Prozess gegen Ex-Satudarah in Düsseldorf Ein Rocker im Zeugenschutz packt aus

"" · Ein 47-Jähriger trug als Polizeiinformant dazu bei, dass ein Rockerclub verboten werden konnte. Deshalb soll auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt sein. Wie er selbst auf die schiefe Bahn geriet, erklärte er vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht.

 Polizisten vor dem Hochsicherheitstrakts des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Hierhin wurde der Prozess gegen den Rocker aus Sicherheitsgründen verlegt (Archivfoto).

Polizisten vor dem Hochsicherheitstrakts des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Hierhin wurde der Prozess gegen den Rocker aus Sicherheitsgründen verlegt (Archivfoto).

Foto: dpa, htf kat

Um 9.39 Uhr bittet der Vorsitzende Richter die Justizvollzugsbeamten, den Angeklagten in den kleinen Sitzungssaal des Hochsicherheitstrakts des Düsseldorfer Oberlandesgerichts zu führen. J., ein muskulöser Mann mit Glatze, nimmt hinter Sicherheitsglas Platz. Der 47-Jährige ist ein ehemaliger Rocker, der wegen verschiedener Drogen- und Waffengeschäfte angeklagt ist. J. wirkt äußerlich gelassen. Innerlich, sagt er, sehe es anders aus. "Ich werde getötet, wenn die wissen, wo ich wohne", sagt er. "Auf mich ist mit Sicherheit ein Kopfgeld ausgesetzt worden."

Mit "die" meint er seine ehemaligen Rockerfreunde des niederländischen Motorcycle-Clubs (MC) Satudarah, gegen die er als Kronzeuge ausgesagt hat. Seine Informationen sollen zum Verbot eines Rocker-Clubs beigetragen haben. J. befindet sich deshalb im Zeugenschutzprogramm. Aus Sorge vor Racheaktionen ist die gestrige Verhandlung von Duisburg in das besonders gesicherte Prozessgebäude des OLG in Düsseldorf verlegt worden.

Viele der Vorwürfe gegen ihn hat er zugegeben — und er zeigt Reue. Der Vorsitzende Richter verurteilt ihn auch deshalb nur zu zwei Jahren mit Bewährung. Ein mildes Urteil, das auch darauf zurückzuführen ist, weil J. bereitwillig geschildert hat, wie aus ihm ein krimineller Rocker geworden ist.

Sein Weg auf die schiefe Bahn beginnt wie so viele kriminelle Karrieren mit einer schwierigen Kindheit. J. wächst in Dinslaken auf. Seine Eltern lassen sich früh scheiden. Er entscheidet sich, bei seinem Vater zu bleiben, der keine Zeit für seinen Sohn hat, weil er ständig auf Montage ist. J. ist daher viel bei seinen Nachbarn, von denen einer für die Fremdenlegion in Indochina gewesen ist. J. findet das interessant, will das auch machen. Mit 17 meldet er sich in Frankreich bei den Söldnern. Sie nehmen ihn auf, bringen ihm alles bei, was man über Waffen und Sprengstoff wissen muss. Er lernt schnell und macht Karriere. Zwei Jahre ist er Ausbilder in Südamerika, zeigt Amerikanern im Urwald, wie man Sprengstofffallen baut.

Nach ein paar Jahren hat er jedoch genug von der Fremdenlegion, lernt eine Frau kennen. Doch zurück im Ruhrgebiet findet er keinen Anschluss. "Ich bin nicht zurechtgekommen in der Gesellschaft", sagt er. Er wird straffällig, muss ins Gefängnis. Als er rauskommt, arbeitet er zunächst als Trockenbauer. Schnell bleiben die Aufträge aus. Er wird Wirtschafter in einem Bordell an der Duisburger Vulkanstraße, einem der größten zusammenhängenden Rotlichtviertel Deutschlands. Er arbeitet zunächst für einen Israeli, der auf Mallorca wohnt. So Leute wie er, betont J., die bei der Fremdenlegion gedient haben, seien begehrt im Milieu. Die Bandidos werden auf ihn aufmerksam. Sie sprechen ihn auf der Straße an, als er an deren Vereinsheim, dem "Fat Mexican", vorbeigeht, das mitten im Rotlichtbezirk liegt. Er schließt sich ihnen an, wird Prospect (Anwärter) — aber nur kurz. Es passt irgendwie nicht. Die Rocker hauen ihn übers Ohr. "Die haben mir ein Motorrad völlig überteuert verkauft", sagt er. Er gibt seine Kutte zurück.

Eine Weile hält er sich von etwas Ersparten und den Einkünften seiner Frau, die als Krankenschwester arbeitet, über Wasser. Ende 2010 stehen vier Männer vor seiner Haustür, einen kennt er vom Kampfsporttraining. Sie fragen J., ob er Interesse hätte, bei ihnen mitzumachen, bei dem MC Brotherhood. "Sie brauchten jemanden wie mich, der wusste, wie man Drogen im großen Stil ins Land schmuggelt. Und ich kann so etwas", sagt J. Er wird zum "Sergeant at Arms" erklärt, zuständig für Sicherheit des Clubs. Doch mit einem Motorradclub hätte Brotherhood, die ihren Vereinssitz in Rheinhausen haben, nichts zu tun gehabt. "Das war eher eine Straßengang. Alles Anfänger. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander." Um sich zu vergrößern, sucht Brotherhood einen Partner. Im Internet knüpft man Kontakte zu den Satudarahs. Man wird sich einig. Brotherhood in Rheinhausen wird zu einem Chapter der Holland-Rocker.

In den folgenden Monaten droht Krieg zwischen den Satudarahs und den Hells Angels. Es kommt zu einer Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen, Schüsse auf Vereinsheime und Cafés werden abgegeben. Bei einem Anschlag wird wohl die Maschinenpistole verwendet, die später auf einem Spielplatz in Düsseldorf-Wersten gefunden wird. Die Duisburger Satudarahs rüsten auf. J. fährt mit einer Delegation nach Tilburg, besorgt Maschinenpistolen, weswegen er gestern vor Gericht steht. J. bekommt ein Kilogramm Sprengstoff mit Zünder nach Hause geliefert. Eine Menge, die ausreicht, um ein Haus zum Einsturz zu bringen. J. macht den Sprengstoff unschädlich und vergräbt ihn in einem Waldstück. Es ist etwa der Zeitpunkt, an dem J. beschließt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Er gibt ihnen einen Hinweis, dass ein Waffendeal kurz bevorsteht, der daraufhin vereitelt werden kann.

Letztlich sind es die Drogen, die dazu führen, das J. vollends überläuft. Eine Lieferung einer größeren Menge Kokain im Wert von rund 30.000 Euro zu ihm nach Hause besiegelt schließlich das Ende seiner Rockerzeit. Er zieht sich das weiße Pulver, das eigentlich zum Verkauf bestimmt ist, exzessiv rein. Er wacht in einem Wald bei Hünxe auf. Wie er dorthin gekommen ist, weiß er nicht. Er kommt ins Krankenhaus, wo ihn die Polizei fragt, ob er umfangreich aussagen und ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden will. J. stimmt zu.

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