Barrierefreiheit in Düsseldorf 130 Jahre alter Apotheke droht wegen drei Stufen das Aus

Düsseldorf · Bei Apothekerin Dorothee Knell liegen inzwischen die Nerven blank. Weil ihre Apotheke nicht barrierefrei ist, darf sie nicht wiedereröffnen. Auch das Klingel-System vor Ort erfülle diese gesetzliche Vorgabe nicht.

Pelikan-Apotheke in Düssldorf-Unterbilk - drei Stufen könnten ihr Aus bedeuten
6 Bilder

Pelikan-Apotheke in Düssldorf-Unterbilk - drei Stufen könnten ihr Aus bedeuten

6 Bilder
Foto: Semiha Ünlü/Semmiha Ünlü

Als Dorothee Knell am 1. Juli die Aushänge an den Schaufenstern ihrer fast 130 Jahre alten Apotheke anbringt, ist sie sehr traurig, aber noch hoffnungsvoll. „Liebe Kunden der Pelikan-Apotheke, wegen Eigentümerwechsels ist die Apotheke vorübergehend geschlossen“, steht darauf. Und das vorübergehend hatte Knell, die die Offizin einst von ihrem Vater abgekauft und dann bis 2015 noch selbst in vierter Generation geleitet hatte, unterstrichen. Doch zweieinhalb Monate später hängen die weißen Zettel noch immer an gleicher Stelle, bleiben viele Menschen aus dem Stadtteil immer noch verwundert stehen, weil das Geschäft geschlossen ist. Und bei Dorothee Knell liegen inzwischen die Nerven blank.

„Wie kann es sein, dass solch eine alteingesessene, wunderschöne Apotheke, für deren Original-Einrichtung aus Nussholz sich sogar schon das Heidelberger Apothekermuseum interessierte, wegen drei Stufen am Eingang, die nie ein Problem waren, für immer geschlossen bleiben soll“, sagt die 54-Jährige. In der langen Geschichte der Apotheke habe es nie Schwierigkeiten deswegen gegeben. „Kinderwagen überwinden die Stufen leicht und wenn ein Kunde im Rollstuhl kam, konnte er klingeln und wir kamen dann sofort vor die Türe“, sagt Knell.

 Die Pelikan-Apotheke hat sich seit ihrer Eröffnung 1881 kaum verändert.

Die Pelikan-Apotheke hat sich seit ihrer Eröffnung 1881 kaum verändert.

Foto: Semiha Ünlü/Semmiha Ünlü

Das hat auch Sylvia Cremer, die eine Straße weiter wohnt, oft so erlebt. Und mehr noch: Obwohl es in unmittelbarer Nähe eine barrierefreie Apotheke gibt, seien viele Menschen auch mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen lieber in die Pelikan-Apotheke an der Martinstraße 4 gekommen, sagt die 69-Jährige. Diese habe nämlich ein „so besonderes Flair“, sei „nicht so steril wie die modernen Apotheken“. Die Beratung und Betreuung sei dort zudem immer sehr persönlich und hilfsbereit gewesen, sagt die ehemalige Krankenschwester. Jeden Tag gehe sie an der Apotheke vorbei und wundere sich, dass sie noch nicht wiedereröffnet wurde. „Das ist doch ein Träumchen von einer Apotheke. Die Vorstellung, dass sie geschlossen bleibt und vielleicht irgendein Café oder so etwas dort einzieht, ist furchtbar“, findet die Unterbilkerin.

Eine Wiedereröffnung der Pelikan-Apotheke lehnt das Gesundheitsamt allerdings ab. Da sie nicht nahtlos von einem Apotheker an den nächsten übergeben wurde – Dorothee Knell hatte ihrem Vormieter wegen Zahlungsverzugs gekündigt, seit Mitte Juni ist die Apotheke geschlossen – , werde eine erneute Inbetriebnahme als Neueröffnung eingestuft. Der Bestandsschutz gelte somit nicht mehr. Die Offizin müsse laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) von 2012 barrierefrei zugänglich sein. Das Klingel-System vor Ort erfülle diese gesetzliche Vorgabe nicht. Menschen, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, müssten ohne Hilfestellung in die Räumlichkeiten gelangen können.

Auch das Rechtsamt der Stadt sieht keinen Ermessensspielraum. Dieses hatte den Fall auf eine mögliche Ausnahmeregelung überprüft. Denn der barrierefreie Zugang zu einer Apotheke wird in der ApBetrO als Soll-, nicht als Muss-Regelung aufgeführt. Da sich aus baulichen und baurechtlichen Gründen in der Pelikan-Apotheke kein beziehungsweise nur mit sehr großem Aufwand ein barrierefreier Zugang einrichten ließe, hatte Knell auf diese Ausnahme gehofft. „Ich habe den schriftlichen Bescheid erst gestern nach fast einem Monat Wartezeit bekommen und werde jetzt juristisch überprüfen lassen, ob mein Fall nicht sehr wohl als Ausnahmefall eingestuft werden muss“, sagt die 54-Jährige.

Die Stadt sieht in ihrer Entscheidung auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Eigentumsfreiheit. Das sieht die Betroffene allerdings anders. Unter diesen Bedingungen einen neuen Mieter zu finden, sei für sie als Eigentümerin fast unmöglich, sagt Knell. Das „Drei-Stufen-Problem“, ob es doch noch juristisch geklärt werden könne und wenn ja, in welchem Kosten- und Zeitrahmen: Das sei eine „Riesen-Hemmschwelle“ für Interessenten, die eigentlich gerne die traditionsreiche Apotheke weiterführen wollten. Und etwas anderes als eine Apotheke will Dorothee Knell in ihren Räumlichkeiten eigentlich nicht wissen.

Die 54-Jährige, die inzwischen immer häufiger zwischen München und Düsseldorf pendeln muss, fühlt sich alleine gelassen. Sie hatte im Vorfeld sogar erwägt, die Apotheke wieder selbst zu betreiben, um das Familienerbe zu retten. Den Antrag auf eine Betriebserlaubnis hat die Stadt mit Verweis auf das Apothekengesetz allerdings abgelehnt: Knell sei schon zu lange nicht mehr pharmazeutisch tätig.

Dorothee Knell, die sich 2015 schweren Herzens zur Aufgabe der Apotheke entschieden hatte, um sich mehr auf ihre Kunst und ihr Privatleben in Bayern zu konzentrieren, hätte sich mehr Unterstützung von der Apothekerkammer Nordrhein und dem Düsseldorfer Gesundheitsamt gewünscht: „Ich finde es traurig, dass so eine nicht nur für mich wertvolle Institution mit Füßen getreten wird.“ Die Apothekerkammer Nordrhein teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit, dass sie sich erst detailliert mit dem Fall beschäftigen könne, wenn ihr der Bescheid der Stadt vorliege. Das sei eben noch nicht der Fall.

Eines Tages, hofft Knell immer noch, wird sie die Geschlossen-Zettel in den Schaufenstern ihrer Apotheke abhängen können. Sie werde für ihr Familienerbe weiter kämpfen: „Ich hänge sehr an dieser Apotheke, habe dort schon als Kind dabei geholfen, Migränepulver abzufüllen, Pillen zu drehen und Hustensaft zu kochen.“ In den Schaufenstern stellte sie ihre ersten Bilder aus. Handschriftlich aufgezeichnete Rezepturen ihres Ur-Großvaters und Großvaters verwendete sie als Malgrund für aquarellierte Tuschezeichnungen. „Als unser Haus nach dem Pfingstangriff 1943 brannte, konnten wir dank vieler Menschen vor Ort den Brand schnell löschen.“ Jetzt würden wieder viele Menschen „ihre“ Apotheke retten wollen. So sei sie bereits auf eine Petition für den Erhalt angesprochen worden. Ein Signal kommt gestern Mittag dann plötzlich auch von Gesundheitsdezernent Andreas Meyer-Falcke: Man werde „Wege suchen und finden“. Konkreter wurde er dabei nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort