Düsseldorfer Jura-Professorin über die „Füchse“ „Eine Restitution ist selten unumstritten“

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Jura-Professorin Sophie Schönberger beschäftigt sich mit Raubkunst und Parteienrecht. Im Interview spricht sie über ihre Anfänge in der Mathematik, den Fall der „Füchse“ und was sie an der Landeshauptstadt mag.

 Sophie Schönberger in ihrem Garten – seit dreieinhalb Jahren wohnt sie in Düsseldorf und fühlt sich wohl, sagt sie.

Sophie Schönberger in ihrem Garten – seit dreieinhalb Jahren wohnt sie in Düsseldorf und fühlt sich wohl, sagt sie.

Foto: Anne Orthen

Sie sind Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht – haben zuerst aber Mathematik studiert. Wieso der Sinneswandel?

Sophie Schönberger Mathematik fand ich immer spannend, das strukturierte, logische Denken liegt mir. Allerdings kamen mir dann ganz banal gesagt zu wenige Menschen in diesem Studium vor. Ich wollte die Gesellschaft, in der wir leben, besser verstehen und habe mich deswegen für Jura entschieden. Und als ich im ersten Semester in einer Zivilrecht-AG saß, in der es darum ging, dass ein Minderjähriger ein Moped kaufen wollte, fanden das alle um mich herum schrecklich abstrakt – nur ich dachte: endlich ein konkreter Sachverhalt. Und ich würde auch behaupten, dass mir das Mathematikstudium in meinem Zugriff auf Jura hilft.

Inwiefern?  

Schönberger Bei Jura muss man natürlich nicht besonders viel rechnen – auch wenn es nicht schlecht ist, keine Angst vor Zahlen zu haben. Entscheidend ist aber eine bestimmte Art von logischem Strukturdenken, die meiner Meinung nach sehr hilfreich ist, wenn es darum geht, juristische Sachverhalte zu erfassen und damit zu arbeiten.

Ein solcher Sachverhalt ist das Thema Restitution, zu dem Sie 2021 ein Buch veröffentlicht haben. Was fasziniert Sie daran?

Schönberger Zunächst einmal ist die Entwicklung unheimlich spannend: Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Raubkunstwerke restituiert, dann passierte jahrzehntelang wenig bis nichts. Jetzt haben wir die Situation, dass viel restituiert, aber wenig rechtlich geregelt wird. Dadurch entstehen viele Konflikte und Probleme, die sehr gut zeigen, was Recht in einer Gesellschaft leisten kann – und was nicht.  Das ist das, was mich theoretisch daran interessiert. Der andere Aspekt ist, dass die Fragen, die dabei verhandelt werden, ganz zentrale Fragen unseres Umgangs mit der Vergangenheit sind. Letztlich geht es darum, wie wir uns heute zu historischem Unrecht positionieren wollen.

Vor Kurzem haben die „Füchse“ von Franz Marc für viel Aufsehen gesorgt. Das Gemälde wurde von der Stadt Düsseldorf restituiert und dann versteigert. Wie würden Sie den Fall einschätzen?

Schönberger Der Fall der „Füchse“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Thema in den letzten Jahren entwickelt hat. In den Nullerjahren wurde in Deutschland wieder größer darüber diskutiert, damals wurden auch das erste Mal bekannte Werke aus Museen restituiert. Die öffentliche Meinung war dazu teils sehr skeptisch. Ganz typisch ist, dass heute, wenn viele Jahrzehnte später über einen möglichen Kunstraub entschieden werden soll, gar nicht mehr richtig rekonstruiert werden kann, was passiert ist. So auch bei den „Füchsen“: Wann genau der ehemalige Eigentümer das Bild verkauft hat und in welchem Verhältnis das zu seiner Verfolgung stand, können wir nicht mehr genau nachvollziehen. Es gibt viele Fragezeichen hinter der Provenienz, und vor einigen Jahren hätte das dazu geführt, dass das Werk nicht zurückgegeben worden wäre. Heute wird im Zweifel eher restituiert.

Eine umstrittene Entscheidung.

Schönberger Eine Restitution ist selten unumstritten. Aber die politische Entwicklung geht gerade stark in diese Richtung. Dass das Werk kurz nach der Rückgabe versteigert wurde und sich darüber viele geärgert haben, zeigt außerdem, welcher emotionale Ballast dahintersteckt. Wenn wir es ernst meinen mit der Restitution, steht uns nicht zu, das zu beurteilen. Restituieren heißt konsequenterweise: Wenn das Gemälde den Leuten gehört, weil ihren Vorfahren Unrecht passiert ist, dann dürfen sie damit machen, was sie wollen – dazu gehört auch, es zu versteigern. Das zeigt aber, wie kompliziert der Rückgabeprozess ist und wie überladen mit Erwartungen auch von Seiten derjenigen, die restituieren.

Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Schönberger Das Thema Restitution ist sehr komplex und es ist schwierig, mit richtig oder falsch zu argumentieren. Ich finde es richtig und wichtig, sich dem historischen Unrecht zu stellen, Restitution kann ein Mittel dafür sein. Allerdings ist die Lage im Moment sehr kompliziert, weil es keinen rechtlichen Anspruch darauf gibt. Das heißt, die Anspruchsteller sind im Grunde Bittsteller und gehen inzwischen oft vor Gerichte in den USA, weil sie dort bessere Chancen haben. Ich denke, dass eine klare gesetzliche Regelung hier deutlich besser geeignet wäre, um sich dem Unrecht der Vergangenheit zu stellen und die Nachkommen der Opfer heute auf Augenhöhe zu behandeln.

Ein anderes Ihrer Projekte ist eine kleine Online-Enzyklopädie, die Sie gemeinsam mit der Historikerin Eva Schlotheuber verfasst haben. Worum geht es dabei?

Schönberger Um die Klagen der Hohenzollern gegen Verlagshäuser, Journalisten und Wissenschaftler, die sich in der Debatte um die Forderung der Familie nach finanzieller Entschädigung für die Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg geäußert haben. In dem Streit geht es um die Frage, ob die Familie dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hat oder nicht, in unserem Wiki aber um die aktuellen Klagen der Familie. Diese halten wir für höchst problematisch und haben überlegt: Was kann man gegen diese Einschüchterung tun? So kamen wir auf die Online-Veröffentlichung per Wiki.

Wieso dieses Format?

Schönberger Gegen Einschüchterung hilft Transparenz, das ist unser Ansatz. In dem Wiki geht es zum Beispiel um die Taktik der Hohenzollern. Es ist ein sehr singulärer Vorgang, dass so massiv gegen Wissenschaftler und Journalisten vorgegangen wird, das ist für die freie Meinungsäußerung problematisch. Das Gute ist, dass die Betroffenen oft Erfolg hatten, wenn sie die Zeit, die Energie und auch das Geld hatten, das Ganze in die zweite Instanz zu tragen. Das macht Mut. Aber es gibt eben auch viele, die das nicht konnten und denen wollen wir auch zeigen: Sie sind nicht alleine.

Wird das Wiki noch aktualisiert?

Schönberger Das Projekt ist fortlaufend, allerdings mussten wir in letzter Zeit nicht mehr so viele neue Klagen einpflegen. Im Übrigen berührt das Projekt die Frage, ob die Entschädigungsforderung rechtens ist, nicht. Natürlich ist es erst einmal legitim, dass die Familie das prüfen lässt – und auch, dass sie den Klageweg sucht, wenn eine Behörde zu dem Urteil kommt, dass der Anspruch nicht besteht. Auch wenn das meiner Meinung nach durch und durch überzeugend argumentiert wurde. Aber wie das Ganze dann begleitet wurde und Gegenstimmen durch Klagen eingeschüchtert wurden, das ist bedenklich.  

Im vergangenen Jahr wurden Sie in die Wahlrechtsreformkommission des Bundestags berufen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Schönberger Die Kommission soll in verschiedenen Themenbereichen Empfehlungen für den Bundestag für die Reform des Wahlrechts erarbeiten. Da geht es zum Beispiel um die Vergrößerung des Bundestages und wie man diese in den Griff kriegen kann. Das ist auch mein Herzensthema. Es geht aber auch um die mögliche Absenkung des Wahlalters auf 16, die stärkere Repräsentation von Frauen im Plenum und darum, wie der Bundestag transparenter und bürgernäher werden kann. Die Kommission besteht je zur Hälfte aus Abgeordneten und Sachverständigen, darunter viele Juristen, die sich dann etwa zu verfassungs- oder parteienrechtlichen Fragen äußern. Bisher sind wir nur zweimal zusammengekommen; an der Schnittstelle zwischen den demokratischen Institutionen zu arbeiten ist aber sehr spannend.

Seit knapp drei Jahren leben und forschen Sie in Düsseldorf, haben zuvor aber an ganz verschiedenen Orten gearbeitet. Wie kam es dazu

Schönberger Ich habe in Berlin Jura studiert und dort dann auch promoviert, jeweils mit Auslandsstationen in Italien und Frankreich, war dann nach kurzem Zwischenstopp in Bayreuth in München und habe mich dort habilitiert. Von dort ging es weiter nach Konstanz auf meine erste Professur – und vor drei Jahren kam dann der Ruf nach Düsseldorf. Mit der Besonderheit, dass hier zur Professur auch die Co-Leitung des Instituts für Parteienrecht gehört, ein interdisziplinäres Institut von Politik- und Rechtswissenschaftlern. Das ist in dieser Form in Europa einzigartig. So oft den Lebensmittelpunkt zu wechseln, ist in der Wissenschaft aber im Übrigen völlig normal.

Und fühlen Sie sich wohl hier?

Schönberger Ich denke zwar oft wehmütig an meine Jahre in Berlin zurück, aber das Schlechteste, was ich über Düsseldorf sagen kann, ist, dass es nicht Berlin ist. Ich finde die Stadt spannend, gerade nach den Jahren in der Kleinstadt am Bodensee war ich froh, wieder in einer Großstadt leben zu können. Es gibt interessante Verbindungen hier, den Landtag, die Landesregierung, die Künstler. Und die rheinische Fröhlichkeit natürlich.

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