Sozialberater über Mediensucht in Corona-Zeiten „Das Problem liegt meist in der richtigen Welt“

Düsseldorf · Der Sozialpädagoge Aljoscha Zedam erklärt, wo der Spaß aufhört und Mediensucht anfängt – und welchen Einfluss die Corona-Zeit auf Jugendliche und ihr Spielverhalten hat.

 Aljoscha Zedam berät als Sozialarbeiter bei der Awo Eltern und Jugendliche zum Thema exzessiver Medienkonsum.

Aljoscha Zedam berät als Sozialarbeiter bei der Awo Eltern und Jugendliche zum Thema exzessiver Medienkonsum.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Sozialarbeiter Aljoscha Zedam gibt sexualpädagogische Aufklärungsworkshops in Schulen und berät Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 26 Jahren zum exzessiven Medienkonsum. Die meisten – hauptsächlich Jungen – spielen an Konsole und Computer, aber auch soziale Medien wie Tiktok, Instagram, Youtube sind immer Thema.

Herr Zedam, ein 15-Jähriger spielt jeden Tag vier Stunden lang am PC – ist das exzessiver Medienkonsum?

Aljoscha Zedam Vier Stunden sind eigentlich Durchschnitt, da gibt es ganz andere Kategorien: Jugendliche, die von der Ausbildung nach Hause kommen, kurz was essen und dann bis 3 Uhr nachts spielen. Die Frage ist immer, ob es über das normale, gesunde Maß hinausgeht.

Also gibt es keine Stundenzahl, bei der Eltern besorgt sein müssen?

Zedam Nein, aber wenn zu bestimmten Tageszeiten gespielt wird, wo Schule, Studium, Ausbildung im Vordergrund stehen sollte, dann ist es problematisch. Oder wenn andere alltägliche Dinge wie Essen, Duschen, Freunde treffen, Hausaufgaben machen, Freizeitsport, Musikinstrument vernachlässigt werden. Wenn Jugendliche mittags um 12 Uhr anfangen und fünf Stunden spielen, ist das problematischer, als wenn sie das in den Abendstunden tun, wenn sie keine Verpflichtungen mehr haben.

Woran kann ich die Anfänge einer Mediensucht erkennen?

Zedam Es gibt verschiedene Warnzeichen, zum Beispiel, wenn eine Abhängigkeit entsteht, also wenn das Spielen das Hauptthema ist oder wenn die Gewichtung nicht mehr stimmt. Dann hat das Spiel eine so hohe Priorität, dass es über andere Dinge gestellt wird. Ein Warnzeichen ist auch die Gesundheit. Wenn Bewegung so vernachlässigt wird, dass ein Jugendlicher körperlich abbaut. Es gibt mittlerweile wissenschaftliche Parameter, bei denen man von Internet-Gaming-Disorder spricht. In der Beratung setzen wir aber früher an.

An welchem Punkt kommen die Jugendlichen dann zu Ihnen?

Zedam Die wenigsten kommen präventiv, die meisten haben Stress mit den Eltern oder schlechte Noten. Meist regen die Eltern die Beratung an, die Jugendlichen kommen mit, weil es sein muss. Ich hatte erst zwei Fälle, in denen sich Jugendliche selbst gemeldet haben. Meist sind es die Mütter, die sich melden und ihre Söhne, die zu viel an der Konsole, am PC, am Handy sitzen – es gibt da übrigens kein Medium, das besonders häufig vorkommt. Ziel ist es, gemeinsam Regeln und eine Veränderung zu etablieren.

Haben die Anfragen während der Lockdowns zugenommen?

Zedam Ja, das war auffällig, vor allem in der Phase von Homeschooling und als Vereinssport nicht erlaubt war. Jugendliche konnten während des Unterrichts am Handy sein und hatten dann eine extrem hohe Nutzungszeit, da sind viele Eltern aufmerksam geworden. Seitdem Schule und Sport wieder möglich sind, haben die Anfragen abgenommen und manche Fälle sind zu Ende gegangen.

Also war es schlicht Langeweile?

Zedam Bei einigen ja, da hat das Interesse wieder nachgelassen. Oftmals lag kein riesiges Problem vor. Es war eine schwierige Phase für Jugendliche, durch die sie durch mussten. Spielen ist eine super einfache Möglichkeit sich zu beschäftigen.

Was ist es denn, das Jugendliche so fesselt an Konsole oder Handy?

Zedam Was ich erlebe, deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bestimmte Bedürfnisse werden befriedigt: Der Austausch mit Freunden, weil sie während des Spiels miteinander sprechen, bei einigen Spielen auch der kreative Anteil, nicht mit Stift und Papier, sondern mit Maus und Controller. Aber Medien sind auch eine sehr angenehme Form von Entertainment. Es ist mit wenig Aufwand und Aktivität verbunden, ich muss nirgendwohin fahren, sondern nur auf den Knopf drücken. Außerdem können Jugendliche, die dieses Hobby nicht verfolgen, nicht immer mitreden.

Spielen Sie selbst?

Zedam Ich habe in meiner Jugend viel gespielt und hatte mit meinen Eltern genau diese Auseinandersetzungen, wie ich sie jetzt in den Beratungen erlebe, darum kann ich beide Seiten gut verstehen. Mittlerweile spiele ich fast gar nicht mehr. Meist geht die Mediennutzungszeit von alleine runter, wenn die Jugendlichen älter werden, andere Freizeitmöglichkeiten haben, weggehen und mit dem Studium beginnen, das lässt sich auch in Studien verfolgen.

Wie können Eltern gegensteuern?

Zedam Ganz wichtig: Interesse zeigen. Was konsumiert mein Kind eigentlich, ist das gefährlich oder förderlich? Es gibt auch Inhalte, die bieten große Chancen in der kreativen oder kognitiven Entwicklung. Hilfreich ist auch, die Spiele mal zusammen zu spielen, dann kann man sich besser verständigen. Aber auch Interesse zeigen für den Tag des Kindes, damit es nicht in die Medienwelt abdriftet. Das kann schon beim Frühstück sein, indem wenn man fragt: „Was hast du heute vor?“ Gleichzeitig sollte man früh Regeln vereinbaren, also wann und wie lang gespielt werden darf. Und zwar gemeinsam verhandeln, nicht von oben herab bestimmten.

Wovon ist abhängig, ob ein Kind dauerhaft in mediale Parallelwelten abdriftet?

Zedam Es gibt auf jeden Fall Jugendliche, die dafür veranlagt sind, das hängt mit Erfahrungen und Erziehung zusammen. Meist sind es negative, oder sogar traumatische Erlebnisse, die dazu verleiten, in einer Parallelwelt zu verschwinden. Bei Jugendlichen sind das häufig Einsamkeit oder schlechte Schulnoten, aber auch Opfer von Mobbing oder sexualisierter Gewalt. Diese Personen sind leider generell anfälliger für Suchterkrankungen, eben auch für Mediensucht.

Wann kann solch eine Sucht denn ein Ende nehmen?

Zedam Unsere Beratungen dauern mal Wochen, mal Monate, mal Jahre und enden, wenn die gemeinsam formulierten Ziele erreicht sind, zum Beispiel maximal zwei Stunden am Tag spielen. Wenn wir nicht weiterkommen, dann vermitteln wir an Therapeuten oder Ambulanzen. Wie bei anderen Suchterkrankungen ist das Spielen häufig nur ein Symptom, das Problem liegt meist in der richtigen Welt. Die Jugendlichen flüchten sich dann in eine Parallelwelt, weil etwas in der richtigen Welt nicht funktioniert. Man muss also auch den Auslöser in der richtigen Welt bearbeiten.

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