Nach der Europawahl 2019 Düsseldorfs Parteien auf der Suche nach dem Wähler-Gefühl

Meinung | Düsseldorf · Die modernen Großstädter sind bei Wahlen immer wechselfreudiger. Die Parteistrategen müssen darauf vor der Kommunalwahl 2020 reagieren. Ein Begriff fällt plötzlich immer häufiger: Düsseldorfer Lebensgefühl.

 Echt Düsseldorfer Großstadt-Gefühl: Besucher des Rheinparks beim Picknick.

Echt Düsseldorfer Großstadt-Gefühl: Besucher des Rheinparks beim Picknick.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Auf den Wähler ist kein Verlass mehr. Dass die Grünen in Düsseldorf stärkste Kraft werden, hätte vor wenigen Jahren niemand geglaubt. Bei der Europawahl lag die Partei in gleich neun der zehn größten deutschen Städte vorne. Angesichts der nahenden Kommunalwahl fragt sich jeder in der Düsseldorfer Politik: Was soll man daraus schließen?

Die naheliegendste Vermutung ist, dass die Düsseldorfer mehr Klima- und Umweltschutz erwarten. Das wird die Tagespolitik wohl sofort beeinflussen. Die Debatten um Umweltspur oder Fahrradständer dürften weniger kontrovers werden – als Auto-Nostalgiker will gerade niemand abgestempelt werden.

Auch die CDU-Opposition, die zu nachhaltiger Mobilität übrigens viel Gehaltvolleres beizutragen hat, als die Idee mit den Fahrradgebühren nahelegte, will über das Wie einer Verkehrswende streiten und sich als pragmatische Kraft präsentieren.

Europawahl 2019 in Düsseldorf - die Top- und Flop-Stadtteile der Parteien
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Foto: Screenshot RP interaktiv

Die Folgen sind aber weitreichender. Wer weiß schon, wo die Grünen in einem Jahr stehen? Die Ausschläge werden immer größer. Ein Beispiel: Die lange totgesagte FDP lag in Düsseldorf bei Landtags- und Bundestagswahl 2017 bei mehr als 17 Prozent, am Sonntag reichte es wieder nur noch für knapp die Hälfte. Bei aller Vorsicht beim Vergleich von Wahlen: Sicher ist, dass nichts mehr sicher ist. Der moderne Großstädter macht sein Kreuzchen, wie es ihm passt.

Das verändert die Politik. Wer mit den Parteistrategen über Düsseldorf 2020 redet, hört immer häufiger einen Begriff: Düsseldorfer Lebensgefühl. Natürlich, ein gutes politisches Programm schadet immer noch nicht.

Aber wer bei den wankelmütigen Wählern landen will, muss ihnen das Gefühl geben, dass die Partei zu ihrem aktuellen Bild von der Stadt und ihrem Selbstbild passt. Die Politik lernt vom Marketing. Vielleicht auf die Gefahr, dass die Inhalte noch weiter in den Hintergrund treten.

Europawahl 2019 - das sagen Düsseldorfer Politiker
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Foto: dpa/Michael Kappeler

Das Großstadt-Lebensgefühl treffen die Grünen offenbar derzeit am besten. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sie als „Latte-Macchiato-Partei“ verspottet. Das bestätigt die jüngste Wahl: In Teilen von Flingern-Nord oder Unterbilk, wo man dem Klischee zufolge besonders gerne Kaffee mit Milchschaum bestellt, erreichten die Grünen Werte wie die Adenauer-CDU in der BRD der 50er Jahre.

Die CDU blieb fast nur stärkste Kraft in den dörflichen Stadträndern. Das wird für die Rückkehr an die Macht nicht reichen. Von den Sozialdemokraten ganz zu schweigen.

Aber wie fühlen wir Düsseldorfer uns denn nun? Ein bestimmendes Thema im Gefühls-Wahlkampf dürfte das Stadtwachstum werden. Einerseits ist Düsseldorf mehr Metropole als früher, was viele Bewohner schätzen. Andererseits wächst das Unbehagen über engere Bebauung, mehr Verkehr und mehr Menschenmassen.

Irgendwo dazwischen könnten die Politiker das Bürgergefühl finden. CDU und FDP haben die Wachstums-Kritik bereits für den Wahlkampf entdeckt: Die Union denkt über „Grenzen des Wachstums“ nach, die FDP will mehr Qualität im Bauen und die Einheimischen vor Auswüchsen der Rheinufer-Dauerparty schützen.

Die wichtigste Frage im Gefühls-Wahlkampf wird aber sein, welche Gesichter sich die Parteien geben. Thomas Geisel hatte im Oberbürgermeister-Duell 2014 nicht zuletzt dadurch einen Vorsprung, dass er moderner wirkte als CDU-Kandidat Dirk Elbers. Wer passt vielleicht noch besser zum Düsseldorf-Gefühl 2020? Je geringer die Bindung der Wähler ist, desto größer wird die Bedeutung von Persönlichkeiten.

Qualifiziert für den Job sollte der Kandidat oder die Kandidatin natürlich am Ende auch sein. Das erwarten die wechselfreudigen Düsseldorfer immer noch.

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