Zu Gast im Kinder- und Jugendhospiz Urlaub im Düsseldorfer Regenbogenland

Viele verbinden ein Kinder- und Jugendhospiz mit Leid und Tod. Die 20-jährige Alina kommt zum Spaß haben ins Düsseldorfer Regenbogenland. Für Schwerkranke wie sie ist es eine Auszeit vom Alltag.

 Die ehrenamtliche Helferin Kirsten Höckesfeld kümmert sich regelmäßig um Alina. Die 20-Jährige hat die Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose und sitzt seit einer Operation im Rollstuhl.

Die ehrenamtliche Helferin Kirsten Höckesfeld kümmert sich regelmäßig um Alina. Die 20-Jährige hat die Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose und sitzt seit einer Operation im Rollstuhl.

Foto: anne Orthen

Alina gibt gerne Vollgas. Mit Karacho lenkt sie ihren elektrischen Rollstuhl auf die Besucher zu und bremst erst kurz vorher ab. Auf dem Tisch liegen Bastelsachen, am Vormittag war Therapiehund "Quedo" zu Besuch. Alina strahlt, sie mag den Golden Retriever sehr. "Ich bin lieber hier als zu Hause", sagt die 20-Jährige aus Willich. Denn zu Hause sind zwar ihr Bruder und ihre Mutter, doch da sind auch die Arbeit und das Alleinsein. Aber im Hospiz, und das hört sich für Außenstehende etwas seltsam an, ist immer etwas los.

"Der Begriff Hospiz steht ja wörtlich für eine Herberge", sagt Melanie van Dijk, Geschäftsführerin des Kinder- und Jugendhospizes Regenbogenland in Düsseldorf. Und eine Herberge wollen sie für Familien mit "lebensverkürzend erkrankten Kindern" auch sein. Auch Jugendliche wie Alina haben einen rechtlichen Anspruch auf vier Wochen Betreuung pro Jahr.

"Wir sind eine Insel, auf der alle Luft holen können", sagt van Dijk, deren Team pro Jahr rund 70 Kinder und deren Familien begleitet. Wenn eine Kerze im Flur brennt, dann weiß aber auch Alina, dass sie mal weniger Gas geben darf. "Das ist das Zeichen, dass hier ein Kind gestorben ist", sagt sie. 2016 brannten zehn Kerzen.

Alina hat die Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose

Für Alina ist ihre Zeit im Hospiz wie Urlaub, sieben Tage Abwechslung. Ihre Mutter, die sich auch nachts um ihre Tochter kümmert, bekommt einen Freiraum. Alina hat die Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose. Von Geburt an fehlt ihr ein Enzym zum Abbau von Abfallstoffen. "Damals hieß es, sie würde keine zehn Jahre alt", sagt ihre Mutter. Doch als Zweijährige bekam Alina eine Knochenmark-Spende ihres Bruders. Seitdem kann ihr Körper das Enzym selbst produzieren.

Sie hat schon viele lebensbedrohliche Situationen überstanden: Bei einer Polypen-Operation kam es bei der damals Zwölfjährigen zu einem Herzstillstand, sie bekam einen Luftröhrenschnitt, bei dem die Halswirbelsäule verletzt wurde - seitdem sitzt sie im Rollstuhl und hat eine Sprachkanüle. "Damit muss ich nun halt leben", sagt sie, die vorher den Rollstuhl nur für weite Strecken benötigte. 24 Stunden am Tag braucht sie eine intensivmedizinische Betreuung.

Alina genießt das Regenbogenland. "Denn dann muss ich nicht arbeiten", sagt sie. In einer Behindertenwerkstatt schraube sie "so Sachen zu". Marmeladengläser. "Langweilig!" Und auch mit ihren Kollegen sei sie nicht zufrieden. "Nur drei können richtig sprechen, und die mag ich nicht." Hadert sie mit ihrer Krankheit? Alina zuckt mit den Schultern. "Es belastet mich nur, wenn ich wütend bin."

Vieles macht sie mit sich selbst aus. Einige Dinge nerven sie schon. Dass sie nicht allein zur Toilette gehen kann. Dass sie nicht einfach so ins Kino kann, weil ihr immer wieder Schleim abgesaugt werden muss, da sie sonst erstickt. Was sie nicht nervt, sondern stoisch erträgt, sind die Blicke. "Mich stört das gar nicht, aber meine Mutter ärgert das, wenn Leute mich so angucken."

"Alina ist ein sehr positiver Mensch", sagt ihre Helferin

Damit Alina in ihrer Auszeit auch wirklich etwas erlebt, gibt es ehrenamtliche Helfer wie Kirsten Höckesfeld (51). Die Mülheimerin arbeitet seit rund sechs Jahren im Hospiz, drei bis sechs Stunden im Monat. Sie bastelt viel mit Alina und liest ihr vor. Die beiden gehen spazieren am See. Ihnen ist wichtig, dass sie viel rausgehen. "Alina ist ein sehr positiver Mensch", sagt Höckesfeld. "Und wenn ihr etwas nicht passt, dann sagt sie es." Die 20-Jährige ist gesellig und mischt überall mit.

Außerdem hat sie seit rund zehn Jahren einen ehrenamtlichen Helfer an ihrer Seite, der mit ihr jede Woche drei bis vier Stunden verbringt. Der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Düsseldorf bildet die Begleiter aus, sorgt für eine Vernetzung der Familien untereinander und hat Alinas Familie im Mai 2016 auch einen Urlaub in Spanien ermöglicht.

Im Hospiz weiß die Mutter Alina in guten Händen

Ist Alina im Hospiz, kann ihre Mutter durchatmen. Die Alleinerziehende stößt bei der Betreuung ihrer Tochter auch an Grenzen, denn 18 Stunden Pflegepersonal stünden Alina theoretisch zu. Doch es ist kein Pflegepersonal zu finden. Wenn die Tochter im Regenbogenland ist, bleibt der Mutter Zeit für Papierkram. Sie würde sich wünschen, dass einem der Alltag als Betroffener nicht so schwer gemacht wird. Vieles müssen die Familien sich selbst erarbeiten und herausfinden.

Im Hospiz weiß die Mutter Alina in guten Händen, sie kann abschalten. Denn es gibt ständig Anlass zur Sorge: Alina hatte schon sechs Herzstillstände in neun Wochen. Seit einem Jahr funktionieren ihre Nieren nicht mehr so gut. Aber die Mutter beschäftigt sich nicht ständig mit Prognosen und Diagnosen. "Wir müssen vieles auf uns zukommen lassen. Auch ein Gesunder weiß nicht, was morgen passiert."

Alina würde statt der Arbeit in der Behindertenwerkstatt lieber etwas anderes machen. Sie liebt Tiere, hat einen Hund und zwei Kaninchen. Ihre Mutter bemüht sich um eine Lösung, doch es ist schwierig. Ihre Tochter würde gerne in einem Tierheim zum Beispiel Näpfe füllen und Hunde ausführen — gerne auch ehrenamtlich. "Sie hat im Vergleich eine kürzere Lebenserwartung, sie braucht nicht zu arbeiten, damit sie später eine Rente hat", sagt ihre Mutter. Denn die Zeit, die bleibt, soll so schön wie möglich sein.

(mso)
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