Bundesfreiwilligendienst Freiwillige dringend gesucht

Düsseldorf · Die am Freitag ausgelaufene Pflicht zum Wehrdienst führt zum Wegfall von 70.000 Zivildienstleistenden. Nun sind soziale Einrichtungen angewiesen auf junge Menschen, die sich freiwillig engagieren – und erklären, warum der Dienst interessant ist.

 FSJ-ler Janette Stanczak (links) und Zivi Kevin Büstorf mit Schülerin Verena an der LVR-Schule.

FSJ-ler Janette Stanczak (links) und Zivi Kevin Büstorf mit Schülerin Verena an der LVR-Schule.

Foto: Christoph Goettert (goet)

Die am Freitag ausgelaufene Pflicht zum Wehrdienst führt zum Wegfall von 70.000 Zivildienstleistenden. Nun sind soziale Einrichtungen angewiesen auf junge Menschen, die sich freiwillig engagieren — und erklären, warum der Dienst interessant ist.

Sie helfen schwerstbehinderten Kindern im Schulalltag, lesen alten Menschen vor, leisten Zuspruch und Hilfe im Rettungswagen, unterstützen die Arbeit ambulanter Sozialdienste. Die Liste der Einsatzmöglichkeiten der jährlich 70.000 Zivildienstleistenden ist lang, aus sozialen Einrichtungen sind sie ebenso wie die Absolventen des freiwilligen sozialen Jahres (FSJ) nicht wegzudenken. Und doch gehört diese gesellschaftlich so wichtige Arbeit seit gestern der Vergangenheit an — mit dem Ende der Wehrpflicht wird es auch keinen Zivildienst mehr geben. An seine Stelle tritt der BFD — der Bundesfreiwilligendienst, für den es jedoch gemessen am Bedarf viel zu wenig Anmeldungen gibt.

Vertreter sozialer Organisationen suchen nun dringend junge Menschen, die sich nach dem Schulabschluss freiwillig für mindestens sechs Monate engagieren. "Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man sich der Gemeinschaft verpflichtet fühlen sollte. Auch muss man besser kommunizieren, wie ungeheuer erfüllend es ist, sich für Hilfsbedürftige einzusetzen", findet Schulleiterin Anke Abbenhaus von der LVR-Förderschule am Volksgarten für behinderte Kinder. Sie selbst hat oft erlebt, wie entscheidend dieses Engagement für den Lebensweg junger Leute sein kann. "Sie treffen auf ein ganz anderes Umfeld als zu Hause oder in der Schule, sie lernen Verantwortung, Selbständigkeit, Gemeinschaftsgefühl und neue Berufsmöglichkeiten kennen."

Abbenhaus erzählt, wie unbefangen und geduldig die insgesamt zwölf jungen Helfer mit den teils schwerstbehinderten Kindern umgehen. Neben Unterrichtsassistenz und Hilfe bei der Fortbewegung sind sie auch für intensive Einzelbetreuung zuständig, sie füttern und windeln ihre Schützlinge, lernen deren kleinstes Augenzwinkern zu deuten. "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man Zugang zu dem betreuten Kind findet, es versteht und merkt, dass es sich positiv entwickelt. Man würde alles für sie tun", berichtet Kevin Büstdorf (20), der nach dem Abitur am Goethe- Gymnasium seinen Zivildienst an der LVR-Schule absolvierte.

Diese Zeit möchte der angehende BWL-Student nicht missen, denn ganz anders könne er nun auf Menschen zu gehen, viel offener, ruhiger und verantwortungsbewusster sei er geworden. Auch FSJ-lerin Jeanette Stanczak (22) erzählt von bewegenden Momenten und davon, welches Glück es bereitet, die kranken Kinder zu fördern und liebevoll zu umsorgen: "Ihre Freude über kleine Dinge ist so unverstellt und ehrlich. Man bekommt so viel von ihnen zurück. Darüber hinaus lernt man, wie wichtig ein Team ist, in dem sich einer auf den anderen verlassen kann. Ich würde jedem empfehlen, nach der Schule eine solche Pause einzulegen. Auch finanziell kommt man mit Wohngeld, Kindergeld und dem Taschengeld von etwa 330 Euro und der komplett übernommenen Sozialversicherung gut klar."

Für die Abiturientin aus Osnabrück war das freiwillige Jahr richtungsweisend — sie wird im Herbst Sonderschulpädagogik studieren. Kritik an der nicht durchdachten politischen Entscheidung, den Zivildienst ohne ausreichenden Ersatz abzuschaffen, äußert Marion Rheinfeld vom DRK Kreisverband Düsseldorf. "Diese engagierten Helfer haben für alle Wohlfahrtsverbände wie Diakonie, Caritas oder uns eine ungeheuer wichtige soziale Funktion."

Dank 54 Zivildienstleistenden und 17 Absolventen des freiwilligen sozialen Jahres könnten die DRK-Mitarbeiter den Senioren in den Heimen, dem betreuten Wohnen oder den Begegnungsstätten ein großes Plus an Zeit, Zuwendung und Aufmerksamkeit schaffen. Die jungen Menschen beschäftigen sie und helfen bei der Tagesstrukturierung, sie spielen und musizieren mit ihnen, begleiten sie beim Arztbesuch oder hören einfach zu. "Sie bekommen dabei selbst viel zurück — Zuneigung, Lebensweisheit, andere Sichtweisen. Zudem können sie in der Tagespflege, dem Rettungs- und Sanitätsdienst, in der stationären Betreuung oder den Bildungszentren in viele Berufe schnuppern", sagt Rheinfeld.

Auch Karrieren können so anfangen: Es sind zwei ehemalige Zivildienstleistende, die beim DRK Leiter des gesamten Rettungsdienstes wurden, nicht selten wählen Zivis den Beruf des Sanitäters. Mareike Dietzfelbinger vom EVK kann im sozialen Dienst für alle Beteiligten nur Positives sehen. "Unsere 14 Zivis wurden im Krankenhaus, dem Pflegeheim und im Hospiz vor allem im Patientenbegleitdienst eingesetzt. Sie lernten einen Bereich des Lebens kennen und schätzen, der ihnen meist bis dahin fremd war. Viele unserer Zivis haben sich im Anschluss an ihren Dienst im EVK für eine Ausbildung im pflegerischen Bereich entschieden."

Sie bedauert, dass für den Bundesfreiwilligendienst bisher kaum Nachfrage besteht: "Uns fehlen diese hochmotivierten jungen Männer, die ihren Einsatz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden haben", stellt sie fest und spricht damit für alle, die auf die Hilfe engagierter Freiwilliger angewiesen sind.

(RP)
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