Düsseldorf Ein Zufluchtsort für Frauen in Not

Düsseldorf · Seit zehn Jahren ist die Notunterkunft "Ariadne" ein Zufluchtsort für wohnungslose Frauen. Jetzt startet die "Winterreise" – mit Texten von Frauen, die eine solche Not erlebt haben.

Seit zehn Jahren ist die Notunterkunft "Ariadne" ein Zufluchtsort für wohnungslose Frauen. Jetzt startet die "Winterreise" — mit Texten von Frauen, die eine solche Not erlebt haben.

Sie werden im Stadtbild kaum wahrgenommen, sind nahezu unsichtbar. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wohnungslose Frauen meist mit allen Mitteln versuchen, ihre Not zu verbergen. Nach Schätzungen sind in Düsseldorf mindestens 25 Prozent aller Obdachlosen weiblich. "Viele von ihnen sind sprachlos", sagt der Journalist und Sozialpädagoge Stefan Weiller. Wie sie ihren Alltag empfinden, wie sie ignoriert und ausgegrenzt werden, welche Wünsche und Ängste sie haben, haben ihm 14 Frauen erzählt. Er verdichtete diese Geschichten zu knappen Texten, Poesie des Alltags, die er mit der Musik von Franz Schubertvereint: zur "Düsseldorfer Winterreise".

Tagelang saß sie im Flughafen, wechselte ständig von Terminal zu Terminal. Damit sie nicht als Obdachlose erkannt und aus den warmen Hallen vertrieben wurde, hatte sie einen kleinen Koffer bei sich und benahm sich wie eine Reisende. "Dabei bin ich doch eine alte Dame", meint die 80-Jährige. Stefan Weiller begegnete ihr in der "Ariadne", der einzigen Notunterkunft für Frauen in Düsseldorf, wohin sie schließlich mit Hilfe von Polizisten fand. Etwa 250 Frauen jedes Jahr, vielen mit ihren Kindern, bietet dieser Ort in Oberbilk mit seinen zehn Zweibettzimmern eine Zuflucht.

"50 Prozent bleiben nur ein paar Tage und finden dann wieder einen Weg selbstständig zu leben", erläutert Ariadne-Leiterin Stefanie Volkenandt. Manche dieser Frauen sind drogen- und alkoholabhängig oder psychisch krank. Manche Frauen, wie die 80-Jährige, konnten durch widrige Umstände ihre Miete nicht mehr bezahlen und landeten auf der Straße. Und nehmen aus Scham keine Hilfe an. "Jedes Schicksal ist anders", so die Teamleiterin. Aber alle Frauen sind in einer akuten Notlage und haben keine Bleibe.

"Ariadne" ist eine Einrichtung der Diakonie, ebenso wie ein Wohnprojekt in Eller, wo Frauen maximal zwei Jahren bleiben und lernen, das Leben wieder zu bewältigen. "Unser Ziel ist eine eigene Wohnung", meint Dagmar S. (33), die seit einem Jahr in einer Wohngemeinschaft mit vier weiteren Frauen lebt. Sie könnte einen Abend lang ihre Geschichte erzählen, die arg gestraffte Kurzfassung: Eine junge Frau mit Fachabitur und gutem Job gerät an die falschen Männer. Sie bekommt zwei Kinder, wird ausgenutzt, geschlagen, gedemütigt, rutscht immer tiefer in die Misere. Irgendwann geht sie nicht mehr zur Arbeit, zahlt keine Miete — bis zur Räumungsklage. "Mir war alles egal." Das Wohnprojekt war ihre Rettung, "zum ersten Mal konnte ich Hilfe annehmen." Heute weiß Dagmar S., was in ihrem Leben falsch gelaufen ist. Sie kann wieder nach vorn schauen, Pläne schmieden.

Und sie hat Stefan Weiller ihre Geschichte erzählt. Der Journalist ist seit vier Jahren deutschlandweit mit seiner "Winterreise" unterwegs. Schon in Hamburg und Berlin organisierte er Abende, bei denen prominente Schauspieler die Texte lesen, die aus den Gesprächen mit den Frauen entstanden sind. Dazu Schuberts Liederzyklus. Der Eintritt ist immer kostenfrei, damit auch Menschen ohne Geld auf diese "Winterreise" gehen können.

(RP)
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