Diskussion in Düsseldorf Viele Familien sind in der Krise besonders belastet

Düsseldorf · „Familien am Limit“ war eine Diskussion der Diakonie Düsseldorf überschrieben. Die Belastungen sind durch Corona, Inflation und steigende Energiekosten gestiegen – aber die Scheidungsrate (noch) nicht.

Zusammenhalt ist wichtig, aber viele Familien sind aktuell sehr belastet.

Zusammenhalt ist wichtig, aber viele Familien sind aktuell sehr belastet.

Foto: dpa/Christian Charisius

Da hatte sich die Diakonie mit der Podiumsdiskussion „Familien am Limit“ einiges vorgenommen, entfalteten die Diskutanten doch ein umfassendes und vielschichtiges Bild der derzeitigen Lebenssituationen von Familien. „In Zeiten von Corona-Pandemie und steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen haben immer mehr Familien Unterstützungsbedarf. Ob es die Finanzen oder die Wohnsituation, Kita oder Schule, Trennung und Scheidung oder das Thema Gewalt betrifft.“ So eröffnete Diakoniepfarrer Michael Schmidt die von Eileen Woestmann (familienpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag), Nele Flüchter (Landesvorsitzende „Lobbyisten für Kinder“), Stephan Glaremin (Jugendamtsleiter Düsseldorf) und Jens Duisberg (Leiter Diakonie-Beratungsstellen Düsseldorf) geführte Diskussion.

Bereits die Einleitung zeigte, welch weites Feld es abzuarbeiten galt. Dabei ist der Begriff Familie nach Ansicht des Jugendamtsleiters zu eng gefasst. „Wir müssen den Familienbergriff ,verheiratete Eltern mit zwei Kindern‘ aufbrechen“, meinte Glaremin. „60 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund, es gibt viele Alleinerziehende, manchmal werden auch die pflegebedürftigen Elterm betreut. Manchmal ist sogar ein Haustier Familie.“ Dass sich in der Coronazeit vermehrt Ehekrisen in Scheidungen manifestieren, sei noch nicht erkennbar. „Man brauchte kein Corona, um die Scheidungsrate nach oben zu treiben“, so Glaremin. „Die lag vorher auch schon bei 50 Prozent.“

Für alle Diskutierenden war aber klar, dass sich die psychischen Belastungen durch Corona und zudem durch Inflation und steigende Energiepreise stark erhöht haben. „In vielen unserer Beratungsgespräche geht es um existenzielle Probleme von Menschen, die nicht mehr weiter wissen“, stellte Duisberg fest. Die Entwicklungsdefizite von Kindern durch Kindergarten- und Schul-Lockdowns kämen dazu.

Ad Hoc-Lösungen für die vielfach problematische Situation in Familien gibt es aber nicht. Die Betreuungssituation in Kindergärten ist schwierig, fehlten doch in NRW insgesamt 100.000 Kita-Plätze., auch weil es nicht genug fachlich geschultes Personal gibt. „Wir müssen andere Zugänge für soziale und pädagogische Ausbildungen schaffen. Da wäre es hilfreich, direkt ab dem ersten Lehrjahr etwas zu bezahlen“, so Glaremin. „Wir werden nur Leute gewinnen, wenn man ihnen direkt vom ersten Tag an eine anständiges Gehalt zahlt.“

Das sind allerdings Lösungsansätze, die frühestens in ein paar Jahren greifen können, also muss auch über andere Entlastungen nachgedacht werden, etwa Seiteneinsteiger zuzulassen. „Es ist nicht nur schlecht, wenn man Leute, die Expertise aus anderen Bereichen mitbringen, zulässt“, meinte Flüchter. „Ich habe lieber einen fachfremden Lehrer da sitzen als gar keinen.“ Kurzfristig haben das Jugendamt und die Diakonie ihre Beratungsangebote erhöht. So gibt es jetzt einen telefonischen 24-Stunden-Dienst, der Kindern und Jugendlichen in Not- und Krisensituationen erste Hilfe anbietet. Einig war man sich in der Versöhnungskirche darüber,  dass Beratungen, Therapien, Betreuung und Begleitung weiter ausgebaut werden muss.

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