Etwa 19,2 Prozent der Düsseldorfer gelten als arm „Es reicht immer nur so ganz knapp“

Düsseldorf · Etwa 19,2 Prozent der Düsseldorfer gelten als arm, haben weniger als 848 Euro im Monat zum Leben. Ute Rasch stellt zwei vor.

 Ekkehard Kuschner ist heute 84 und auf finanzielle Hilfe angewiesen. Das hätte er sich früher nie träumen lassen. Er ist dennoch zufrieden.

Ekkehard Kuschner ist heute 84 und auf finanzielle Hilfe angewiesen. Das hätte er sich früher nie träumen lassen. Er ist dennoch zufrieden.

Foto: Endermann, Andreas

Ekkehard Kuschner

 Sandra Schulze (39) ist froh, dass sie in der Lebensmittelausgabe der Diakonie kostenlose Lebensmittel bekommt.

Sandra Schulze (39) ist froh, dass sie in der Lebensmittelausgabe der Diakonie kostenlose Lebensmittel bekommt.

Foto: Bretz, Andreas

Er gehört zu diesen seltenen Menschen, bei denen man an trüben Tagen eine Portion Optimismus tanken könnte. Schon auf den ersten Blick strahlt Ekkehard Kuschner ansteckende Heiterkeit aus. Selbstverständlich ist das nicht, denn der 84-Jährige lebt von der so genannten Grundsicherung, muss mit 390 Euro über den Monat kommen. "Das hätte ich mir früher nie vorstellen können." So wie ihm geht es mittlerweile vielen Menschen — auch in der Landeshauptstadt. Nach einer aktuellen Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung, sind mehr als 100 000 Düsseldorfer akut von Armut bedroht.

Als arm gilt, wer als Alleinstehender weniger als 848 Euro zum Leben hat. Das sind die 62 000 Düsseldorfer, die von Hartz IV leben. Dazu kommen alle mit geringem Einkommen, denen der Staat einen Zuschuss zum Leben zahlt. Gerade bei Alleinerziehenden und immer mehr alten Menschen, meist Frauen, reicht die schmale Rente auch für ein bescheidenes Dasein nicht aus.

Bei Ekkehard Kuschner hat in seinem früheren Leben nichts darauf hingedeutet, dass er im Alter auf Hilfe angewiesen sein würde. Er war selbstständiger Fotograf, bestand 1971 seine Meisterprüfung, bildete Lehrlinge aus, war Innungsobermeister in Krefeld. "Ich hab' immer gut verdient, bin viel gereist." Mit 70 Jahren machte er sich in Düsseldorf noch mal mit einem Fotostudio selbstständig, investierte viel Geld in die digitale Technik, "aber ich habe meine Kredite schnell abgezahlt."

Vielleicht ging alles in seinem Leben ein bisschen zu glatt, Geld war immer da, er musste sich keine großen Gedanken darüber machen. So erfüllte er sich 2006 noch einen Lebenstraum: eine eigene Galerie. Kuschner setzte alles auf eine Karte, investierte sein ganzes Geld. Der Rest ist schnell erzählt: Vier Ausstellungen in 13 Monaten, kaum ein verkauftes Bild, Schulden, die er nicht mehr abbezahlen konnte. Schließlich die Insolvenz. "Erst war mir der Gedanke unerträglich, auf Unterstützung angewiesen zu sein", meint er rückblickend.

Heute lebt er in einem bescheidenen Appartement einer Senioren-Wohnanlage der Diakonie, "ich bin dankbar, vom sozialen Netz aufgefangen worden zu sein." Dieses Gefühl spornt ihn an, sich in seinem Alltag nützlich zu machen. So fährt er gelegentlich seine Nachbarinnen mit seinem alten Auto, das ihm aus besseren Zeiten geblieben ist, zum Einkaufen und bekommt als Gegenleistung ein paar Euro Spritgeld als Dankeschön. Und die Fotografie? Die ist ihm auch geblieben, die Kalender der Wohnanlage zeigen, dass er seinen besonderen Blick auf die Welt nicht verloren hat, "außerdem fotografiere ich jeden neuen Bewohner."Und hin und wieder reicht sein schmales Budget für ein Fläschchen roten Sekt für 2,50 Euro, "das trink ich dann mit einer Nachbarin", sagt er und lächelt sein Schelmenlächeln.

Dazu passt seine Lebenseinstellung: "Ich würde zwar gern öfter ins Konzert oder Theater gehen, aber man darf nicht jammern." Pause. "Eigentlich bin ich ein glücklicher Mensch."

Sandra Schulze

Beim ersten Mal muss die Überwindung groß gewesen sein. Aber irgendwann gewöhnt man sich daran, hier in der Schlange zu stehen. In den Lebensmittelausgaben der Diakonie wird kostenlos verteilt, was in den Düsseldorfer Läden nicht mehr verkauft wird, weil die Paprikaschoten ein paar Flecken haben, weil das Verfallsdatum des Joghurts gerade abgelaufen ist. Eine von denen, die hier anstehen, ist Sandra Schulze (39), Mutter von zwei Söhnen. Später wird sie einen vollen Einkaufswagen mit Gemüse und Obst nach Hause fahren: "Das hier ist ein großer Segen für mich."

Sie weiß genau, wann sie in die "Sozialhilfefalle" geraten ist. So nennt Sandra Schulz den Zeitpunkt, als sie nicht mehr allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnte: "Als mein ältester Sohn 1995 geboren wurde." Bis dahin hat sie gut leben können, hatte einen sicheren Arbeitsplatz in der Düsseldorfer Stadtbibliothek. Aber mit Kind und ohne Mann ("der hatte sich schon während der Schwangerschaft abgesetzt und zahlte später keinen Unterhalt") musste sie ihre Arbeitszeit halbieren. Und damit auch ihr Einkommen. Ihre finanzielle Misere verschärfte sich, als sie nur 20 Monate später ihren zweiten Sohn bekam. Auch die Beziehung zu seinem Vater ging bald in die Brüche. "Armut durch Kinder, das passiert ziemlich oft" weiß Andrea Schmitz, die Menschen, die zu den Lebensmittelausgaben kommen, soziale Beratung anbietet. Hier begegnen ihr immer häufiger auch junge Menschen, die wie Sandra Schulze zu ihrem schmalen Einkommen staatliche Unterstützung brauchen.

"Früher haben wir am Monatsende oft von Nudeln mit Tomatensauce gelebt", berichtet sie. Da war es schon ein Problem, wenn eines der Kinder neue Schulhefte brauchte. Und heute? "Es reicht immer so ganz knapp, aber ich kann nie was sparen, hab' immer Angst, dass etwas repariert werden muss." Ihr ältester Sohn fand soeben in einem Hotel einen Ausbildungsplatz als Koch. Glücklich sei sie darüber, "aber dazu braucht er Arbeitsschuhe, die 90 Euro kosten". Wie sie die bezahlen soll, weiß sie heute noch nicht.

Fühlt sie sich arm? "An solchen Tagen sicher." Auch vor Weihnachten, als plötzlich ihre beiden Katzen krank wurden und die Tierarztbehandlung 300 Euro kostete, "da blieb kaum noch was übrig für Weihnachtsgeschenke." Ihre Söhne kämen trotzdem ganz gut damit klar, dass sie ihre Wünsche selten erfüllen kann, dass sie immer nur gebrauchte Sachen tragen. Aber wenn sie sich was wünschen könnte, wären es gemeinsame Ferien, "Wir sind noch nie zusammen verreist."

Empfindet sie manchmal Neid auf die, die sich alles leisten können? "Damit hab' ich kein Problem." Eher schon mit denen, die von Hartz- IV-Empfängern denken, dass doch alle Schmarotzer seien. "Das verletzt mich." Aber einen Ort gibt es in Düsseldorf, wo sie das vergessen kann, wo sie Freunde trifft und manchmal auch ihren Frust raus schreien kann: beim Eishockey. "Das ist meine große Leidenschaft."

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