Düsseldorfer von Transporter erfasst „Für mich war das die große Freiheit, mit dem Rollstuhl zu rollen“
Düsseldorf · Der Düsseldorfer Detlef Lofi war seit seiner Geburt querschnittsgelähmt. Doch ein Fahrrad schenkte dem Bibliothekar und Künstler die Freiheit, die ganze Stadt zu erkunden. Bis er von einem Transporter erfasst wurde. Ein Nachruf.
Es war sein Fahrrad, das Detlef Lofi die Freiheit schenkte. Eine Spezialanfertigung mit drei Rädern, hinten wie ein Rollstuhl, vorne wie ein Fahrrad, das er mit den Händen ankurbeln konnte. Kilometerweit konnte er damit fahren, richtig lange Strecken, ohne an jedem Bordstein und Kopfsteinpflaster zu scheitern. „Ich kann Berge überwinden“, sagte Detlef Lofi.
Auf diesem Fahrrad war er auch am frühen Abend des 15. August unterwegs. Als er die Aachener Straße in Bilk an einer Ampel bei Grün überquerte, bog dort gerade ein Transporter ein. Es war ein Fehler des Autofahrers, er hätte dort gar nicht abbiegen dürfen. Statt wie die anderen Rechtsabbieger zu warten, fuhr der Transporter auf der mittleren Spur an den Wagen vorbei und bog verbotenerweise rechts ab.
Dabei übersah er Detlef Lofi, sitzend auf seinem Rad. Er kippte um, stürzte auf die Fahrbahn. Der 58-Jährige wurde schwer verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden, so hieß es in der ersten Polizeimeldung. Doch Detlef Lofis Sturz war verheerender, als es zunächst anmutete. Er erlitt schwere Hirnverletzungen. Zweieinhalb Wochen lag er im Krankenhaus, ohne dass sich sein Zustand besserte. Am Sonntag, 1. September, starb Detlef Lofi.
Jedes Jahr gibt es allein in Düsseldorf rund 1000 Unfälle mit Radfahrern. Bei Autounfällen im Stadtverkehr bleibt es in den meisten Fällen bei Blechschäden. Bei Fahrradunfällen hingegen gibt es fast immer Verletzte – und das sind in der Regel die Radfahrer. Zwischen 800 und 950 Verletzten bewegten sich die Zahlen in den vergangenen Jahren. In 2023 wurden von 853 Verunglückten fast 100 schwerverletzt, drei Menschen starben auf den Straßen. Auch Detlef Lofi war mit einem Gefährt unterwegs, das einem Fahrrad gleicht. Aber er war noch schlechter zu sehen, noch vulnerabler. Er verunglückte ausgerechnet mit dem Rad, das ihn so mobil machte.
Detlef Lofi wurde mit einer Spina bifida geboren, einem Spalt in der Wirbelsäule, der oft „offener Rücken“ genannt wird. Es ist die häufigste angeborene Behinderung. Er konnte von Geburt an nicht laufen. Aufhalten ließ sich Detlef Lofi davon jedoch nie. Mit drei Jahren bekam er einen Rollstuhl und konnte sich zum ersten Mal alleine fortbewegen. „Für mich war das die große Freiheit, mit dem Rollstuhl zu rollen“, sagte Lofi in einem Interview, das er seiner Cousine Alice Moustier gab. Auch wenn die anderen Kinder auf ihren Fahrrädern immer schneller waren als er. Das habe er natürlich gemerkt, sich aber nie daran gestört.
Später bewegte er sich motorisiert fort, er fuhr ein Auto, bei dem er das Dach hochklappen konnte, um selbstständig einzusteigen. Er hatte Kraft, hievte sich auf den Fahrersitz, setzte dann den zusammengeklappten Rollstuhl auf das Dach. „Ich bewunderte seine Armmuskeln“, sagt die Großcousine.
Irgendwann kam das Fahrrad hinzu, ein sogenanntes Handbike, angetrieben über Handkurbeln, zuletzt auch mit elektronischer Unterstützung. „Das war für mich wie eine Revolution“, sagte Lofi. Damit fuhr er durch ganz Düsseldorf, mal drehte er eine Runde am Unterbacher See, mal besichtigte er Schloss Benrath, mal fuhr er zur Rheinkirmes und fotografierte die Achterbahnen. Das alles hat er festgehalten auf seinem Instagram-Kanal, wie in einem Fotoalbum kann man sich durch die Bilder seiner Ausflüge blättern. Immer wieder zu sehen: er selbst, Detlef mit seinem Rad.
Das Fahrrad brachte ihn auch zu seinem Job, den er mochte. Ehemalige Studierende der Hochschule Düsseldorf könnten Detlef Lofi noch kennen. Er arbeitete dort als Bibliothekar. Und das Rad brachte ihn zur Kunst – in die Museen und Galerien der Stadt und über die Grenzen hinaus. Er besuchte die Tony-Cragg-Ausstellung im Kunstpalast, die Kunstsammlung K20, er war zu Gast bei Ausstellungseröffnungen in Düsseldorf und Köln.
Detlef Lofi war selbst Künstler, er stellte seine Werke in Düsseldorfer Kirchen und Büchereien aus. Seine Bilder zeigten etwa einen Kolibri, der in der Luft steht, oder eine Tänzerin, die in der Drehung verharrt – „Bewegung und Stillstand“ hieß diese Ausstellung. Seine Bilder, schrieb ein Journalist damals, seien fröhlich und nachdenklich zugleich. Lofi sagte: Er liebe helle Farben, „weil das Leben optimistisch angegangen werden muss“.
Er war Optimist, auch in der Liebe. Mit Mitte 20 lernte Detlef Lofi die Frau kennen, die er später heiratete. Zunächst war es eine enge Freundschaft mit der fünf Jahre jüngeren Petra, die ebenfalls im Rollstuhl saß. Nach sieben Jahren wurde daraus eine Beziehung. Sie zogen in eine gemeinsame Wohnung in Mörsenbroich. In einem noblen Hotel am Deutschen Eck in Koblenz machte Detlef ihr schließlich den Heiratsantrag. Im Standesamt an der Inselstraße gaben sie sich 2002 da Jawort, Detlef war damals 36, Petra 31 Jahre alt. „Sie liebten es, zusammen zu tanzen, und sie liebten das Reisen“, sagt Großcousine Alice Moustier. Die Flitterwochen verbrachte das Paar in der Toskana, sie reisten sogar zusammen nach Namibia.
Und Detlef Lofi war laut. Als Rollstuhlfahrer sah er sich immer wieder mit Hindernissen konfrontiert und scheute nicht, diese anzusprechen. Er kritisierte öffentlich die mangelnde Barrierefreiheit in Düsseldorfer Kultureinrichtungen, etwa eine schlechte Parksituation am NRW-Forum. Oder den Mangel an Rollstuhlplätzen in der Komödie – so konnten Detlef und Petra ein Theaterstück nicht zusammen sehen. Das Paar ließ auch seinen Alltag im Rollstuhl für eine Ausstellung fotografisch festhalten. „Behinderte brauchen nicht besonders behandelt werden. Das Zusammensein in allen Situationen macht das Leben lebenswert“, sagte Petra Lofi während der Vorstellung.
Petra Lofi starb vor sechs Jahren. Ein harter Schlag für Detlef. Erst in den vergangenen Monaten hatte er sich wieder aufgerappelt, sagt seine Großcousine, er hatte langsam neue Kraft geschöpft. Detlef sagte im Interview: „Man muss den Mut haben, das Leben weiterzuleben“.
Zuletzt arbeitet er an einer Plastik. Er veröffentlichte ein Foto von der Skulptur bei Instagram. Es ist ein Gebilde, das aus zwei zusammenhängenden Gesichtern besteht, eines traurig, das andere lachend.