Düsseldorf Frischer Glanz für alte Puppenaugen

Düsseldorf · Etwas reparieren zu lassen, entspricht eigentlich nicht dem Zeitgeist. Trotzdem gehen der Puppenklinik an der Alexanderstraße die Patienten nicht aus. Inhaber Christian Schneider erreichen Aufträge aus ganz Deutschland.

 Christian Schneider berät Kundin Renate Fischer in seiner Puppenklinik an der Alexanderstraße. Dort versetzt der "Puppendoktor", wie er sich selbst nennt, altes, in die Jahre gekommenes Spielzeug wieder in den Zustand, in dem es seine Besitzer als Kinder liebten.

Christian Schneider berät Kundin Renate Fischer in seiner Puppenklinik an der Alexanderstraße. Dort versetzt der "Puppendoktor", wie er sich selbst nennt, altes, in die Jahre gekommenes Spielzeug wieder in den Zustand, in dem es seine Besitzer als Kinder liebten.

Foto: Andreas Bretz

Sie wirkt wie aus der Zeit gefallen — die Puppenklinik an der Alexanderstraße. Nirgends Hochglanz, nichts entspricht dem Stil moderner Ladenlokale. In Vitrinen, die schon die Vorväter des heutigen Inhabers Christian Schneider nutzten, stapeln sich Köpfe und Gliedmaßen, finden sich Kleider und Schuhe — für altes Spielzeug. Hier geschieht alltäglich Außergewöhnliches: Bären, in der Waschmaschine blind geworden, bekommen wieder strahlende Augen. Schlenkerpuppen werden wieder zusammengeflickt, eingedrückte Celluloidköpfe wieder in die Form gebracht, in der sie ihre Besitzer vor vielen Jahren innig liebten.

Es muss etwas daran sein am Wiederherrichtenlassen alten Spielzeugs, denn Schneider führt die "Klinik" nun schon in vierter Generation. Und es kommen immer noch Leute, denen ihre Puppe, ihr Bär, ihr Plüschhündchen noch so einiges wert ist.

"Aus ganz Deutschland erreichen mich Pakete mit Reparaturaufträgen", sagt der 40-jährige Puppendoktor, der zunächst zehn Jahre lang in einer Bank arbeitete, bevor er ins elterliche Geschäft wechselte, das er Anfang 2012 übernahm. Zwar sei die Zahl derer, die reparieren ließen, statt ein Spielzeug durch ein neues zu ersetzen, zurückgegangen. Aber genug zu tun gebe es immer noch. Denn das Material, aus dem die Puppen hergestellt wurden, ermüdet nach 40, 50 Jahren, und so zerspringt die Spielsache leichter, wenn sie fällt. Dann aber kann Schneider aus dem riesigen, 300 Quadratmeter großen Fundus an Ersatzteilen schöpfen, den sein Urgroßvater, Großvater und Vater, ursprünglich Großhändler für Puppen und Spielwaren, aufbauten und pflegten. Doch sind es nicht nur antike Puppen und Bären, die Schneider wieder instand setzt. Auch Fantasyfiguren behandelt er, genauso wie einen Hoppeditz, den ihm eines Tages zwei Köbesse in den Laden trugen. "Der hatte beim Einlagern einen Kopfschaden erlitten und sollte zum Sessionsbeginn wieder komplett sein", berichtet Schneider. Ihn richtete er ebenso wieder her wie ein lebensgroßes Stoffkalb, das einen Huf verloren oder einen Engel, dessen Gesicht arg gelitten hatte. Auch eine gerade erst vor vier Jahren gekaufte Babypuppe ist schon durch seine Hände gegangen.

Meist allerdings sind Schneiders Patienten weit älter, stammen noch aus Kriegszeiten, in denen Kinder oft nur eine Spielsache hatten, an denen das Herz ihrer Besitzer heute noch hängt. "Dabei geht es häufig nicht nur darum, ein kaputtes Teil zu ersetzen, sondern die Originalteile sollen wieder hergerichtet werden", sagt der Puppendoktor. Fehlt in einem solchen Fall etwa einem Kopf ein Stück, modelliert er es nach, setzt es ein, schleift es bei und lackiert es neu. "Zur Begründung höre ich oft: ,Das ist mein Erinnerungsstück, das muss gemacht werden, das ist dann mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst'", sagt Schneider.

Wie die Filzpuppe mit beweglichen Armen aus den 1920er Jahren, die ihm eine Wuppertalerin brachte. "Arme und Hände waren fast völlig zerschlissen. So habe ich mir aus dem, was noch brauchbar war, ein Schnittmuster gemacht, nach dem ich sie nachschneidern konnte — und die Begeisterung war groß."

Wie groß die Freude sein kann, lässt sich an einem liebevoll gestalteten mehrseitigen Dankesbrief für die Reparatur einer Puppe aus den 1930er Jahren ablesen, der Schneider aus dem ostfriesischen Leer erreichte. Um seinen Kunden entgegenzukommen, steht er im ganzen Land als Puppendoktor auf Antikmärkten, verarztet gleich dort kleinere Blessuren wie ausgeleierte Gummibänder von Puppenarmen und -beinen. Schwierigere Fälle nimmt er mit in seine Düsseldorfer Werkstatt. Dort setzte er dieser ostfriesischen Puppe neue Augen ein. Er ließ einen Riss im Gesicht verschwinden, restaurierte Füße und Hände und schickte sie zurück nach Leer. Zum Dank dafür, dass das Spielzeug bei seiner Frau für Freudentränen unterm Christbaum gesorgt hatte, bekam er jenes illustrierte Schreiben von seinem Auftraggeber.

"Mit einem Spielzeug", sagt Schneider, "verbinden die meisten glückliche Erinnerungen." Und Gefühle sind — auch in einer Wegwerfgesellschaft — offenbar zeitlos.

(dkd)
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