Forschung in Düsseldorf Warum der Stress im Homeoffice steigt

Düsseldorf · Die Frage, ob die Arbeit zu Hause gelingen kann, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Wissenschaftler haben Beschäftigte in der Pandemie befragt. Wo die Fallstricke bei der Arbeit in den eigenen vier Wänden liegen.

 Wer kann, soll zu Hause arbeiten. In der vierten Welle gilt erneut eine Homeoffice-Pflicht.

Wer kann, soll zu Hause arbeiten. In der vierten Welle gilt erneut eine Homeoffice-Pflicht.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Nun gilt sie also wieder, die Homeoffice-Pflicht. Kostenpflichtiger Inhalt Nach nur knapp fünf Monaten Pause müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern seit letzter Woche wieder anbieten, Zuhause zu arbeiten. „Wenn immer dies von der Tätigkeit her möglich ist“, so das Bundesarbeitsministerium. Aber was bedeuten die neuen Corona-Regeln im Job für den Einzelnen? Wird Homeoffice von Arbeitnehmern eher als Fluch oder Segen wahrgenommen?

Diese Frage begleitet Stefan Süß, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität, seit Beginn der Pandemie. Hunderte Beschäftigte aus dem Öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft hat sein Team seit Frühjahr 2020 insgesamt drei Mal (zuletzt im Frühsommer) nach ihrer individuellen Situation, nach ihrer selbst eingeschätzten Produktivität und persönlichen Zufriedenheit befragt. Eine aktuelle Erkenntnis: Während sich zu Beginn der Pandemie die meisten Beschäftigten im Homeoffice weniger leistungsstark als in Vor-Corona-Zeiten empfanden – im Durchschnitt um zehn Prozent – sei die Produktivität nach eigener Einschätzung innerhalb eines Jahres deutlich gestiegen.

 Stefan Süß ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität. Seit Beginn der Pandemie haben er und sein Team hunderte Beschäftigte zur Arbeit im Homeoffice befragt.

Stefan Süß ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität. Seit Beginn der Pandemie haben er und sein Team hunderte Beschäftigte zur Arbeit im Homeoffice befragt.

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Das mag nach Einschätzung des Wissenschaftlers daran liegen, dass im Frühjahr 2020 viele Menschen geringe Erfahrungen mit dem Homeoffice hatten und in den eigenen vier Wänden nur über einen provisorischen Arbeitsplatz verfügten. „Wie der Einzelne es empfindet, zu Hause zu arbeiten, ist sehr unterschiedlich und hängt stark von der Lebenssituation ab“, so Süß. Wenn also eine Bürokraft ihren Job am Küchentisch erledigt, mit der Technik kämpft und sich gleichzeitig noch um die Kinder kümmern muss, dann können Produktivität und Zufriedenheit schon mal auf der Strecke bleiben. Sein Fazit: „Mittlerweile haben sich die meisten Menschen an die Situation und an die veränderte Kommunikation gewöhnt. Sie beherrschen die Technik und haben ihren Arbeitsrhythmus gefunden.“

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Das bedeutet allerdings nicht, dass die Belastungen, die viele zu Beginn besonders deutlich gespürt haben, generell wieder nachgelassen haben. „Viele Teilnehmer der Studie haben uns berichtet, dass ihr Stress-Level mittlerweile wieder angestiegen ist“, sagt Stefan Süß. Denn am Anfang hätte es in Unternehmen noch viel Verständnis gegeben, wenn jemand Probleme mit der Situation hatte, später hieß es dann oft: „Leute, das muss aber jetzt mal klappen.“ Auch sei für viele der Arbeitsplatz am Küchentisch immer noch die Regel, rund drei Prozent berichteten, nicht mal den zur Verfügung zu haben, sondern auf dem Sofa oder im Bett liegend und mit dem Laptop auf den Knien zu arbeiten - „ergonomisch eine Katastrophe“, so Süß.

Generell ließe sich feststellen, dass Routinearbeiten im Homeoffice gut erledigt werden können. Wenn es aber um kreative Prozesse geht, die eher den persönlichen Austausch brauchen, dann könne es schwierig werden. Zufriedenheit sei zudem stark von der Familiensituation abhängig. So würden sich gerade Singles, egal in welchem Alter, oft isoliert fühlen und den persönlichen Kontakt zu den Kollegen vermissen. „Wir haben in Zeiten der Pandemie gelernt, was im Homeoffice generell funktioniert und was nicht“, meint Stefan Süß. Er zitiert eine amerikanische Studie, wonach im Durchschnitt zu Hause 48 Minuten pro Tag mehr gearbeitet würden als im Betrieb. Vermutlich auch, weil der Weg zum Job wegfällt und durch Mehrarbeit kompensiert wird. Solche Fragen müssten künftig durch das Arbeitsrecht geregelt werden, das bisher auf flexible Arbeitszeiten noch nicht wirklich eingestellt sei.

In der jetzigen Pandemie-Situation sei es absolut sinnvoll zu Hause zu arbeiten, wo immer es geht, resümiert der Wissenschaftler, „aber danach muss Homeoffice freiwillig sein.“ Denn für viele Menschen sei die Trennung von Job und Privatleben wichtig, sie bräuchten das Gefühl: Wenn ich die Firma verlasse, ist der Arbeitstag erledigt. Sie würden es als stress- und konfliktverstärkend empfinden, wenn man sie zum Homeoffice drängen würde, so Süß. Eine ideale Möglichkeit sieht er in einer Verknüpfung, also vielleicht zwei Tage zu Hause arbeiten und drei Tage im Unternehmen. Eine solche Kombination würde Teamgeist und Wir-Gefühl steigern und somit die persönliche Zufriedenheit. „Denn keine Videokonferenz kann auf Dauer die persönliche Begegnung ersetzen.“

Homeoffice – eher Fluch oder Segen? Für Stefan Süß lässt sich die Frage generell nicht beantworten: „Es kommt auf die konkrete Situation, auf die Angebote des Unternehmens für die Mitarbeiter und die Bedürfnisse des Einzelnen an.“

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