Düsseldorf Experten streiten über den "Wahn der Akademisierung"
Düsseldorf · In der Handwerkskammer Düsseldorf wurde gestern Abend lebhaft diskutiert. In einem Streitgespräch traf Julian Nida-Rümelin, Professor der Philosophie und ehemaliger Kultus-Staatssekretär, auf Olaf Gersemann, Wirtschaftsredakteur bei der Tageszeitung "Die Welt". Das Thema der Podiumsdiskussion, die von der Handwerkskammer in Kooperation mit dem ASG-Bildungsforum ausgerichtet wurde: "Wieweit gefährdet der Akademisierungswahn die berufliche Bildung?" Eine Frage, die offensichtlich viele Menschen interessierte. Annähernd 300 Gäste nahmen an dem intellektuellen Schlagabtausch teil.
Nida-Rümelin warnte eindrücklich vor dem Glauben, dass man nur durch ein Hochschulstudium aufsteigen könne. So blieben viele Ausbildungsplätze unbesetzt, weil es junge Menschen an die Uni treibe. Und viele Akademiker würden keine entsprechenden Jobs finden. Im Ergebnis führe das zu einem großen Mangel an handwerklichen und technischen Fachkräften - bis 2030 fehlten bis zu drei Millionen ausgebildete Arbeitskräfte. "Wir gefährden eine der Stärken Deutschlands: die berufliche Ausbildung im dualen System", sagte Nida-Rümelin. Und er führte an, dass internationale Vergleiche zeigten, dass eine höhere Akademikerquote nicht gleich mehr Wohlstand bedeute.
Der Journalist Gersemann widersprach, dass es sehr wohl einen Zusammenhang gebe. Und er kritisierte, dass die berufliche Ausbildung mittelmäßige, zum Teil nicht mehr nachgefragte Qualifikationen erzeuge. "Speziell die digitale Revolution, deren Ausmaß noch gar nicht abzuschätzen ist, verlangt nach ganz anderen Kompetenzen, als sie Ausbildung und Massenuni liefern", sagte der Journalist. Infolge des tiefgreifenden Wandels würden Verwaltungstätigkeiten und weniger spezialisierte Tätigkeiten wegfallen. Am deutschen Ausbildungssystem werde "die Welt nicht genesen".