IHK-Chef im Interview "Düsseldorf ist eine Industriestadt"

Düsseldorf · IHK-Hauptgeschäftsführer Udo Siepmann spricht im Montags-Interview mit der Rheinischen Post über Atomkraft, die Energiewende und die Wichtigkeit der energieintensiven Industrie in Düsseldorf. Seine Forderung: Die Stadt braucht das neue Gaskraftwerk auf der Lausward.

 IHK-Hauptgeschäftsführer Udo Siepmann.

IHK-Hauptgeschäftsführer Udo Siepmann.

Foto: RP, Thomas Bußkamp

Herr Siepmann, die energieintensiven Unternehmen stehen in der Kritik. Ist die Zeit dieser Branchen in Düsseldorf und der Region abgelaufen?

Siepmann Die Zeit ist keineswegs abgelaufen, ganz im Gegenteil. Wir haben und wir brauchen energieintensive Industriebetriebe hier in unserer Region. Zum Beispiel das Aluminium-Dreieck im Kreis Neuss, unsere Chemieunternehmen entlang des Rheines, die Gießereien im Niederbergischen. Diese Betriebe verbrauchen natürlich mehr Energie als andere Branchen. Aber sie sind als Schlüsselindustrien unersetzbar.

Aber sie belasten die Umwelt massiv durch ihre CO2-Emissionen.

Siepmann Das ist nur bei oberflächlicher Betrachtung richtig. Sie emittieren erst einmal Kohlendioxid. Aber die Produkte, die durch die Industrie hergestellt werden, sorgen indirekt für eine massive Einsparung von CO2-Emissionen. Viele Bauteile aus Stahl führen zu einer CO2-Ersparnis der Folgeprodukte, die bis zum sechsfachen der Produktionsemission ausmachen. Bei leichten Aluminiumteilen im Automobilbau ist der Effekt ähnlich, dadurch wird der Benzinverbrauch reduziert. Wir müssen unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge die Diskussion führen, was eigentlich "ökologisch" ist.

Kritiker sagen aber, dass diese Industrien nicht unbedingt in NRW beheimatet sein müssen, sondern dort, wo es preiswerte Energie gibt.

Siepmann Nordrhein-Westfalen hat den entscheidenden Vorteil, dass hier wichtige Industriesektoren eng beieinander liegen, und es gelten ganz andere Umweltstandards als in vielen Teilen der Welt. Auch kurze Transportwege sparen Energie und entlasten die Umwelt.

Industrie in der Nachbarschaft sorgt bei Anwohnern aber oft für Ärger, manchmal führt sie sogar zu Angst.

Siepmann Die Menschen vergessen oft, dass es die Industrie war, die unser Land viel schneller als andere aus dem Tal der Wirtschaftskrise herausgezogen hat.

Die Energiewende in Deutschland ist eingeleitet. Wäre es nicht sinnvoller, den wirtschaftlichen Nutzen der neuen Energien in den Vordergrund zu rücken, anstatt an alten Strukturen festzuhalten?

Siepmann Bei aller verständlichen Euphorie für die neuen Technologien. Wir dürfen nicht vergessen, womit wir unser Geld verdienen. 300 000 Jobs sind in Deutschland durch die Solarbranche, Windkraft und andere regenerative Technologien entstanden. Bei allem Respekt, das sind weniger als ein Prozent aller Arbeitnehmer.

Denken Sie, der beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland ist ein Fehler, der rückgängig gemacht werden sollte?

Siepmann Für die Konzerne der Energiebranche und die Volkswirtschaft ist das schon eine schwere Belastung. Die Energieunternehmen hatten sich langfristig diese Kraftwerke als wirtschaftliche Grundlage geschaffen und dort Geld investiert. Aber seit Fukushima hat sich die Sicht der Dinge auf die deutsche Atomenergie deutlich gewandelt. Unsere Kraftwerke allerdings sind die gleichen geblieben.

Was sind aus Ihrer Sicht die realistischen Alternativen zum Atomstrom?

Siepmann Weder Solarstrom noch Windkraft sind derzeit grundlastfähig. Das heißt, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint, dann fließt auch kein Strom. Große Energiespeicher gibt es ebenfalls noch nicht. Unsere Industrieunternehmen und unsere Bürger brauchen aber vor allem Versorgungssicherheit. Wir können die Atomenergie kurzfristig nur durch fossile Brennstoffe wie Gas, Öl und auch Kohle ersetzen.

Aber Kohlekraftwerke, besonders Neubauten, sind fast genauso umstritten wie Atommeiler — wie das Projekt in Datteln zeigt.

Siepmann Wir brauchen auch neue Kohlekraftwerke. Es ist ökologisch und ökonomisch sinnvoller, ein neues Kraftwerk zu bauen, das wesentlich effizienter arbeitet als alte Anlagen.

Die Nachbarschaft der neuen Kraftwerke sieht das grundlegend anders.

Siepmann Manchen Kommunen schwebt ja gar das hehre Ziel einer CO2-neutralen Stadt vor. Aber bleiben wir auf dem Boden. Eine Industriestadt wie Düsseldorf ist kein Kurort. Hier wird es weiter Emissionen geben, weil hier produziert wird — und damit werden schließlich unsere Brötchen verdient. Und auch hier gilt es, den Nutzen der Produkte im Blick zu behalten.

Die Akzeptanz von Industrie hat bei der Bevölkerung in den vergangenen Jahren massiv abgenommen. Warum?

Siepmann Die Menschen durchleben eine Entfremdung von der Industrie. Alle nutzen Autos, Computer, Laptops, Handys. Diese Geräte haben allesamt ein gutes Image. Dass sie aber das Resultat einer Industrieproduktion sind, ist ihren Besitzern oft nicht bewusst. Die geistige Entfernung zur Industrie hat zugenommen, weil weniger Menschen selbst industriell arbeiten, oder jemanden kennen, der das tut.

Wie wollen Sie das ändern?

Siepmann Viele Gegner der Industrie denken, dass diese selbst Teil des Problems ist. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Industrie ist ein Lösungsgarant — auch und gerade in Umweltfragen. Das müssen wir und engagierte Unternehmer den besorgten Menschen klar machen. Das will auch der neue Verein " Zukunft durch Industrie", in dem wir uns gemeinsam mit vielen Partnern — auch den Gewerkschaften — engagieren. Unternehmen wollen am 20. Oktober die Fabriken mit der "Nacht der Industrie" für Menschen öffnen, die sonst keinen Zugang dazu haben.

Die Explosion vor einigen Wochen bei Cognis hat die Menschen, die in der Nähe von Industrieanlagen leben, dagegen eher verunsichert.

Siepmann Es gibt keine Welt ohne Risiken. Bei allen noch so scharfen Kontrollen kann einmal etwas schief gehen. Auch dafür brauchen wir ein Grundverständnis.

Was kann die Politik in Düsseldorf tun, um den Standort für die Industrie attraktiv zu erhalten?

Siepmann Ganz konkret muss die Politik verstehen, dass sie unseren Wohlstand mehrt, wenn sie industriellen Projekten Raum gibt, wie zum Beispiel auch dem Bau des geplanten neuen Gaskraftwerks auf der Lausward.

Thorsten Breitkopf führte das Gespräch

(RP)
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