Gespräch mit Bert Römgens Düsseldorfs jüdische Gemeinde auf Wachstumskurs

Düsseldorf · Düsseldorfs jüdische Gemeinde gewinnt an Mitgliedern und freut sich über den Ausbau ihres Gymnasiums. Gleichzeitig muss sie sich mit Sicherheitsschleusen und Polizeiposten arrangieren. Ein Blind Date mit Leiter Bert Römgens im jüdischen Altersheim.

Während die christlichen Kirchen ihren Mitgliederschwund organisieren müssen, erlebt die jüdische Gemeinde eine Zeit von Wachstum und Ausbau. Bert Römgens ist Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.

Während die christlichen Kirchen ihren Mitgliederschwund organisieren müssen, erlebt die jüdische Gemeinde eine Zeit von Wachstum und Ausbau. Bert Römgens ist Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.

Foto: Anne Orthen (orth)

Im Foyer sitzen ältere Herrschaften bei Kaffee und Kuchen, der Mitarbeiter an der Pforte schickt Besucher gleich zum Corona-Test in den Nebenraum. Das Nelly-Sachs-Haus wirkt beim Eintreten wie jedes andere Altenheim, zumindest, wenn man gerade abgehetzt und ziemlich in Gedanken ist. Während der Mitarbeiter im Nebenraum das Stäbchen in die Nase führt, fallen dann aber die siebenarmigen Kerzenleuchter ins Auge – und der Besucher erinnert sich auch daran, dass er sich eben gewundert hat, warum an der Straßenecke zwei Polizisten postiert sind.

Natürlich, das Nelly-Sachs-Haus neben dem Nordpark ist Düsseldorfs jüdisches Altenheim, und Bert Römgens, der anschließend zum Blind Date im „Bingoraum“ wartet – den hat auch dieses Altenheim – stellt sich als der Leiter vor. Neuerdings habe er noch eine weitere Funktion, sagt er: Römgens ist auch Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf.

Seit 21 Jahren ist der gelernte Krankenpfleger aus Neuss im Nelly-Sachs-Haus, hat berufsbegleitend studiert und schlägt sich derzeit mit den Herausforderungen herum, vor denen alle Altenheime stehen. Gerade sind das die hohen Energiekosten, viel mehr Sorgen macht ihm aber der chronische Fachkräftemangel in der Branche, der sich allen Versprechungen der Politik zum Trotz mehr als zuspitze.

Dazu kommen die speziellen Aufgaben dieses Altenheims, das nach jüdischer Tradition Elternheim heißt – dieser Name soll den Respekt vor der Elterngeneration betonen. Bis zum 26. Dezember läuft das jüdische Lichterfest Chanukka, das gerade auch hier gefeiert wird.

Warum braucht Düsseldorf ein jüdisches Altersheim? Weil es hier selbstverständlich sei, dass man einander am Freitagabend „Shabbat Shalom“ wünsche, einen friedlichen Sabbat, sagt Römgens. Auch eine hohe Affinität zu Israel eine die Bewohner. Viele Bewohner hätten in ihrem Leben Ausgrenzung, Traumata und Antisemitismus erlebt, sagt Römgens. Das Nelly-Sachs-Haus sei für sie ein angstfreier Raum.

In Düsseldorf lebt eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland mit rund 7000 Mitgliedern. Und was beim Gespräch mit dem Geschäftsführer des Elternheimes und der Gemeinde schnell klar wird: Während die christlichen Kirchen derzeit ihren Mitgliederschwund organisieren müssen, erlebt die jüdische Gemeinde eine Zeit von Wachstum und Ausbau. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind ab den 1980er Jahren viele Juden eingewandert, jetzt sind durch den Ukraine-Krieg noch einige hundert dazugekommen – möglicherweise bald noch mehr.

Dadurch wächst auch die jüdische Infrastruktur. In der jüdischen Kita – der mit mehr als 100 Plätzen größten der Stadt – ist jüngst eine Ukraine-Gruppe mit 20 Kindern eröffnet worden, die jüdische Grundschule und auch das Albert-Einstein-Gymnasium haben eine Klasse für Kinder aus dem Kriegsgebiet eingerichtet. Überhaupt das Einstein-Gymnasium: An der Schule an der Theodorstraße wird 2024 der erste Abitur-Jahrgang abschließen. Für Römgens ein historischer Moment: Zum ersten Mal seit der Shoah werden Jugendliche in NRW ihr Abitur an einer jüdischen Schule ablegen. „Das macht uns sehr stolz“, sagt er.

Auch in Nachbarschaft des Nelly-Sachs-Hauses will die Gemeinde wachsen. Geplant ist ein jüdisches Quartier mit voll- und teilstationärer Pflege, betreutem Wohnen, aber auch einem koscheren Supermarkt und einem koscheren Restaurant.

Und doch: Auch in Düsseldorf findet jüdisches Leben oft hinter Sicherheitsschleusen und Polizeiposten statt, die Sorge vor Übergriffen und Terroranschlägen ist zuletzt eher gestiegen. „Antisemitismus war nie weg und nimmt derzeit zu“, sagt Römgens. Das besorgt die Gemeinde in Düsseldorf, auch wenn Römgens sagt, dass er die Polizeiposten in seinem Alltag inzwischen nicht mehr wahrnimmt.

Vor diesem Hintergrund ist leicht zu verstehen, warum ihm die öffentlich sichtbaren Zeichen von jüdischem Leben in Düsseldorf so viel bedeuten. Darauf stößt das Gespräch immer wieder. Zum Beispiel die Büste der Dichterin Rose Ausländer, die kürzlich im Nordpark aufgestellt worden ist, nicht weit vom Nelly-Sachs-Haus, in dem sie ihre letzten Jahre verbracht hat.

Oder die Neueröffnung in Neuss aus dem vergangenen Jahr. Wenn er abends mit dem Hund durch seine Geburtsstadt geht, sieht Römgens oft den angeleuchteten Davidstern an der Synagoge. Zum ersten Mal seit 1938 gibt es in Düsseldorfs Nachbarstadt wieder ein jüdisches Gotteshaus. „Das war ein wahnsinnig emotionales Ereignis für uns“, sagt Römgens. „Es hat uns gezeigt, dass wir wieder eine Heimat haben und Teil der Stadtgesellschaft sind.“

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