"Ein Beitrag zum Frieden im Nahen Osten" Einzigartiger Studiengang der Heinrich-Heine-Uni

Düssedorf · Düsseldorf ist die Plattform für eine erstaunlich konkrete Friedensinitiative, die von einem weltweit einzigartigen Studiengang ausgeht. An der Heinrich-Heine-Universität absolvieren Studierende aus Israel, Palästina und Jordanien ihr letztes Hochschuljahr gemeinsam. Bundespräsident Joachim Gauck sprach bei seinem Besuch in Düsseldorf im vergangenen Jahr von einem "Beitrag zu einem erhofften Frieden im Nahen Osten."

Bundespräsident Gauck zu Antrittsbesuch in NRW
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Am 15. Dezember des vergangenen Jahres hielt Bundespräsident Joachim Gauck eine bemerkenswerte Rede in den Düsseldorfer Rheinterrassen, wo er diese Stadt in hohen Tönen lobte. Hier in Düsseldorf, so führte er aus, werde ein konkreter Beitrag zu einem erhofften Frieden im Nahen Osten geschaffen. Hier würden künftige Führungspersönlichkeiten von Israel, Jordanien und Palästina in einem gemeinsamen Studiengang ausgebildet.

Und hier sei der Ort, wo sie nicht nur studierten, sondern wo sie, oft zum ersten Mal, miteinander sprächen und miteinander lebten. Wo die jungen Leute auch ihre Schicksale voreinander ausbreiteten. Und das sei besonders schwer, denn fast jeder hätte in der eigenen Familie Opfer von Gewalt und Gegengewalt zu beklagen. Der unversöhnliche Hass, der die Menschen in der Region spaltet und den die Welt so verzweifelt wie tatenlos wahrnimmt, habe zu einer erstaunlichen Initiative geführt.

Unter den rund fünfhundert Zuhörern waren Königin Beatrix der Niederlande, Prinz Hassan von Jordanien, ranghohe Diplomaten und Politiker, darunter Ministerpräsidentin Kraft, der ehemalige österreichische Bundeskanzler Schüssel, Daniel Barenboim, Peer Steinbrück, Christina Rau, aber auch wichtige Persönlichkeiten der Wirtschaft, etwa Ferdinand Piëch oder Liz Mohn.

Die Rede war von einem auf der Welt einzigartigen Studiengang, den vier Universitäten seit einigen Jahren gemeinsam durchführen: die israelische Universität Herzliya, die palästinensische Al Quds-Universität in Ost-Jerusalem, die Royal Scientific Society in Amman (Jordanien) und die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Die Studierenden absolvieren an ihren Heimatuniversitäten einen mehrjährigen Studiengang "European Studies", also Wirtschaft, Finanzen, Recht, Geschichte und Struktur der europäischen Gemeinschaft. Sie werden von ihren Professoren nach einem für alle drei Universitäten im Nahen Osten identischen Studienplan unterrichtet.

Aber weder die Studenten noch die Professoren können während dieser Ausbildung je zusammenkommen, weil die Grenzen und die Feindschaften ihrer Länder das nicht zulassen. Wie also soll man einen gemeinsamen Studiengang absolvieren, ohne sich je zu sehen? An dieser Stelle kommt die Universität Düsseldorf ins Spiel. Das letzte Studienjahr findet auf gleichsam neutralem Boden statt - eben hier an der Düsseldorfer Heinrich Heine-Universität.

Das darf man - ohne den Mund zu voll zu nehmen - ein historisches Experiment nennen, vielleicht sogar einen wirklichen Brückenbau. Die Würdigung durch den Bundespräsidenten war das Siegel darauf. Die Begegnung, die er mit diesen Studenten hatte, hat ihn spürbar angerührt. Das alles dankt sich einer Persönlichkeit, dankt sich Avi Primor, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland und der Düsseldorfer Universität eng verbunden, seit er im Jahre 1998 die Heinrich- Heine-Gastprofessur bekleidete.

Der visionäre Diplomat Primor leitet das Institut für Europäische Studien an der Düsseldorfer Partneruniversität Herzliya in Israel. Er hat dort die Zusammenarbeit mit den beiden arabischen Universitäten zustande gebracht - und hat dabei viele Widerstände und Bedenken überwunden, auch einige israelische. So kommen jährlich etwa dreißig junge Leute aus Israel, den palästinensischen Gebieten und aus Jordanien in Düsseldorf an und haben sich nicht nur an das Winterwetter zu gewöhnen (der Studienbeginn ist im Oktober), sondern vor allem aneinander. Sie leben in einem Studentenheim Zimmer an Zimmer, kochen und arbeiten miteinander. Sie haben ihre Familien, ihre Region und vor allem die dortigen Konflikte hinter sich gelassen. Man spürt, wenn man mit ihnen spricht, dass ihnen das schwerer fällt als zuvor gedacht.

Avi Primor hat seinerzeit die Düsseldorfer für sich gewonnen, als er jene inzwischen berühmt gewordenen Vorlesungen hielt, die seinen Weg nach Deutschland und am Ende für Deutschland beschrieben. Die Vorlesungen sind danach im Droste-Verlag unter dem Titel "Mit Ausnahme Deutschland" erschienen. Es war der Anfang einer Bindung an Düsseldorf, die schließlich so weit ging, dass er in den Hochschulrat der Universität berufen wurde.

Er hat diese Bindung nie vergessen und hat deshalb an der Universität Düsseldorf nachgefragt, als es um einen Partner für seine große Vision ging, um ein ernsthaftes Miteinander von Studenten der verfeindeten Völkerschaften im Nahen Osten. Das heißt, um eine Universität, wo die jungen Leute aus dem Nahen Osten wirklich gemeinsam studieren könnten. Meine Nachfolger im Rektoramt, Professor Labisch und Professor Piper, haben sofort die Chance und die Verpflichtung erkannt, die in diesem Antrag lag. Und so spielt die Universität Düsseldorf plötzlich eine Rolle im Nahostkonflikt.

Man wird die Erwartungen nicht zu hoch schrauben dürfen, wird von diesem Projekt nicht etwa eine Lösung des Nahostkonflikts erwarten dürfen. Avi Primor formuliert das so: "Wir brauchen einen politischen Frieden im Nahen Osten. Aber wenn es so weit ist, müssen die Menschen und vor allem die Jugend an diesen Frieden glauben, um ihn aufrechterhalten zu können".

Die Idee zu diesem Projekt wird von einer historischen Hoffnung getragen, die die Gutwilligen im Nahen Osten immer wieder zitieren: "Mit Europa lernen die Studenten einen Kontinent kennen, der noch vor wenigen Jahrzehnten im Krieg zerrissen war. Heute ist die Europäische Union nicht nur eine Staatengemeinschaft, sondern hat im Jahr 2012 den Friedensnobelpreis für ihre Erfolge und Bemühungen um den Frieden und die Demokratie verliehen bekommen. Ein solches Umfeld politisch wie auch kulturell erleben zu können, geht nicht spurlos an den Studenten des Nahen Ostens vorüber." Die europäische Einigung als Exempel für den Nahen Osten also.

Die Organisation des interdisziplinären Studienprogramms leistet die Philosophische Fakultät, die Betreuer vor Ort sind Professor Hummel und Dr. Quetsch - und sie haben offenbar die Sympathie der Studenten und Studentinnen aus dem Morgenland.

Die Universität schießt einen erheblichen Mittelbeitrag zu, aber ohne die namhaften Spenden, die Avi Primor bei Privatleuten und der Wirtschaft einwirbt, würde es nicht laufen. Fürs nächste Jahr ist ein eher bescheidener Antrag beim Wissenschaftsministerium gestellt. Man ist guter Hoffnung.

Die israelischen und arabischen Studierenden wissen, dass sie an einem vielleicht historischen Projekt teilnehmen. Deshalb ist es erfrischend, wenn einige von ihnen das etwas tiefer hängen.

So etwa der palästinensische Student Majdy Ghanem, der nach seiner Rückkehr in die Heimat sich erinnert: "Mit Wissen, akademischer Ausbildung, Freude und Spaß gefüllten Momenten verbinde ich mein Jahr in Düsseldorf!"

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