Interview mit Verdi-Vertreter Das Pflegepersonal der Düsseldorfer Uniklinik ist wütend

Der Verdi-Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen spricht über die Arbeitsbedingungen in der Pflege und erklärt, warum er die Forderungen seiner Gewerkschaft für gerechtfertigt hält.

 Mitarbeiter der Düsseldorfer Uniklinik demonstrierten vergangene Woche mit Kollegen aus anderen Häusern vor der Konferenz der Gesundheitsmninister im Medienhafen.

Mitarbeiter der Düsseldorfer Uniklinik demonstrierten vergangene Woche mit Kollegen aus anderen Häusern vor der Konferenz der Gesundheitsmninister im Medienhafen.

Foto: Nicole Lange

Heute entscheidet sich, ob es an der Uniklinik einen unbefristeten Streik geben wird. Die Urabstimmung endet um 12 Uhr, dann werden die Stimmen gezählt. Bei Verdi stehen die Signale eindeutig auf Kampf: Auch nach zwei Warnstreiks innerhalb von zwei Wochen gibt es keine Gespräche mit den Arbeitgebern. Der zuständige Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen erklärt, warum das Pflegepersonal sich am Limit sieht.

Herr von Hagen, wenn ein krebskranker Patient, dessen OP verschoben wurde, Sie jetzt fragt, was dieser Streik soll: Was sagen sie ihm?

Von Hagen So etwas passiert mir und meinen Kollegen immer wieder. Und wir sagen auf diese Frage sehr deutlich, dass es im ersten Halbjahr keine Streiks an der Uniklinik gab und trotzdem zahlreiche Operationen verschoben wurden. Da liegt der Fehler definitiv nicht bei uns – jetzt plötzlich wird aber dieser Zusammenhang hergestellt. Außerdem: Die Notdienste haben wir immer sichergestellt. Zur Not einseitig, wenn die Uniklinik wie in Düsseldorf eine Notdienstvereinbarung ablehnt, die sowohl die Notversorgung als auch das Streikrecht der Beschäftigten gewährleistet.

Dass nicht einmal die Einigung auf eine Notdienstvereinbarung möglich war, ist ungewöhnlich. Wie erklären Sie das?

Von Hagen Wir haben jedenfalls mit der Uniklinik Essen exakt eine Notdienstvereinbarung getroffen, die die Düsseldorfer Uniklinik ablehnt. Da stehen die gleichen Formulierungen drin, die hier als nicht unterschreibbar bezeichnet werden. Uns wird immer vorgeworfen, wir wollten im Ernstfall Funktionäre medizinische Entscheidungen treffen lassen. Dabei haben wir dafür Menschen aus dem dem gesamten Krankenhaus, die diese Entscheidung aus ihrer beruflichen Professionalität treffen. Es wird eine saubere fachliche Einschätzung getroffen. Im Übrigen gehen wir an Streiktagen nie unter die Besetzungen, wie der Vorstand sie auch an einem Feiertag oder bei Ausfällen zulässt. Das scheint mir eigentlich fair zu sein.

   Jan von Hagen

Jan von Hagen

Foto: Verdi

Wie ist der jüngste Warnstreik gelaufen?

Von Hagen Die Bereitschaft ist sehr hoch und steigt weiter, wir hatten rund 400 Teilnehmer pro Tag an den Warnstreiks. Die Belegschaft hat inzwischen das Vertrauen in den Vorstand verloren und fühlt sich in ihren Nöten nicht ernst genommen. Uns fällt auf, dass die Leute nicht resigniert sind, sondern wütend. Auf die Politik und auch auf ihren Arbeitgeber.

Pfleger und andere Krankenhaus-Mitarbeiter wollen Menschen helfen. Kann man sie schwerer zu Streiks bewegen?

Von Hagen in der Vergangenheit war das so. Es hat sich ja auch erst in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt, dass tatsächlich Krankenhaus-Personal streikt. Da gab es noch nicht diese Streikkultur wie in der Metallindustrie. Aber wenn man jeden Tag nach Hause kommt und das Gefühl hat, dass man seinen Aufgaben nicht ausreichend nachkommen konnte, weil es einfach zu viel ist, dann entwickelt sich das. Die Mitarbeiter merken, dass sie krank werden und dass die Kollegen krank werden. Viele verlassen als Reaktion auch das Krankenhaus, bitten um Auflösungsverträge oder vereinbaren Teilzeit. Der andere Weg ist, sich gemeinsam für bessere Bedingungen einzusetzen – auch mit Streik.

Die Uniklinik zweifelt an, dass sie überhaupt mit Ihnen verhandeln könnte. Warum wenden Sie sich nicht an die Tarifgemeinschaft der Länder?

Von Hagen Erst einmal eine Vorbemerkung: Wenn unser Arbeitskampf tatsächlich rechtswidrig wäre, dann gäbe es doch schon längst eine Klage. Das Bundesarbeitsgericht sagt aber in ständiger Rechtsprechung, dass Arbeitgeber im Verbund nicht ihre Rechte verlieren, auch selbst zu verhandeln. Herr Zimmer, der kaufmännische Direktor des Uniklinikums, darf tarifrechtliche Entscheidungen treffen – die Behauptung, er dürfe das gar nicht, ist schlicht vorgeschoben.

Nun könnten Sie mit solchen Forderungen ja an Unikliniken im ganzen Land herantreten. Warum haben Sie Düsseldorf besonders im Fokus?

Von Hagen Es ist eine falsche Sicht, dass wir uns Düsseldorf quasi herausgesucht haben. Der Auftrag kommt von den Beschäftigten. Natürlich haben Sie Recht, dass es bundesweit viele Krankenhäuser gibt, in denen die Lage nicht gut ist. In Düsseldorf ist sie aber tatsächlich besonders angespannt.

Dabei betont auch der Vorstand der Uniklinik selbst, dass es nicht um Ergebnis-Maximierung gehen darf im Krankenhaus.

Von Hagen Es mag sein, dass es dem Vorstand nicht darum geht, maximale Gewinne zu erzielen. Aber man will sich den Spielraum komplett erhalten und nicht von den Arbeitnehmern reinreden lassen, wie viel Personal gebraucht wird. Gerade deshalb kämpft der Personalrat dort sehr engagiert.

Der Personalrat gilt in diesem Fall aber auch als besonders eckig. Der Klinik-Vorstand beklagt, dass man im Jahr über 750 Punkte besprechen muss…

Von Hagen Na ja, es gibt gesetzliche Vorgaben, wie ein Personalrat und ein Vorstand zusammenarbeiten sollen. Aber der Vorstand hält diese Vorgaben einfach nicht ein. Beispielsweise wenn es darum geht, Fristen einzuhalten oder wenn er Pflegepersonal aus dem Ausland akquiriert: Es ist nicht so, dass der Personalrat prinzipiell etwas dagegen hat. Aber er hat etwas dagegen, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Der Vorstand trifft dann einfach schon die Entscheidungen und fragt danach: Das war doch okay, oder? So etwas macht man vielleicht die ersten Male mit, aber wenn es immer wieder vorkommt, zieht man irgendwann die Reißleine.

Ist das nicht Prinzipienreiterei? Wenn Leute eingestellt werden, ist das doch an sich was Gutes?

Von Hagen Zunächst einmal verlangt das Gesetz vom Personalrat, dass er seine Arbeit macht. Und Außerdem ist es eben nicht immer nur positiv, wenn Leute eingestellt werden. Wenn etwa Hilfskräfte angeheuert werden, werden oftmals parallel Fachkräfte abgebaut, weil sie mehr kosten. Da fürchtet der Personalrat, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen könnte. Es stimmt auch nicht, dass ein Verhältnis von 80:20 zwischen examinierten Kräften und Hilfskräften (z.B. für die Essensverteilung) an Krankenhäusern die Regel ist. Zumal die Examinierten es nicht nur als Zeitverschwendung sehen, beispielsweise das Essen auszuteilen. Sie kommen dabei in Kontakt mit dem Patienten und können seinen Zustand beurteilen. Das ist für eine ganzheitliche Pflege notwendig.

Reden wir mal über Zahlen? Für wie viele Patienten ist eine Pflegekraft an der Uniklinik denn heute real zuständig?

Von Hagen Auf einer Normalstation mit 32 bis 36 Betten kann man von zwei Fachkräften pro Schicht ausgehen, also ein Verhältnis von 1:16 oder 1:18. An krassen Tagen kann es auch noch schlechter aussehen. Das sind keine guten Zahlen: Andernorts gibt es drei oder sogar vier Pflegekräfte für diese Bettenzahl. Und es ist auch keine Lösung, eine solche Station mit einem professionellen Pfleger und drei Hilfskräften zu machen. Es wäre etwas anderes, wenn diese Leute zusätzlich da wären. Auf der Intensivstation liegt die Empfehlung der Fachgesellschaften bei 1:2; diese wird aber immer wieder unterschritten mit einem Verhältnis 1:3 oder 1:4.

Viel Streit gab es auch um das neue Dienstplanmodell. Hat das die Lage wirklich noch verschlechtert?

Von Hagen Zumindest ist es so, dass die Uniklinik vor ein paar Jahren selbst noch mit dem alten Modell geworben hat, weil man mehr freie Tage hatte. Das wurde als Instrument eingeführt, um bessere Entlastung nach Nachtschichten zu schaffen. Die Rückmeldung nach der Änderung ist: Die früher längeren Überlappungen zwischen den Schichten haben geholfen, auch mal gemeinsam Sonderaufgaben zu erledigen. Die Übergabe lief auch besser. Heute haben die Pflegekräfte nicht mehr genug Zeit je Patient für die Übergabe, deshalb bleiben die Kollegen letztlich doch länger als vorgesehen. Und wir erleben, dass sie indirekt aufgefordert werden, diese zusätzliche Zeit nicht als Überstunden zu nehmen. 1400 von 2000 Pflegekräften an der Uniklinik haben gegen das neue Modell unterschrieben.

Die Urabstimmung geht heute zu Ende. Welches Ergebnis erwarten Sie?

Von Hagen Wir gehen von einer deutlichen Mehrheit für den Arbeitskampf aus. Die Beschäftigten sind nicht länger bereit, den dramatischen Personalmangel auf Kosten ihrer Gesundheit auszugleichen. Sie wollen die Menschen endlich wieder so versorgen können, wie es richtig ist. Deshalb streiken die Beschäftigten nicht nur für sich, sondern auch für ihre Patientinnen und Patienten.

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