Forschung in Düsseldorf Die Demokratie braucht Bewegung

Düsseldorf · Waren die radikalen Einschnitte in die Bürgerrechte während der Corona-Zeit angemessen? Darüber diskutiert eine Düsseldorfer Wissenschaftlerin mit Bürgern per Video-Chat.

 Sophie Schönberger findet, dass die Grundrechte die Krise gut überstanden haben.

Sophie Schönberger findet, dass die Grundrechte die Krise gut überstanden haben.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht, Reisefreiheit, Religionsfreiheit – Wochen lang war das öffentliche Leben auf ein Minimum gedimmt, und bisher selbstverständliche Gewissheiten galten plötzlich nicht mehr. „Wir haben Einschränkungen unserer Freiheitsrechte erlebt, wie wir sie bislang nicht kannten und nicht für möglich gehalten hätten“, sagt Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Düsseldorf.

Aber waren die radikalen Einschnitte in die Grundrechte tatsächlich angemessen? Und setzt die Politik die Freiheit der Gesellschaft aufs Spiel? Darüber diskutiert die Juristin öffentlich, zwar nicht im Saal und vor Publikum, sondern digital – denn die Einschränkungen durch Corona sind ja noch lange nicht vorbei.

„Das Grundgesetz wird diese Pandemie überstehen, ohne Schaden zu nehmen!“ So lautete das Statement von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Aber stimmt die Einschätzung des Staatsoberhaupts aus Sicht der Wissenschaft? „Die Grundrechte nehmen dann keinen Schaden, wenn die Beschränkungen der Freiheit angemessen sind“, so Sophie Schönberger.

Und ja, sie kann nachvollziehen, dass diese Einschnitte wohl die einzige Möglichkeit waren, um eine Katastrophe zu verhindern. Wobei sie unterscheidet: Kontaktbeschränkungen wie sie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen angeordnet wurden, hält sie für „verhältnismäßig“, dagegen bezweifelt sie, dass die konsequenten Ausgangssperren in Bayern gerechtfertigt waren.

Der Bundesregierung attestiert die Juristin, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden mussten, ohne genug über die Gefährlichkeit des Coronavirus zu wissen. „In der Politik gibt es ja häufig nicht die eine richtige Lösung. Und oft weiß man eben erst im Nachhinein, wie man hätte entscheiden sollen.“ Die Bedrohung auf der einen Seite, das fehlende Wissen andererseits hätten die radikalen Einschnitte gerechtfertigt.

Außerdem: Bei so viel Unsicherheit, gewährt das Recht der Politik einen weiten Beurteilungsspielraum. Insgesamt hätten die Grundrechte die Krise gut überstanden, meint die Wissenschaftlerin. „Zumal die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte sehr abgewogen entschieden haben, indem sie beispielsweise Demonstrationen bald wieder zuließen.“

In ihren aktuellen Forschungsprojekten beleuchtet Sophie Schönberger auch aus anderen Blickwinkeln, wie die Pandemie die Politik verändert – und welche Probleme die Parteien in Corona-Zeiten haben. Zum Beispiel vor der geplanten Kommunalwahl im Herbst, die ohne den gewohnten Wahlkampf, ohne Info-Stände und Versammlungen vorbereitet werden muss. Nur Flyer, Plakate, Online-Austausch, geht das überhaupt?

„Es ist sehr ungewohnt für die Parteien, dass sie auf den unmittelbaren Bürgerkontakt verzichten müssen. Das verändert die Form der Kommunikation total.“ Allerdings gibt sie zu bedenken, dass zu Wahlveranstaltungen in erster Linie Menschen gehen, die sich bereits für eine Partei entschieden haben, deren Überzeugung sich allenfalls noch vertiefen lassen, die noch mobilisiert werden sollen.

Aber es geht ja auch um die Frage, wie Demokratie überhaupt gelebt wird in Zeiten von Corona. So steht beispielsweise die CDU vor dem Problem, bis Ende des Jahres einen neuen Parteivorstand wählen zu müssen, „wollte sie das mit ihren rund tausend Delegierten organisieren, müsste sie schon das Olympiastadion mieten, um die Abstandsregeln einhalten zu können“, so Sophie Schönberger.

Briefwahl wäre prinzipiell denkbar, aber dafür müsste das Parteiengesetz, das noch aus dem Jahre 1967 stammt, geändert werden. Außerdem: Würde es dann zu einer Stichwahl kommen, dauerte das Verfahren per Briefwahl viel zu lang. „Und eine Abstimmung per Wahlcomputer wäre mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren, weil befürchtet wird, dass eine elektronische Stimmabgabe anfällig für Manipulationen sein könnte“, erläutert die Wissenschaftlerin.

Grundsätzlich brauche die Demokratie die Anwesenheit von Menschen. Eine Videokonferenz sei sicher mal akzeptabel, aber eben eine andere Form des Miteinanders. Diskutieren, streiten, Kompromisse aushandeln, ein Vier-Augen-Gespräch auf dem Gang, die Verständigung über Blicke und Gesten – all das gehört schließlich zum politischen Geschäft. „Es ist eine andere Wahrnehmung, ob Menschen sich treffen oder virtuell kommunizieren“, sagt Sophie Schönberger. Ihr Fazit: „Die Demokratie braucht Begegnung.“

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