Drei Tote in Düsseldorf und Erkrath Florian R. rettete Anwalt nach Amoklauf

Düsseldorf/Erkrath · Der 36-Jährige arbeitet in einem Büro unter der Erkrather Kanzlei, in der Yanqing T. am Freitag eine Frau erschoss und einen Mann verletzte. Der Täter war laut Staatsanwaltschaft durch verlorene Gerichtsverfahren in Geldnot geraten.

Bluttat in Erkrath - Frau stirbt
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Der Amokläufer Yanqing T., der bei einem Rachefeldzug drei Menschen in Düsseldorf und Erkrath getötet hat, war durch verlorene Gerichtsverfahren in große Geldnot geraten. Er habe die Summe für Geldstrafe, Schmerzensgeld, Gerichts- und Anwaltskosten nicht mehr aufbringen können und sei verzweifelt gewesen, sagte Staatsanwalt Christoph Kumpa. Seine Anwälte hätten dem 48-Jährigen davon abgeraten, noch mehr Geld in aussichtslose Berufungsverfahren zu stecken. Das habe er aber nicht akzeptieren wollen. Yanqing T. hat gestanden, am Freitag zwei Anwälte und eine Anwaltsgehilfin getötet zu haben. Er war später im niederrheinischen Goch gefasst worden, wo er zwei Frauen durch Schüsse verletzte.

Einer, den die Ereignisse jenes Tages noch lange verfolgen werden, ist Florian R. Den "Helden von Erkrath" haben ihn einige genannt. Weil er half, als der auf den Rollstuhl angewiesene Anwalt Thorsten G. in seinem Büro eingeschlossen war, das Yanqing T. in Brand gesteckt hatte. Weil er versuchte, auch Anwaltsgehilfin Regina H. zu retten, die später trotz der Bemühungen des Arztes starb. Dass er ein Held sei, will er nicht hören: "Ich bin eigentlich nicht gern im Mittelpunkt."

Ihm sei unbegreiflich, sagt Florian R., wie in Minuten aus einem normalen Arbeitstag etwas so Schreckliches werden konnte. Der 36-jährige Solinger arbeitet als IT-Techniker für eine Softwarefirma — im Büro unter der Anwaltskanzlei, in der der Asiate Regina H. erschoss und Thorsten G. mit einem Bauschschuss verletzte. R. hörte an seinem Arbeitsplatz Lärm aus der Kanzlei. Was dann passierte, kann er genau wiedergeben, in vielen schlimmen Details. "Das steckt man nicht einfach weg", sagt er leise.

Als R. an jenem Tag zur Mittagszeit plötzlich ein Poltern vernimmt und Hilferufe zu hören glaubt, geht er ins Treppenhaus und horcht — doch nun ist es still. Wenige Minuten später alarmiert ihn seine Kollegin: Diesmal sind die Hilferufe von Thorsten G. deutlich zu verstehen, Florian R. eilt nach oben zu der brennenden Kanzlei: "Jetzt war klar, dass es um Leben und Tod geht." R. holt einen Feuerlöscher, um das schwere Sicherheitsglas der Kanzleitür einzuschlagen. Dass er sich dabei an der Hand verletzt, spürt er kaum, entfernt die letzten Scherben mit dem Fuß. "Da hörte ich von innen den Anwalt rufen, ich soll vorsichtig sein. Vor der Tür liege Frau H., die hätte der Angreifer erschossen." Erst jetzt begreift R., dass es um mehr als einen Feueralarm geht.

Er zieht zunächst die Frau durch die eingeschlagene Tür nach draußen — ob sie noch lebt, kann er zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Danach öffnet er die nun freie Tür für den im Rollstuhl sitzenden Anwalt, der endlich die völlig verrauchte Kanzlei verlassen und den Aufzug nach unten nehmen kann. "Sehen konnte ich ihn erst gar nicht, es war stockfinster", erinnert sich R. Nachdem er auch in den anderen Büros des Gebäudes Alarm geschlagen hat, trifft er im Erdgeschoss wieder den Anwalt, hilft ihm jetzt, das Gebäude zu verlassen.

Schließlich kehrt R. noch einmal nach oben zurück, um sich um die Anwaltsgehilfin zu kümmern. "Ich habe angenommen, dass sie tot ist. Aber ich hoffte, dass ich doch noch helfen kann." Florian R. trägt die Frau also in den Aufzug, schickt sie damit nach unten, bringt sie in den geschützten Bereich der Tiefgarage. Auch dort kann er keine Lebenszeichen feststellen. "Ich war so nervös, hatte wohl selbst einen Puls von 200", wird er später seiner Mutter erzählen. Mit einem weiteren Helfer bringt er die Frau in die stabile Seitenlage, ehe er nach draußen eilt, um die eintreffenden Krankenwagen zu lotsen.

Woher er in diesen Minuten die Kraft nimmt, kann er später nicht sagen. "Ich bin schon ein kräftiger Typ", sagt er — aber auch: "Das war vermutlich das Adrenalin." An seine eigene Sicherheit hat er keinen Moment gedacht, nie innegehalten: "Ich habe einfach funktioniert." Seine Kollegin schreit er in der Aufregung regelrecht an, sie solle Polizei und Feuerwehr alarmieren: "Das tut mir jetzt schon ein bisschen leid." Übelgenommen hat sie es ihm vermutlich nicht. Mit einer leichten Rauchvergiftung muss R. am Freitag selbst in die Düsseldorfer Uni-Klinik gebracht werden, wird dort mehrere Stunden versorgt. Schlimmer sind aber die psychischen Belastungen: Er nimmt die Hilfe eines Notfallseelsorgers in Anspruch, will sich bei diesem bald erneut Hilfe holen. Heute soll er erstmals wieder zur Arbeit gehen, in das Bürohaus, in dem er am Freitag Thorsten G. das Leben gerettet hat. Wie das sein wird, mag er nicht voraussagen: "Das sehe ich dann", sagt er.

Die Kleidung, die er bei dem Vorfall trug, hat der Solinger längst weggeworfen, sofort, als er abends nach Hause kam. "Selbst wenn man alle Flecken herausbekäme, könnte ich sie nie wieder tragen."

(RP)
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