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Düsseldorf · Der Bertha-von-Suttner-Platz: Wo die Bildung ihre Heimat hat.

 Der Eingang zur Zentralbibliothek: Das Tor in eine andere Welt am Bertha-von-Suttner-Platz in Oberbilk.

Der Eingang zur Zentralbibliothek: Das Tor in eine andere Welt am Bertha-von-Suttner-Platz in Oberbilk.

Foto: Endermann

Oberbilk Der Film, in dem der Bertha-von-Suttner-Platz die Hauptrolle spielen könnte, müsste ein Endzeitfilm sein. Eine Zukunftsvision der 1970er Jahre, als man sich vor Atomkrieg und globaler Zerstörung fürchtete, der Platz wäre das letzte Überbleibsel einer Zivilisation, die sich letztlich selbst zerstörte, aus Beton und Glas; die faschistoide Natursteinfassade aus Bornholmer Granit zieht sich bis in den grauen Himmel. In der Mitte nieselt der Regen in flache Betonbecken, die im Sommer einen Brunnen darstellen sollen. Beschmierte Skulpturen aus Edelstahl und dieses vor sich hinrottende Dach, dessen weiße Streben wie ein Skelett mickrige, grünspanverschmierte Glasscheiben halten.

Wer schnell einen Fluchtweg braucht und Verfolger verwirren will, wäre hier gut aufgehoben, streitende Pärchen, Menschen mit bösen Absichten und doch: es gibt eben auch die anderen, die, die das Schwarzlicht im Waschraum der Zentralbibliothek irritiert, weil sie nicht wissen, dass die Junkies so keine Vene finden. Viele von ihnen sitzen in dem Lesesaal, der eben jene Aussicht hat: auf das Chaos, auf das Hässliche, das am späten Nachmittag erst interessant wird, wenn die Dämmerung Menschen zu Schatten werden lässt.

Da sitzen sie und lesen sich weg. Viele alte Menschen, die sich die Zeitungen nicht kaufen können, Ausländer mit fremdsprachigen Büchern, der Musiker, der Partituren studiert. Stundenlang Mozart. Da sind Angestellte, die sich Zeit genommen haben, auf den Zug warten und Gedichte auswendig lernen. Einer liest wirklich Kafka und blickt zwischendurch auf eben jenen Platz, der alles ist, aber nicht gefällig.

Es gibt Kaffee, Rollkoffer, Kinderwagen, Behinderte, die Wagen voller Bücher durch die Gänge schieben, um sie später einzusortieren. Würdevoll schleichen weißhaarige Männer durch das Foyer, Kinder rennen durch in die Kinderabteilung, vorbei an einer Ausstellung über Flüchtlinge in Deutschland. Kafka schreibt: "Die Furcht ist das Unglück, deshalb ist nicht Mut das Glück, sondern Furchtlosigkeit."

(RP)
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