Ausstellung "(Tat)Orte" im NRW-Forum Fotografie des Grauens

Düsseldorf (dto). "Seit ihrer Erfindung pflegt die Fotografie den Umgang mit dem Tod", behauptete die US-Schriftstellerin Susan Sontag. Und die Kamera kennt offenbar keine Tabus. Sie nimmt die erhängte Selbstmörderin am Baum genauso ungeschönt ins Visier wie die Schießerei im Supermarkt. Polizei- und Pressefotografen lichten erschossene, vom Blitz erschlagene, von Bahnrädern zerschnittene, bei Unfällen zermalmte, ertrunkene oder vergiftete Menschen ab. Abbilder des realen Grauens zeigt die Ausstellung "(Tat)Orte" ab Donnerstag im NRW Forum. Zu sehen sind hunderte Bilder dreier weltberühmter Fotografen sowie Aufnahmen aus dem Polizeiarchiv von Los Angeles.

 Einschusslöcher in einem Fenster des Autos, in dem jemand ermordet worden war, ca. 1950.

Einschusslöcher in einem Fenster des Autos, in dem jemand ermordet worden war, ca. 1950.

Foto: duesseldorf, aktuell, tatorte, weegee, nrw forum, 060531

Bilder von Katastrophen faszinieren den Menschen, und von denen, die sie fotografieren, hat der 1934 geborene Mexikaner Enrique Metinides die erschreckendsten Abbilder geliefert. Der Zeitungsfotograf sah Menschen erstochen, verbrannt am Strommast hängen, schreckte auch nicht davor zurück, das Gesicht einer gerade von einem Auto zerquetschten Schriftstellerin abzulichten. Seine Fotos sind eine Enzyklopädie der Art und Weise, wie Menschen zu Schaden kommen können und lassen an Alfred Hitchcocks These denken: "Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." Dennoch haben seine Fotos den Weg in die Kunst gefunden. Zurzeit verhandelt das New Yorker Museum of Modern Art über den Ankauf von Metinides-Bildern.

Eine frühe Legende der amerikanischen Tatfort-Fotografie war Weegee, der sich "the famous" nannte und eigentlich Arthur Fellig hieß. Er hörte als einer der ersten den Polizeifunk ab und war oft noch vor den Beamten am Ort des Verbrechens. Wenn er eintraf, lagen die Opfer von Morden, Unfällen und Bränden noch unverhüllt auf der Straße, schlugen Feuergarben aus Gebäuden. In seinen Reportagefotos aus den späten 30er Jahren zeigt er das nächtliche Amerika der Verlierer und Underdogs. Dabei wurden seine Fotos zu einer Liebeserklärung an New York. "Ich hatte die Seele der Stadt fotografiert, die ich in- und auswendig kannte und die ich liebte", erklärte er einmal.

Der 1925 geborene Schweizer Polizeifotograf Arnold Odermatt hat sich auf eine einzige Spielart des Grauens "spezialisiert". Seinen Dienstauftrag, Unfälle zu fotografieren, führt er mit Genauigkeit und Sinn für das Bildhafte aus: Die schweizerische Landschaft mit ihren Wiesen, Bäumen und Seen wird auf seinen Bildern unfreiwillig zu einer Bühne für den Schrecken. Bei einem zweiten Typus von Fotografie zieht er den Blickradius enger, fokussiert auf das Auto und liefert Nahaufnahmen von ineinander verkeilten Wagen, von aufgeschlitzten Kotflügeln, aufgerissenen Kühlerhauben, zerdepperten Scheiben.

"Quälende Fotos verlieren nicht unbedingt ihre Kraft zu schockieren. Aber wenn es darum geht, etwas zu begreifen, helfen sie kaum weiter. Erzählungen können uns etwas verständlich machen. Fotos tun etwas anderes: sie suchen uns heim und lassen uns nicht mehr los", behauptete Susan Sontag. Die aufrüttelnde Wirkung des Tatort-Fotos ist aber nur eine Seite. Als um 1900 die erkennungsdienstliche Tatortfotografie als Beweismittel zugelassen wird, wird ein technisches Medium zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge herangezogen. Davon zeugen die Bilder aus dem Los Angeles Police Archive. Es sind klassische Tatort-Fotos, präzise und unaufgeregt. Und doch erinnern sie heute eher an den Film Noir als an die schrecklichen Taten, die sie dokumentieren.

Die schrecklichsten Tatort-Fotos sind möglicherweise aber die jüngsten: Überlebende der Terroranschläge in Londons Untergrund-Bahn schickten Handyfotos vom Tatort and die BBC.

(Tat)Orte - Odermatt/Weegee/Metinides, LA Police Archive
1.6. bis 6.8.2006
NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf
Dienstag bis Sonntag von 11 — 20 Uhr, Freitag bis 24 Uhr
Eintritt 5,50 Euro, Katalog 19,50 Euro

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