Prozess um Axtangriff in Düsseldorf "Wir erwarten nicht nur eine Entschuldigung"

Lebensgefährliche Kopfverletzungen, schwere psychische Folgen – im Prozess gegen Fatmir H., der im Düsseldorfer Hauptbahnhof mit einer Axt wahllos auf Menschen eingeschlagen haben soll, ging es am Freitag um die Opfer.

Lebensgefährliche Kopfverletzungen, schwere psychische Folgen — im Prozess gegen Fatmir H., der im Düsseldorfer Hauptbahnhof mit einer Axt wahllos auf Menschen eingeschlagen haben soll, ging es am Freitag um die Opfer.

Nicht alle Zuschauer in Saal E122 des Düsseldorfer Landgerichts können hinsehen, als am Freitagmorgen zwei Rechtsmediziner die Verletzungen der acht Menschen zeigen, die am 9. März bei einem Amoklauf mit einer Axt im Düsseldorfer Hauptbahnhof verletzt worden sind. Auf der Anklagebank sitzt Fatmir H. Der 37 Jahre alte Kosovare wirkt auch an diesem zweiten Prozesstag teilnahmslos, manchmal kann er kaum die Augen aufhalten. Er steht unter dem Einfluss von Medikamenten, ist in psychiatrischer Behandlung. Mit ausdrucksloser Miene schaut er auf zur Leinwand, auf die die Fotos der Verletzungen projiziert werden — auch die von seinen eigenen. Er war nach der Tat von einer Eisenbahnbrücke gesprungen, hatte sich beide Füße gebrochen.

Es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass alle acht Opfer den Axt-Angriff überlebt haben. Vier hatten schwerste, lebensbedrohliche Kopfverletzungen. Die Fotos zeigen bis zu 14 Zentimeter lange Wunden am Hinterkopf, ein Mann hatte ein offenes Schädelhirntrauma, eine Frau einen gebrochenen Schädel.

Hauptbahnhof Düsseldorf nach Axt-Angriff abgeriegelt
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März 2017: Amok-Lauf am Düsseldorfer Hauptbahnhof

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Foto: Gerhard Berger

Ein damals ebenfalls lebensgefährlich verletzter Mann ist inzwischen gestorben — man hat ihn Ende Juli tot in seiner Wohnung gefunden. Einen Zusammenhang zu der Tat im März scheint es jedoch nicht zu geben. Der Mann war wohl Alkoholiker, nahm Drogen. Nach der Tat war er nach Hause gelaufen und mit einer Wunde hinter dem Ohr, die bis auf den Knochen reichte, erst vier Tage später zu einem Arzt gegangen. Er wurde operiert, die Wunde verheilte. "Ob er aufgrund des Vorfalls mehr Drogen genommen hat, kann ich natürlich nicht beurteilen", sagt ein Rechtsmediziner. Die Todesursache sei noch nicht zweifelsfrei geklärt, da ein toxikologisches Gutachten noch ausstehe.

"Wir haben es mit einem kranken Menschen zu tun"

Die Folgen des Amoklaufs für die Opfer wiegen schwer: Ein Mann hat seinen Job verloren, weil er noch in der Probezeit war, als er nach der Tat mehrere Wochen krank war. Ein zweiter hat ständig Kopfschmerzen, ist nervös, kann nicht arbeiten. Eine Frau kann sich nicht länger als 20 Minuten konzentrieren und muss noch sehr oft an den 9. März denken. Ein Anwalt, der drei der Opfer als Nebenkläger vertritt, sagt am Freitag: "Wir erwarten nicht nur eine Entschuldigung, sondern auch eine ausführliche Erklärung, warum Fatmir H. das gemacht hat." Doch der Vorsitzende Richter sagt: "Nach jetzigem Kenntnisstand haben wir es mit einem kranken Menschen zu tun."

Es bleibt auch an diesem Tag offen, ob der Angeklagte im Prozess überhaupt etwas sagen wird. Sein Verteidiger sagt: "Er sieht sich aus gesundheitlichen Gründen heute nicht dazu in der Lage, sich zu äußern."

Eigentlich sollten Fatmir H.s Bruder und seine Schwägerin im Prozess als Zeugen aussagen. Sie verweigern als Verwandte jedoch die Aussage, sind aber damit einverstanden, dass das, was sie der Polizei gesagt haben, ins Verfahren einfließen kann.

Und so wird das Bild des Angeklagten ein wenig deutlicher an diesem Tag. Sein Bruder hat den Ermittlern erzählt, dass Fatmir H. nie gewalttätig, aber immer voller Angst gewesen sei. Seit 2009 lebte Fatmir H. allein in einer Wohnung in Wuppertal — genau wie sein Bruder und dessen Frau. Man sah sich oft. Fatmir H. bat seinen Bruder immer wieder, bei ihm zu übernachten. Er soll während des Balkan-Kriegs "zu viele Tote gesehen haben", wie sein Bruder sagt. Das habe ihn traumatisiert. "Er war immer sehr verschlossen, hatte Angst und Wahnvorstellungen, keine Freunde, ist nie rausgegangen", hatte die Schwägerin der Polizei gesagt. Deshalb habe sich Fatmir H. etwa einen Monat vor der Tat eine Axt gekauft, die er immer hinter seiner Wohnungstür stehen hatte. "Er dachte, es kommen Leute, die ihn umbringen wollen." Dass er mit der Axt jemanden angreifen könnte, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen. "Er hatte nie Gewaltfantasien." Beide wussten von den Medikamenten, die Fatmir H. von einem Psychiater verschrieben bekommen hatte. Ob er sie wirklich regelmäßig genommen hat, konnten sie nicht sagen. Schon im Kosovo sei eine Schizophrenie bei Fatmir H. diagnostiziert worden.

2015 war er in Deutschland in einer psychiatrischen Klinik und schluckte dort seine Zahnprothese, wohl um sich umzubringen. Die Ärzte retteten ihn mit einer Notoperation.

Am Tag der Tat war die Familie noch zusammen unterwegs. Spätabends ging der Bruder wieder zu Fatmir H., um ihm in der Nacht Gesellschaft zu leisten, damit er sich nicht allein fühlt. Doch Fatmir H war nicht zu Hause. Und die Axt war weg. Der Bruder ging zur Polizei, weil er Angst hatte, dass Fatmir H. sich etwas antut.

Zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät. Zeugen beschreiben wenig später dramatische Szenen an Gleis 13 des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. "Er hat wild mit der Axt auf Leute eingeschlagen", sagt ein 36-Jähriger, der alles aus einer Bahn heraus beobachten konnte. Der Bahnfahrer schloss geistesgegenwärtig die Türen. Fatmir H. habe mit der Axt auf die Scheiben eingeschlagen. "Ich dachte nur: Wann kommt endlich jemand, der uns hilft", sagt der Zeuge.

Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.

(hsr)
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