„Ich habe Angst vor dem Winter“ So treffen die hohen Preise die Geringverdiener
Düsseldorf · Die steigenden Preise für Lebensmittel und Energie beschäftigen alle – aber wie treffen sie Menschen, die ohnehin wenig haben? Ein Besuch bei Betroffenen in Düsseldorf und bei denen, die sie beraten und versuchen, ihnen zu helfen.
Im Herbst möchte Ralf Tepper eigentlich in den Urlaub fahren, nach Venedig, für vier Tage mit dem Bus. 500 Euro sollte das kosten, dafür spart er seit zwei Jahren. Doch ein Anbieter ist schon ausgebucht, ob es klappt, weiß er nicht. „Ich hoffe, dass ich mir das noch erlauben kann“, sagt der 71-Jährige mit Blick auf die seit Monaten steigenden Preise für Lebensmittel, Energie, eigentlich fast alles, was man zum Leben braucht. Das merkt auch Tepper, der lange Jahre Zeitungen verkauft hat und jetzt von knapp über 1000 Euro Rente lebt. „Ich teile es mir eben so ein, dass es reicht“, sagt er. „Und ich brauche nicht viel.“ Zum Frühstück isst er eine Orange und einen Pfirsich, für das Mittagessen fährt er von Kaiserswerth aus jeden Tag ins Café Grenzenlos nach Unterbilk, wo er das Menü mit Nachtisch für 2,50 Euro bekommt. Abends gibt es ein Stück Kuchen, dazu trinkt er Leitungswasser. Einziger Luxus: Zigarren, aber da nimmt Tepper die günstigste Sorte.
Wer im Café Grenzenlos das günstige Mittagsmenü bekommen will, muss seine Bedürftigkeit nachweisen – mit dem sogenannten Düsselpass der Stadt – oder zeigen, dass er mit Arbeitslosen- und Wohngeld auf nicht über rund 800 Euro bzw. mit Rente und Grundsicherung auf nicht über rund 1000 Euro im Monat kommt. Alle anderen zahlen fünf Euro. Die meisten, die kommen, zahlen weniger. Wer hier ein paar Stunden verbringt, hört viele Geschichten vom Sparen, vom Verzicht, von der Sorge, bald nicht mehr genug Geld für Alltägliches zu haben. „Das treibt die Leute um, die Sorgen sind groß vor diesem Herbst und Winter“, sagt Grenzenlos-Geschäftsführer Jörg Thomas, der auch in der Sozialberatung des Vereins tätig ist.
So geht es auch einer Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die 50-Jährige ist vor einigen Jahren aus Marokko nach Deutschland gekommen, hat hier einen Sohn bekommen, der inzwischen zehn Jahre alt ist. Vor Corona hat sie als Kosmetikerin gearbeitet, seitdem bezieht sie Arbeitslosengeld, für sie beide zusammen sind das knapp 1400 Euro im Monat. Mehr als die Hälfte davon geht für die Miete drauf, zwei Zimmer, Küche, Bad, mehr kann sie sich in Düsseldorf nicht leisten.
„Schon letztes Jahr hatte ich eine Nachzahlung von 500 Euro für die Betriebskosten“, erzählt sie. Die habe sie in Raten abgestottert. Wie es nach diesem Jahr aussieht, will sie sich gar nicht ausmalen. „Ich habe Angst vor dem Winter.“ Am größten sei die Sorge, die Wohnung zu verlieren, etwas Neues zu finden, sei nahezu unmöglich. Trotz gesundheitlicher Probleme sei sie auf der Suche nach einer neuen Stelle, in ihren alten Job könne sie aber nicht zurück. So vieles sei teurer geworden, Öl, Toilettenpapier, Lebensmittel. Fleisch kauft sie deshalb eigentlich gar nicht mehr, das Essen im Café Grenzenlos ist oft günstiger und nahrhafter, als selbst zu kochen. Vor ihrem Sohn möchte die 50-Jährige ihre Sorgen so gut es geht verbergen – ganz gelingt ihr das aber nicht. „Ich versuche, ihm beizubringen, Strom zu sparen, zum Beispiel weniger Fernsehen zu gucken, aber er ist jung, für ihn ist das nicht greifbar.“ Für die 50-Jährige allerdings umso mehr. „Ich schlafe jeden Abend mit Sorgen ein und wache am Morgen wieder damit auf.“
Für Max Gassen und Lisa Bußkönning von der Caritas, die die Zentren plus in Wersten beziehungsweise Oberbilk leiten, ist derzeit vor allem schwierig, dass die Nervosität, die sich unter vielen ihrer Gäste breitmacht, niemand so richtig nehmen kann. Noch wissen viele nicht, wie hoch ihre neuen Abschläge für Strom und Gas wirklich werden und ob weitere Entlastungspakete der Bundesregierung kommen. Viele der Klienten hier sind über 55 und beziehen zusätzlich zu ihrer Rente Grundsicherung. In den Zentren plus werden sie beraten, kommen aber auch einfach mal mit anderen ins Gespräch, und ein regelmäßiges Mittagessen gibt es auch – in Oberbilk einmal im Monat kostenlos, in Wersten wochentags für kleines Geld.
„Für viele der älteren Menschen ist ihre Bedürftigkeit ein schwieriges Thema“, sagt Lisa Bußkönning, „sich Hilfe zu holen ist da nicht selbstverständlich.“ Das gelte auch in einer so angespannten Situation wie jetzt. Für den Herbst und Winter rechnen beide mit einem erhöhten Beratungsbedarf. Noch sei die Situation für die meisten kontrollierbar, auch wenn viele ohnehin schon nur das Nötigste kauften. Das könne sich aber ändern, wenn die Preise weiter steigen. Hier hoffen Bußkönning und Gassen auch auf weitere Unterstützung durch die Politik.
Das Café Grenzenlos würde sich diese für soziale Träger und Vereine wünschen – denn auch hier werden die höheren Preise zum Problem. Wie Vereinschef Davinder Singh sagt, muss der Verein seit dem 1. September statt 700 Euro knapp das Doppelte für Gas zahlen. Fett und Öl seien um knapp 30 Prozent teurer geworden. „Aber unser Koch ist kreativ, bis jetzt schaffen wir es, die Kosten für das Essen niedrig zu halten“, sagt Singh. Dennoch kann er eine Preiserhöhung beim Mittagessen nicht ausschließen – will vorher aber seine Gäste fragen, wie viel sie mitgehen könnten. 120 Essen pro Tag gibt der Verein aus, viele Gäste kommen mehrmals die Woche.
So auch eine Himmelgeisterin, die sich in der Krise vor Kurzem das Rauchen abgewöhnt hat. „Das war einfach zu teuer, und ungesund ist es ja auch“, sagt die 69-Jährige. Sie lebt von ihrer Rente und Grundsicherung, „das reicht gerade so, um meine Miete und andere Ausgaben zu decken.“ Kleidung und Möbel kauft sie grundsätzlich nicht neu, sondern im Sozialkaufhaus. Für Lebensmittel geht sie seit Jahren nur zum Discounter und schaut sich jede Woche die neuesten Angebote an – seit einigen Monaten noch genauer. „Oft kaufe ich dann auch etwas, das reduziert ist, anstatt das, auf das ich Lust habe.“
Zum Glück, sagt sie, hat sie drei Kinder, die ihr ab und an etwas Gutes tun. Dann könne sie auch mal in den Urlaub fahren, ansonsten wäre das nicht drin. Noch kommt sie zurecht, sagt sie, Sorgen bereitet ihr aber die Aussicht auf den Winter. Ihre Wohnung wird mit Fernwärme geheizt, auch hier sind die Preise zuletzt stark gestiegen. „Ich konnte meine Nachzahlung schon im vergangenen Jahr nicht auf einen Schlag bezahlen“, sagt sie, „und mache mir viele Gedanken um das, was Ende des Jahres auf uns zukommt.“