Kulturelle Gepflogenheiten berücksichtigen Ein multikulturelles Pflegeteam für alte und kranke Migranten

Düsseldorf · Einwanderer gerade aus Ländern wie Marokko oder der Türkei scheuen sich, Kranken- oder Altenpflegehilfe zu nutzen. Selbst wenn die Situation prekär ist. Nadia Bouazzi-Ouldaly weiß, woran das liegt, und will mit ihrem Pflegedienst Hemmschwellen abbauen.

 Nadia Bouazzi-Ouldaly (2. v. l.) mit ihren Mitarbeiterinnen Elke Arnold (v. l.), Lamyea Legmach und Zehra Eyigöz.

Nadia Bouazzi-Ouldaly (2. v. l.) mit ihren Mitarbeiterinnen Elke Arnold (v. l.), Lamyea Legmach und Zehra Eyigöz.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

An der Eingangstür steht „Nadias Pflegedienst“ auch auf Arabisch und Türkisch. Denn Firmenchefin Nadia Bouazzi-Ouldaly weiß, dass es wichtig ist, ältere Migranten in ihrer (ersten) Muttersprache anzusprechen. Das helfe, Hemmschwellen abzubauen. Kranken- und Altenpflegehilfe wollen nämlich gerade die Menschen, die ab den 1960er Jahren im Zuge der Anwerberabkommen aus muslimisch geprägten Ländern wie Marokko oder der Türkei einwanderten, oft nicht nutzen. Selbst wenn ihre gesundheitliche Situation dramatisch ist.

Gerade in muslimischen Familien betrachtet man die Pflege traditionell als Familiensache, um die sich die Ehefrau, Tochter oder Schwiegertochter kümmert. Doch wie in deutschen Familien, würden diese familiären Strukturen zunehmend auseinanderbrechen, sagt die gelernte Krankenschwester mit einer Pflege-Zusatzqualifikation. Weil die Frauen inzwischen vermehrt erwerbstätig sind oder nicht in der Nähe leben. Oder weil sie aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, rund um die Uhr das Familienmitglied zu pflegen. Oder das nicht wollen. Nadia Bouazzi-Ouldaly will diese Menschen erreichen und ihren kulturellen und religiösen Gepflogenheiten und Traditionen entsprechend betreuen. Ihren sogenannten kultursensiblen Pflegedienst betreibt sie direkt neben einer Moschee und unweit des vor allem marokkanisch und türkisch geprägten Teils von Oberbilk.

Wenn sich ein Pflegebedürftiger oder einer seiner Angehörigen bei ihr wegen einer Beratung meldet, hat im Vorfeld meist ein (Haus-)Arzt seinem Patienten sehr gut zugeredet, sich professionelle Hilfe zu holen. Dann beginnt für Bouazzi-Ouldaly ein langes Aufklärungsgespräch. Denn viele wissen nicht, welche Hilfen es gibt, auf welche sie Anspruch haben, wie man sie beantragt. Diese Unkenntnis, vor allem aber Sprachprobleme, würden den Zugang zu Pflegeleistungen erschweren: „Wenn man nicht die richtigen Begriffe kennt, wird einem bei Behörden oft nicht weitergeholfen.“ Wer nicht wisse, dass der sperrige Name des benötigten Formulars „Antrag auf Verhinderungspflege“ heiße, erhalte keine Hilfe. Oft hätten ältere Migranten auch die existenzielle Sorge, dass sie ihre anderen, ohnehin schon geringen Einkünfte verlieren könnten, wenn sie Pflegeleistungen beanspruchen: „Das muss ich ihnen dann immer wieder erklären, dass das nicht passiert.“ Auch beim Formulare-Ausfüllen hilft sie.

In der Beratung und Pflege mit den Kunden in deren Muttersprache zu sprechen, sei wichtig, um Vertrauen und Nähe aufzubauen und Wohlbefinden zu schaffen. Daher hat die 31-Jährige die aus einer marokkanischen Familie stammt und auch Arabisch spricht, ein multikulturelles Team: Ihre Mitarbeiterinnen sprechen Arabisch, Türkisch, Berberisch, Englisch oder Albanisch. Mit manchen Kunden wäre eine Kommunikation sonst auch kaum möglich. So wie bei einer ihrer ersten Kundinnen: eine marokkanische Witwe (71), die so gut wie kein Deutsch sprach. Sie konnte auch nicht lesen und war völlig auf sich gestellt, da ihre Töchter in den Niederlanden und in Marokko lebten. Mit Bouazzi-Ouldaly konnte sie sich verständigen, sie ließ sie ihren Blutzuckerspiegel messen und andere pflegerische Aufgaben daheim übernehmen.

Den kulturellen und religiösen Background zu kennen und zu berücksichtigen, sei sehr wichtig, sagt die 31-Jährige, die einst ihre Großeltern pflegte und in einem türkischen Pflegedienst in Duisburg arbeitete. So würde man geschächtetes Fleisch (natürlich nicht vom Schwein) einkaufen und zubereiten, beim Betreten der Wohnung von türkischen Patienten die Schuhe ausziehen oder einen Überzieher anziehen. Auch die Frage, ob ein Moslem von einer Frau geduscht werden will, sind Fragen, die geklärt werden müssen. „Und wenn ich eine alevitischen Patientin am Aschura-Fest besuche, weiß ich, dass ich mich hinzusetzen und die Aschura-Suppe zu essen habe, weil ihr das sehr wichtig ist.“ Dafür würde sie sich die Zeit einplanen. Die Einsatzzeiten an die wechselnden muslimischen Gebetszeiten im Sommer und Winter anzupassen: Darauf müsse man sie nicht hinweisen. Als gläubige Muslima (Sunnitin) wisse sie das. Immer wieder werden Geschenke ausgetauscht – in beide Richtungen.

Muslimische Kunden wollen gerne vor dem Freitagsgebet geduscht werden. Eine „Katzenwäsche“, mal eben mit einem Waschlappen und etwas Wasser und Seife „frisch“ gemacht werden, reiche nicht. Warum das ihren deutschen Patienten im Seniorenalter wiederum genügt, habe sie sich einst von ihrer deutschen Mitarbeiterin erklären lassen. „Weil sie aus Kriegszeiten gewohnt waren, mit Wasser sparsam umzugehen“, weiß die 31-Jährige nun.

Nur zehn Prozent der Kunden von „Nadias Pflege“, der 2013 als erster dieser Art in Düsseldorf eröffnet wurde, hat eine Migrationsgeschichte. „Die anderen hoffen wiederum, bei uns herzlicher behandelt zu werden“, sagt Nadia Bouazzi-Ouldaly. So wie Johann Hecker: „Ich hatte aus der Nachbarschaft nur Nettes gehört und mein Eindruck hat das mehr als bestätigt.“ Der 86-Jährige erhält etwa Hilfe beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe und bei den Einkäufen.

 Die Firmen-Chefin bei ihrem Patienten Johann Hecker (83)

Die Firmen-Chefin bei ihrem Patienten Johann Hecker (83)

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Kultursensibel wird auch hinter der Eingangstür der ambulanten Pflege gearbeitet: So trägt sich Elke Arnold, die Stellvertreterin von Bouazzi-Ouldaly, für Dienste an Ramadan ein, Bouazzi-Ouldaly für die an Weihnachten. Bouazzi-Ouldaly: „Ich schenke ihr was zu Weihnachten und sie mir zu Ramadan.“

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