Pandemie-Folgen und Ukraine-Krieg Lage der Armen in Düsseldorf verschärft sich

Düsseldorf · Die Pandemie und der Ukraine-Krieg verschärfen die Lage armer Menschen – auch in Düsseldorf. Für manche reicht es nicht einmal mehr für Lebensmittel. Die Diakonie kritisiert die Politik.

 An der Lebensmittelausgabe der Tafel in der Zionskirche in Derendorf – hier ein Archivbild – ist immer viel los.

An der Lebensmittelausgabe der Tafel in der Zionskirche in Derendorf – hier ein Archivbild – ist immer viel los.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Wohnungsnot, Corona-Krise und nun auch noch der Krieg in der Ukraine, der Lebensmittel- und Energiepreise rasant steigen lässt – seit Jahren verschlechtert sich die Lebensrealität vieler einkommensschwacher Menschen und Sozialhilfeempfänger rapide. „Immer mehr Menschen erzählen uns, dass am Ende des Monats häufig kein Geld für Lebensmittel mehr bleibt“, sagt Stefanie Volkenandt, Leiterin der Abteilung Beratung und soziale Integration der Diakonie Düsseldorf. Normalerweise berate sie Bedürftige dazu, wieder den Weg in ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft zurückzufinden. „Dies wird aber immer schwieriger. Die existenzbedrohenden Nöte nehmen so viel Raum ein, dass an anderes kaum noch zu denken ist.“

Zu diesen Menschen gehört auch Anita Bauer. Seit zwei Jahren lebt die 56-Jährige in der Diakonie-Einrichtung für wohnungslose Frauen an der Icklack. Rund 590 Euro im Monat stehen ihr mit Hartz-IV und dem Lohn aus einer Arbeitsmaßnahme für 1,50 Euro die Stunde in einem Sozialkaufhaus zur Verfügung. Geld, das Bauer fast vollständig für den Bedarf des täglichen Lebens aufwendet. „Mittlerweile ernähre ich mich größtenteils von abgelaufenen Lebensmitteln“, sagt sie. Ob sie sich zum Frühstück eine oder doch zwei Scheiben Brot erlauben dürfe, hänge von Sonderangeboten ab oder dem, was die Tafel an dem Tag anbiete.

Das Leben am Existenzminimum ist die ausgebildete Sicherheitsbedienstete seit frühester Kindheit gewohnt. Doch fast noch schlimmer wiegt für sie mittlerweile die soziale Ausgrenzung, die mit der Armut einhergehe. Denn selbst die einfachste Teilhabe am sozialen Leben, wie mit den Enkeln ein Eis essen zu gehen oder ein Geschenk für einen Familiengeburtstag zu kaufen, ist für sie finanziell nicht mehr möglich. Geschweige denn ein einziges Mal mit der Familie in den Zoo oder Freizeitpark gehen zu können. „Ich schäme mich dafür, in Armut zu leben und fühle mich von der Gesellschaft ausgeschlossen.“ Trotzdem möchte sie mit ihrem Namen in die Öffentlichkeit gehen. „Weil wir sonst von niemanden mehr gehört werden.“

Der Bundesverband der Diakonie forderte jüngst eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von aktuell 449 auf mindestens 630 Euro. In der Realität wurde der Satz in diesem Jahr um drei Euro angehoben. „Das sind 0,7 Prozent, bei einer Inflation von über sieben Prozent“, sagt Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Düsseldorf. Zwar sei die Zahl der SGB II-Empfänger, wie die Sozialhilfe korrekt heißt, leicht rückläufig. Doch bedrohen die enormen Preissteigerungen immer mehr Menschen auch mit geringem Einkommen, sagt HSD-Professorin Anne van Rießen, die zu Menschen in prekären Lebenslagen forscht. „Rund vier Fünftel der Bevölkerung hatte durch Corona wenig bis keine finanziellen Einbußen“, sagt sie. „Doch die Belastung für arme Menschen nahm durch die Krise noch einmal drastisch zu.“

Im vergangenen Jahr unternahm sie mit Studierenden an der neu eingerichteten Tafel am Zakk eine Erhebung. „50 Prozent der Befragten waren zum ersten Mal überhaupt bei einer Tafel“, sagt sie. Diese Entwicklung belegen auch die Zahlen der Diakonie. Etwa 15.000 Bedürftige kamen 2019 zu der Tafel an der Derendorfer Zionskirche, welche die Diakonie organisiert. Trotz Lockdowns und erschwertem Zugang durch Hygiene-Maßnahmen waren es 2020 trotzdem noch 10.700 – obwohl mit dem Zakk sogar noch eine Lebensmittelausgabe neu eingerichtet worden war. Nun komme noch der Krieg in der Ukraine hinzu, der auch vormals günstige Güter wie Mehl oder Öl nicht nur verteuert, sondern vor allem verknappe und zu regelrechten Verteilungskämpfen am Supermarktregal führe.

„Nur wer Geld hat, kann es sich leisten, auf Vorrat zu kaufen. Das treibt die Preise zusätzlich in die Höhe“, sagt van Rießen. Darunter leide auch die Menge und Qualität der an die Tafel gelieferten Lebensmittel. Hochwertige Produkte wie Milchprodukte seien immer weniger darunter, was sich mit der Belastung durch die unsichere Lebenssituation zusätzlich auf die Gesundheit der Betroffenen auswirke

„Leider muss man feststellen, dass in Krisensituationen die Politik nicht oder erst sehr spät reagiert“, kritisiert Diakonie-Chef Schmidt die politischen Entscheidungsträger in Kommune, Land und Bund. Nicht nur, weil mit Armut einhergehende, verminderte Startchancen und Teilhabemöglichkeiten für Kinder sich wie ein Kreislauf über Generationen verfestigten und dies seit Jahren bekannt ist. „Es fehlt eine systemische Verknüpfung in den Sozialgesetzbüchern, die bei akuten Krisen einsetzt“, sagt Schmidt. „Punktuelle Hilfen können eine Situation zwar kurzzeitig entzerren, aber Not nicht dauerhaft lindern.“

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