Düsseldorf Vor 70 Jahren der erste Transport

Düsseldorf · Der 26. Oktober 1941, an dem sich immer mehr Menschen auf dem Schlachthof an der Rather Straße drängten, war ein Sonntag. Sie kamen vom Niederrhein, aus dem Bergischen, dem westlichen Ruhrgebiet und aus Düsseldorf. Am Ende standen 1003 Menschen dort, alle jüdischen Glaubens, ausgerechnet dort, wo für sie unreine Tiere geschlachtet wurden, im Geruch von Schweineblut.

In ihrem Gepäck hatten sie wichtige Papiere, ihre Zeugnisse, Pässe und Ahnendokumente, die Männer hatten ihre Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg eingepackt, alles in der Hoffnung, die vom Nazi-Regime ausgegebene Parole, man werde zur Arbeit in den Osten umgesiedelt, möge sich bewahrheiten.

Selbst unter Forschern sei die Meinung verbreitet, die aus dem Westen deportierten Juden seien direkt in den Tod gefahren, berichtete gestern, am 70. Jahrestag des ersten Lodz-Transports aus Düsseldorf, Hildegard Jakobs, Historikerin in der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte. Eine Einschätzung, die keinen Bestand hat, wie Überlebende berichten und Dokumente belegen. Noch 1944 sind aus Litzmannstadt, wie die Nazis das polnische Lodz nach einem frühen Parteigänger genannt hatten, Briefe geschickt worden. Manche voll Verzweiflung. Manche voller Hoffnung wider besseres Wissen.

Die Schicksale jener Menschen, die auf dem Schlachthof frierend warteten, bis sie am nächsten Morgen, früh um vier, zur Verladerampe des Derendorfer Güterbahnhofs getrieben wurden, haben Jakobs und ihre Kollegin Angela Genger, frühere Leiterin der Mahn-und Gedenkstätte, in langer Archivarbeit recherchiert. Und sie kamen zu dem bestürzenden Ergebnis: Von den 1003 Deportierten haben nur 13 den Tag der Befreiung erlebt.

Bis dahin war es ein brutaler Weg, durch einen unmenschlichen Alltag, wie Zeitzeugen den beiden Forscherinnen schilderten. Durch eine Buchveröffentlichung im vergangenen Jahr habe man Kontakte zu Überlebenden knüpfen können, von denen sie bislang nichts wussten, sagte Jakobs. Und sie hat von Angehörigen der Deportierten viel Dank gehört. Denn die quälten die Fragen nach dem Schicksal ihrer Familien seit 70 Jahren.

Die wurden 1941 noch in ungeheizten Personenwagen 3. Klasse gepfercht und bis zur Ankunft in Lodz nur mit ein wenig Wasser versorgt. Im Ghetto blieb das "Düsseldorfer Kollektiv", wie die Ankömmlinge hießen, mindestens ein halbes Jahr lang in Massenunterkünften: Alte, Kranke, Kinder und Paare – bis zu 65 Menschen teilten sich einen Raum. Nur wer in einer der Fabriken im Ghetto arbeiten konnte, bekam mehr als einmal am Tag zu essen. Essen und Arbeit verteilte die jüdische Ghettoverwaltung, die von den Bewohnern bezahlt werden musste. Viele flehten deshalb in Briefen in die Heimat um Geld.

Ab 1942 sollte das Ghetto verkleinert werden. Die Nazis schickten Hunderte ins Vernichtungslager Chelmno, organisierten mörderische Razzien in den Ghetto-Straßen. Bei der Liquidierung des Ghettos im Sommer 1944 waren nur noch 15 Prozent der von Düsseldorf aus Deportierten in Lodz.

(RP)
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