Düsseldorfer Operndirektor Stephen Harrison „Das Tüfteln hat mich schon immer gereizt“

Düsseldorf · Nach 32 Jahren an der Deutschen Oper am Rhein geht Operndirektor Stephen Harrison zum Ende der Spielzeit in Rente. Er spricht über seinen Abschied, über Jugendträume, seine Bilanz – und über Arbeit unter Corona-Bedingungen.

 Stephen Harrison in der Oper.

Stephen Harrison in der Oper.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

32 Jahre - so lange saß der gebürtige Brite mit den stählernen Nerven und dem Hang zu erfrischender Selbstironie an der Planungs-Schaltstelle des Riesenbetriebs mit zwei Spielstätten und zwei Orchestern. Ein Gespräch an seinem vorletzten Arbeitstag.

Den Beruf Operndirektor kann man nicht studieren, was war denn der erste Berufswunsch?

Stephen Harrison In der Zeit, als ich in London an der Covent Garden Oper als Repetitor engagiert war, habe ich immer davon geträumt, ein großer Dirigent zu werden.

Gab es Vorbilder?

Harrison Ich und meine damaligen Kollegen, wir fanden uns alle besser als die internationalen Maestri und haben nur auf die Gelegenheit gewartet, ans Pult zu kommen. Naja, Carlos Kleiber, der ging noch, aber alle anderen waren aus unserer Sicht zweitrangig. Wir waren alle ein bisschen hochmütig.

Warum ging es dann nach Deutschland?

Harrison Ein deutscher Agent sagte mir, komm nach Deutschland, da kann jeder dirigieren. Dann wurde ich in Frankfurt engagiert als Assistent des Chordirektors. Im Chor wurde kein Englisch gesprochen! Also habe ich jeden Abend in der Kantine Deutsch gelernt.

Wie ging das dann weiter mit dem Traum zu dirigieren?

Harrison In Frankfurt habe ich ein Musical dirigiert, und einmal in einer Bühnenorchesterprobe ließ Michael Gielen mich den Walkürenritt dirigieren und sagte danach: „Das war gar nicht schlecht!“ So kam ich an gewisse Dirigate in Frankfurt. Dann ging ich nach Gelsenkirchen in der Hoffnung, mehr zu dirigieren. Ich übernahm immerhin die „Zauberflöte“ von Ingo Metzmacher.

Und dann kam der Anruf aus Düsseldorf?

Harrison Ja, in Gelsenkirchen musste gespart werden, und die Deutsche Oper an Rhein suchte einen Studienleiter. Ich setzte durch, dass ich auch dirigieren durfte, zehn Abende im Jahr. Mit mäßigem Erfolg. Ich war doch nicht der nächste Carlos Kleiber, das wurde mir zunehmend klar.

Dann wurden Sie Disponent. Das ist ein Tüftel-Beruf, oder?

Harrison Das Tüfteln hat mich immer schon gereizt, als Kind war ich fasziniert von Eisenbahn-Fahrplänen. Das ist durchaus vergleichbar.

Damals war doch der Spielplan noch viel dichter?

Harrison Es waren viel mehr Vorstellungen zu disponieren, aber auf der anderen Seite war es damals leichter, weil der Chor wesentlich größer war. Wir hatten einen A- und einen B-Chor, wir konnten also in beiden Häusern gleichzeitig Opern mit Chor spielen.

Warum gibt es nur noch einen Chor?

Harrison Wir haben sukzessive reduziert im Zuge von Sparplänen. Anfangs hatten wir 280 Vorstellungen pro Spielzeit in Düsseldorf. Eine Zeitlang hatten wir 227 Vorstellungen in Düsseldorf und 133 in Duisburg. Jetzt haben wir 180 in Düsseldorf und 80 in Duisburg. Ein Riesenunterschied.

Vom Chefdisponent zum Künstlerischen Betriebsdirektor und dann zum Operndirektor: Was unterscheidet die Berufe?

Harrison Im Grunde ist es der gleiche Job geblieben, was die Planung angeht. Bei den Besetzungen aber hatte ich mehr und mehr Mitspracherecht.

Und was ist mit Krisenfällen, Umbesetzungen?

Harrison Das ist Alltag, aber natürlich bisweilen äußerst heikel, wenn die Zeit knapp ist. Ich erinnere mich an einen Fall, wo wir einen Einspringer für den Ford in „Falstaff“ gefunden hatten, aber dann hob das Flugzeug nicht ab. Das war vor der Mobilfunk-Zeit, ich habe damals mit dem Piloten telefoniert, wann er endlich losfliegt. Es ging dann noch so gerade gut.

Außer guten Nerven: Was braucht man noch als Operndirektor?

Harrison Man muss das Opernrepertoire bestens kennen und wissen, welche Sänger man braucht. Ein gutes Ohr und Gespür für Psychologie. Sänger sind wie Hochleistungssportler, die haben ihre Befindlichkeiten, man muss wissen, wie man mit ihnen umgeht.

32 Jahre Rheinoper: Hat sich das Geschäft verändert?

Harrison Es hat sich sehr viel geändert. Als ich anfing, war es üblich, dass Sänger an einem kleinen Haus anfingen, dann an ein mittleres Haus kamen und dann etwa Mitte Dreißig für reif genug galten für ein großes Haus. Dann gab es immer mehr Gesangswettbewerbe, und nun geht es mehr darum, wer die besten Jungstars sind.

Ist das eine positive Entwicklung?

Harrison Ich finde, dass die Sängerinnen und Sängern heute früher stimmlich reif werden. Sie werden besser ausgebildet. Das gilt das nicht immer auch für Deutschland, denn hier sind viele sehr lange an der Hochschule, das ist ein großes Problem der deutschen Ausbildung. Aber international hat das Niveau sich wahnsinnig entwickelt.

So lange Karrieren wir die Ihrer Frau, der Mezzosopranistin Marta Marquez, gibt es dann in Zukunft nicht mehr?

Harrison Doch, wenn man Glück hat und an einem Ensemblehaus wie der Rheinoper ist. Ein Beispiel: Nehmen wir Sylvia Hamvasi, sie fing 2001 hier an als blutige Anfängerin und wurde im Laufe der Jahre zu einer großen Künstlerin, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. So etwas geht nur in einem Ensemble wie dem unsrigen.

Gibt es keine Fluktuation?

Harrison Bei jeder neuen Intendanz kommt auch eine Anzahl neuer Sängerinnen und Sänger. In den ersten zwei Jahren stellt sich dann heraus, ob sie dem Betrieb standhalten oder nicht. Dann gehen einige wieder. Aber die, die dann engagiert werden, bleiben und prägen die ganze Intendanz.

Ausgerechnet Ihre letzte Spielzeit steht nun unter dem Zeichen von Corona, ist das nicht tragisch?

Harrison Meine Hauptarbeit, die Planung und Besetzung der nächsten Spielzeit, war dahin. Dann kam erst Plan A+ , und dann Plan B, mit Stücken, die mir unbekannt waren. Die musste ich dann kurzfristig besetzen. Das wird eine interessante nächste Spielzeit. Aber Abstandsregelungen sind der Tod des Theaters!

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