Lehrer-Kolumne Abschied eines Profis

Düsseldorf · Von einem Kollegen, der nach 40 Jahren die Schule verlässt, kann man wahre Professionalität lernen, findet unsere Autorin.

 Autorin Annika Wanders (30) unterrichtet am Görres-Gymnasium Latein und Deutsch.

Autorin Annika Wanders (30) unterrichtet am Görres-Gymnasium Latein und Deutsch.

Foto: Anne Orthen (ort)

Der letzte Kollege, der nicht per E-Mail erreichbar war, verlässt unsere Schule. Das letzte Einhorn. Der letzte Gentleman. Der letzte Jedi. Es ist der Lauf der Dinge: In Lehrerzimmern vollziehen sich ganze Generationswechsel! Und doch ist dies ein besonderer Abschied. Nach rührenden Auftritten und Ansprachen erhebt sich der Pensionär und ergreift das Wort. Auf die Bühne steigt er nicht – typisch. Seine Rührung ist ihm anzusehen, dann beginnt er, sich bei seinen Zuhörern zu bedanken: Zuerst bei den Schülern. Ja, er entschuldigt sich sogar: „Ich war eigentlich kein professioneller Lehrer.“ Er habe von den Schülern nämlich viel mehr gelernt als sie von ihm. Vor allem in Sachen Menschlichkeit, sagt er. Er beschreibt, wie die Kinder ihm immer wieder vorlebten, hilfsbereit und offen aufeinander zuzugehen, füreinander da zu sein. Er glaubt, die Wissensvermittlung sei ihm nicht immer gelungen, und hofft, er habe das durch die ein oder andere gute Geschichte wieder gutmachen können.

Routine kann täuschen. Man steigt morgens zur selben Uhrzeit in die Bahn, hat dort vermutlich schon einen Stammplatz, einmal angekommen empfangen einen hinter den hohen Schultüren die bekannten (Miss-)Gerüche und Geräusche und ganz unbewusst kann einem als junge Kollegin schnell in den Sinn kommen, man würde diesen Job schon einige Zeit machen. Man hat seine ersten Hürden überwunden, erste Krisen erlebt, erste Erfolge gefeiert. Doch was es bedeutet, 40 Jahre lang Lehrer zu sein – das ist für mich im Grunde unvorstellbar. Es wird mir heute schlagartig bewusst, dass ich mal wieder bloß weiß, dass ich nichts weiß (Achtung, Zaunpfahl ! – professionelle Anmerkung der Lateinlehrerin).

Was heißt es denn, ein professioneller Lehrer zu sein? Ich für meinen Teil täusche bestimmt manchmal Professionalität bei mangelnder Erfahrung vor und rede mir ein, meine Schüler (und zugegebenermaßen auch ab und an Kollegium und Eltern) würden es nicht merken. Insgeheim glaube ich, die Worte meines scheidenden Kollegen zeigen den Kern der Professionalität: Er stellt die Kinder in den Mittelpunkt und ist sich seiner eigenen Schwächen bewusst. Er beendet seine Karriere so, wie er von ganzem Herzen ist. Das klingt einfach und macht mich am Ende doch ganz schön ehrfürchtig.

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