Düsseldorf Eine besondere deutsch-französische Verbindung

Düsseldorf · Im Zweiten Weltkrieg rettete der Korvettenkapitän Konrad Loerke 148 Menschen aus dem Mittelmeer, nachdem deren Fähre beschossen worden war. Unter den Geretteten war der Vater des französischen Generalkonsuls in Düsseldorf, Michel Giacobbi. Er traf nun Loerkes Sohn Wolfgang.

 Auf dem Balkon des französischen Generalkonsulats in Düsseldorf: Wolfgang Loerke (l.) und Generalkonsul Michel Giacobbi (hinten die Johanneskirche).

Auf dem Balkon des französischen Generalkonsulats in Düsseldorf: Wolfgang Loerke (l.) und Generalkonsul Michel Giacobbi (hinten die Johanneskirche).

Foto: Bauer

Manchmal könnte man meinen, es gäbe keine Zufälle. Dazu gehört sicherlich, dass Michel Giacobbi 2012 in Düsseldorf als französischer Generalkonsul für NRW stationiert wurde. Und dass Giacobbi bei Vorträgen immer wieder von seiner unglaublichen Lebensgeschichte erzählte, die so stark mit Deutschland verwoben war. Im Zentrum stand dabei die Rettung seines Vaters und 148 weiteren Menschen aus dem Mittelmeer. Mitten im Zweiten Weltkrieg, von einem äußerst couragierten deutschen Korvettenkapitän namens Konrad Loerke.

"Ohne ihn wäre ich nicht am Leben", wiederholt Giacobbi an diesem Januartag. Der Mann ihm gegenüber nickt. Er heißt Wolfgang Loerke — und ist der Sohn des Retters von Giacobbis Vater. Er lebt in Grevenbroich-Münchrath, nur etwa 20 Kilometer von Düsseldorf entfernt. "Ich habe gelesen, dass der Generalkonsul diese Geschichte von meinem Vater erzählt, und dachte: Ruf doch einfach mal an." Das tat er — und nun tauschen sich die Söhne des Retters und des Geretteten aus über dieses Ereignis am 19. Mai 1943 im Mittelmeer, das so viel aussagt über den Krieg, über Menschlichkeit unter Gefahr fürs eigene Leben. Eine Heldentat, die am Ende doch honoriert wurde.

 Frankreichs Staatspräsident René Coty (r.) empfängt Konrad Loerke und dessen Ehefrau Marianne.

Frankreichs Staatspräsident René Coty (r.) empfängt Konrad Loerke und dessen Ehefrau Marianne.

Foto: Bauer, Aus: "Merci, camarade", Editions France-Empire,1962

Pierre Giacobbi ist an jenem Tag auf dem Rückweg von einem Besuch bei seiner Familie auf Korsika nach Aix-en-Provence, wo er Jura studiert. Er nimmt die Fähre "Général Bonaparte", die zwar unter französischer Flagge fährt, aber auch italienische Militärs an Deck hat. Deren Anwesenheit führt zu einer fatalen Fehleinschätzung bei dem Kommandanten eines britischen U-Bootes, denn Italien paktiert mit Deutschland. Die Fähre, voll mit Zivilisten, wird von den Briten als getarnter deutscher Truppentransport eingestuft — und mit Torpedos beschossen. Die Fähre sinkt, stundenlang treiben die Schiffbrüchigen im Meer. Pierre Giacobbi klammert sich an eine Holzkiste.

Konrad Loerke ist mit den beiden ehemals französischen Torpedobooten "Iphigenie" und "La Pomone" in der Nähe, hat den Angriff beobachtet und gibt das Kommando, die Schiffbrüchigen zu retten. Eine lebensgefährliche Entscheidung. Nicht nur, weil das britische U-Boot noch immer im selben Gewässer ist. "Es gab damals vom Wehrmachtshauptquartier auch den Befehl, dass Schiffbrüchige nicht gerettet werden dürfen", sagt Wolfgang Loerke.

Konrad Loerke, der wenige Monate zuvor selbst in Seenot geraten und gerettet worden ist, geht das Risiko dennoch ein. Er lässt die "Iphigenie" zum Schutz um die Unglücksstelle kreisen und die "La Pomone" die Geretteten aufnehmen. Am Ende sind es 148 Menschen. Loerke fährt mit beiden Schiffen nach Toulon, wo er die Geretteten dem Bürgermeister übergibt.

Darunter ist Pierre Giacobbi. Sein Sohn Michel kommt erst sieben Jahre später zur Welt. Doch er bekommt die unglaubliche Geschichte der Rettung später oft von seinem Vater erzählt. Das erste Mal, als sie mit dem Schiff nach Rio de Janeiro übersetzen, wo Pierre Giacobbi in den 1950er Jahren als Diplomat eingesetzt war. "Es hatte eine große Bedeutung für mich", sagt sein Sohn heute.

Wolfgang Loerke war vier Jahre alt, als sich das Unglück im Mittelmeer abspielte. Erfahren hat er davon und von der Rolle seines Vaters erst Ende der 1950er Jahre. "Meine Eltern haben nicht über ihre Kriegserlebnisse gesprochen, und ich habe nicht danach gefragt." So war es damals in vielen Familien. Doch dann wohnte dieser Journalist eine Zeit lang bei der Familie Loerke. Er ließ sich vom "Alten", wie Konrad Loerke schon in jungen Jahren von seiner Mannschaft genannt wurde, alles über die Rettung erzählen.

Unter dem Pseudonym Eric Martin veröffentlichte er ein Buch darüber. Der Titel: "Merci, camarade!". Gleich auf einer der ersten Seiten ist ein Foto vom 19. Februar 1959 zu sehen. Es zeigt, wie der Admiralstabschef der französischen Marine, Henri Nomy, Konrad Loerke im Marineministerium das Offizierskreuz der Ehrenlegion überreicht. Ein Deutscher in Uniform, der in Frankreich ausgezeichnet wird — das war in den 1950er Jahren, als die Wunden des Weltkriegs noch frisch waren, eine Sensation. Auch vom französischen Staatspräsidenten René Coty wurde Loerke in Uniform empfangen. Der französische Botschafter in Bonn gab einen Empfang zu seinen Ehren.

Doch bis dahin war es ein langer Weg. Denn nach Kriegsende war Loerke zunächst selbst verdächtigt worden, die Torpedos auf die Fähre abgeschossen zu haben. Er war Kriegsgefangener der Briten auf der Insel Fehmarn, er drohte als Kriegsverbrecher verurteilt zu werden. Doch dann kam ein französischer Offizier auf die Insel und beteuerte, dass Loerke der Retter der Schiffbrüchigen sei. Und so hat Frankreich den einstigen Retter gerettet.

"Mein Vater hatte eine weiße Weste, solche Deutschen wurden nach dem Krieg gesucht", sagt Wolfgang Loerke. Der Vater wurde in Paris eingesetzt, war Mitgründer der geplanten, aber nie umgesetzten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft EVG. Später wurde er berufen als Marineattachée an der deutschen Botschaft in Paris. Auch Giacobbis Vater war zu der Zeit Botschaftssekretär — in der französischen Botschaft in Bonn. Er erfuhr den Namen seines Retters, erstmals kamen die beiden Männer in Kontakt.

Er sollte nicht abreißen: Es war der Beginn einer deutsch-französischen Bindung, die in der Familie Loerke bis heute anhält. Wolfgang Loerke war nach seinem Studium als Kaufmann in Paris, seine erste Tochter ist in der französischen Hauptstadt geboren. Loerkes älteste Schwester ist mit einem französischen Marineoffizier verheiratet, lebt bei Versailles. Sie war 2003 auch bei der Beerdigung von Pierre Giacobbi. "Die deutsch-französische Freundschaft war für uns etwas Selbstverständliches", sagt Loerke. "Egal, was auf höherer Ebene passiert — es passt zwischen Frankreich und Deutschland."

Giacobbi wurde ebenfalls davon geprägt: Er wurde in München geboren, lebte vier Jahre seiner Kindheit in Bad Godesberg, wo sein Vater in der französischen Botschaft stationiert war. 1986 wurde er Botschaftssekretär der französischen Botschaft "bei der DDR", es diplomatisch korrekt hieß. Den Mauerfall bekam er aus nächster Nähe mit. Und nun Düsseldorf.

"Ihr Vater hat an jedem seiner Geburtstage an meine Eltern gedacht, meinem Vater eine Karte und nach dessen Tod meiner Mutter einen Blumenstrauß geschickt", erzählt Loerke dem Generalkonsul. "Das wusste ich noch nicht", sagt Giacobbi. Loerke denkt kurz nach: "Das muss ein toller Typ gewesen sein, Ihr Vater."

(RP)
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