Düsseldorf Ein Leben für Daimler

Düsseldorf · Dieter Briese arbeitet seit 38 Jahren im Düsseldorfer Mercedes-Werk. Er war stolz auf Daimler. Der Abbau von 650 Jobs enttäuscht ihn.

 Dieter Briese auf seinem Balkon. "Die Produktion in die USA zu verlegen, ist ein großer Fehler. Wir sind das beste Transporterwerk der Welt.

Dieter Briese auf seinem Balkon. "Die Produktion in die USA zu verlegen, ist ein großer Fehler. Wir sind das beste Transporterwerk der Welt.

Foto: Andreas Bretz

Dieter Briese (57) sitzt in seiner Rather Wohnung, keinen Steinwurf von seinem Arbeitsplatz, dem DaimlerWerk, entfernt. Es ist ordentlich in der Mietwohnung, sauber, aufgeräumt, an den Wänden gibt es Fortuna-Devotionalien. Auf dem Tisch breitet Briese vergilbte Bilder aus, darauf ist er zu sehen mit Kollegen und den Produkten, die sein Leben prägten. Fahrzeuge von Mercedes-Benz made in Düsseldorf. Der Transporter 309 ist darauf zu sehen, der den Spitznamen Düdo, Düsseldorfer, trägt, und viele andere, etwa der "Bremer", der offiziell den Namen Mercedes-Benz T 1 trug. Er prägte von den 70ern bis in die 90er Jahre das deutsche Straßenbild. "An sechs verschiedenen Modellen hab' ich mitgearbeitet", sagt Briese.

Am 2. März 1976 hatte Dieter Briese seinen ersten Arbeitstag im Daimler-Werk. Nach einer Karosseriebauer-Lehre bei Adalbert Moll wurde er nicht übernommen. Daimler war seine erste Wahl, ein Skatbruder seines Vaters schlug ihm vor, sich dort zu bewerben. Er bekam den Zuschlag. "Ich war 18, wollte eine Familie gründen. Ich dachte, bei Daimler hast du eine Lebensversicherung", sagt Briese. Es begann ein Leben im Zwei-Schicht-Betrieb. Der gute Lohn, die sicheren Verhältnisse bei dem damals größten Autobauer Deutschlands hatten ihren Preis. "Mit Privatleben war erstmal Schluss", sagt Briese. Als Jugendlicher spielte er bei Alemannia 08, trainierte später Fortuna-Legende Mike Büskens.

Damit war irgendwann Schluss. Daimler forderte seine ganze Kraft. Briese baute die Fahrerhäuser der Lkw. "Das war harte körperliche Arbeit. Das Band musste noch von Hand weitergeschoben werden", erinnert sich Briese. Doch harte Arbeit und die Aufgabe seines geliebten Fußballs schmerzten den jungen Mann wenig. "Der Zusammenhalt unter den Kollegen war groß. Wir waren stolz, bei Daimler zu arbeiten. Wir haben gut, sehr gut verdient", sagt Briese rückblickend. Es gab eine gute soziale Absicherung.

Nicht immer waren die Zeiten bei Daimler rosig. Das Düsseldorfer Werk war den konjunkturellen Schwankungen der vergangenen Jahrzehnte ausgeliefert. Doch stärker als andere Firmen war Daimler loyal zu seinen Mitarbeitern. ",Daimler entlässt nicht' war ein geflügeltes Wort", sagt Briese. Und die Männer am Band waren loyal zu ihrem Arbeitgeber. Als Anfang der 80er Jahre die Folgen der zweiten Ölkrise zu spüren waren, ging Dieter Briese für ein Vierteljahr ins badische Gaggenau. Dort baute er mit seinen Kollegen den Unimog. Seine Frau mit Tochter und Sohn ließ er für diese Zeit im Rheinland zurück.

Einen Bedeutungsgewinn erfuhr das Werk, als 1995 der erste Sprinter auf den Markt kam. Er sollte in Düsseldorf zuhause sein. Und er prägt den Mercedes-Standort bis in die Gegenwart. Mit ihm zog moderne Technik in die Produktion ein. Die Zahl der Roboter stieg von Jahr zu Jahr. Und mit der Mechanisierung sank auch der Bedarf an Mitarbeitern. "Bei jedem Modellwechsel wurde die Zahl der Kollegen reduziert", sagt Briese ohne Vorwurf im Tonfall. Er weiß, dass technischer Fortschritt unaufhaltsam ist.

Einen Paradigmenwechsel erlebte Daimler Mitte der Nuller-Jahre. Seither wachse der Einfluss der Zentrale, sagt Briese. Mehr Entscheidungen würden in Stuttgart getroffen. "Ganz schleichend fühlten wir uns nur noch als Nummern im Konzern", sagt Briese. "Der Druck auf die Belegschaft nahm und nimmt weiter zu." Der Zusammenhalt der Daimler-Werker sei geschwächt worden. Die Zahl der Leiharbeiter wuchs. Immer mehr Aufgaben seien in Fremdfirmen verlagert worden.

Dann kam das Jahr 2014. Erst beendete VW die Zusammenarbeit. Die Produktion des mit dem Sprinter baugleichen Crafter wird nach Polen verlagert, das betrifft fast jedes vierte Fahrzeug. Und dann im Herbst die nächste Hiobsbotschaft: Die Mercedes-Zentrale kündigte an, den US-Sprinter in Übersee in einem neuen Werk bauen zu lassen. Insgesamt fehlt ab 2018 ein Drittel der Aufträge für Düsseldorf. Für Daimler-Mann Dieter Briese ein "riesiger Fehler". Nicht nur den Mitarbeitern gegenüber, auch unternehmerisch. Glaubt man Briese, dann wird es nicht gelingen, so schnell wie geplant in den USA qualitativ gleichwertige Sprinter zu bauen. "Wir sind das beste Transporterwerk der Welt, und profitabel. Und dann nimmt man uns die Aufträge weg. Das macht doch keinen Sinn", sagt Briese. Außerdem falle der Schutzzoll, der als Grund für die Verlagerung genannt wird, in wenigen Jahren durch das derzeit verhandelte Freihandelskommen weg. "Mit Chrysler ist Daimler in den USA schon mal gescheitert", warnt der Mitarbeiter.

Und im Herbst 2014 standen die Daimler-Werker wieder zusammen, um das Schlimmste zu verhindern. Mit stundenlangen Kundgebungen aller Schichten legten sie das Werk lahm. Briese war jedes mal dabei, wie seine Tausenden Kollegen. "Das war der Zusammenhalt, den ich aus alten Daimler-Tagen kannte", sagt Briese, der seit Jahrzehnten IG-Metall-Mitglied ist. Die Kollegen kämpften, erzielten einen Teilsieg. Statt 1800 werden 650 Stellen abgebaut. Doch auch dieser Jobabbau schmerzt Dieter Briese. "Es ist Meckern auf hohem Niveau, aber dennoch: Ich bin von Daimler tief enttäuscht", sagt Briese. Er vermisse die Menschlichkeit, den Dank für harte Arbeit. Briese schweißt Tag für Tag über Kopf, sein Rücken schmerzt permanent.

Der Stellenabbau erfolgt über freiwillige Abgänge gegen Abfindungen sowie Altersteilzeit. Was aus ihm wird, weiß Briese noch nicht. Für eine Abfindung sei er zu lange dabei. Was ist geworden aus seinem Stolz auf Daimler? Briese macht eine Pause, dann sagt er: "Nein, ganz kaputt ist dieser Stolz nicht."

(RP)
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