopsychologische Verwahrlosung nennt. Mangelnde Bildung, fehlende Erziehung, keine soziale Verantwortung: "In der extremen Unterschicht", so Kerner, "fällt besonders auf, dass Respekt ein Code dafür ist, Angst zu verbreiten." Da wird Zorn in unkontrollierte Gewalt verwandelt, geht "vom Ohr oder Auge direkt in die Faust". Nicht selten ist in der Faust dann ein Messer, weiteres Instrument zur Verschaffung von vermeintlichem Respekt. Man habe es bei den meist jungen Gewalttätern oft mit beschädigten Identitäten zu tun, Menschen, denen am Gefühl auch für sich selbst fehlt. Wenn sie irgendwann doch noch reifen, sagt Kerner, "dann blicken sie darauf zurück wie auf ein Kriegserlebnis. Aber die wenigsten zeigen Reue."

(RP/jco)
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