Ende einer Ära an der Bernburger Schule Eine Düsseldorfer Schule mit Geschichte und Zukunft
Eller · Nach den Ferien setzt die Schule von der Bernburger Straße ihren Betrieb unter neuem Namen in Vennhausen fort. Das Gebäude in Eller wird künftig als Gymnasium genutzt. Was bleibt, ist die Geschichte.
Als Eller 1909 nach Düsseldorf eingemeindet wurde, brachte es Schulden, unzureichende Infrastruktur und lange vor sich hergeschobene Schulraumprobleme in die Liaison ein. Unter den rund 10.000 Neudüsseldorfern waren etwa 2.100 schulpflichtige Kinder, die je nach Konfession in den Volksschulen an der Gumbert-, Jäger-, Richard-, Deutzer Straße und an der Scheidlingsmühle unterrichtet wurden. Schon 1905 war das Schulsystem in Eller mit der rasant wachsenden Zahl an neuzugezogenen Schülern an seine Grenzen gestoßen. Es gab zu wenig Klassenräume, Lehrer fehlten, die durchschnittliche Klassenstärke lag bei 60 bis 70 Schülern. Mit fünf oder sogar weniger Klassenzimmern waren die Schulhäuser in Eller eher Zwergschulen; lediglich die Schule an der Gumbertstraße hatte 12 Unterrichtsräume. Zur Linderung der Schulnot wurden an den Bestandsschulen kleinere Erweiterungsbauten ausgeführt, Wanderklassen eingerichtet oder einfach Baracken auf den Schulhöfen aufgestellt. Kurzfristig brachte dies Entlastung, war aber keine Lösung auf Dauer. Notwendig war ein neuer Schulcampus, der ausreichend Raum auf Zukunft bot und den gestiegenen Unterrichtsanforderungen genügte. Für den Bau einer solchen Lehranstalt fehlte der selbständigen Landbürgermeisterei Eller schlicht das Geld.
Eine Großstadt wie Düsseldorf hatte andere Möglichkeiten. Nur wenige Monate nach der Eingemeindung nahmen sich der Rat und die Verwaltung dem Schulproblem in Eller an. Das Liegenschaftsamt erwarb zwischen der noch völlig unbebauten Bernburger Straße und der Bahntrasse das heutige Schulgrundstück. Aus den Ratsprotokollen geht hervor, dass der Neubau „in erster Linie den Bedürfnissen der evangelischen Schulbevölkerung Rechnung tragen“ sollte. Die evangelische Schule an der Jägerstraße (heute Bürgerhaus Eller) umfasste damals 12 Klassen, hatte aber selbst nur 6 Räume. Eine Notbaracke auf dem Hof und Unterricht in der Nachbarschule an der Richardstraße waren die Folge. Da die Lage an den vier katholischen Schulen in Eller nicht weniger prekär war, brachte die Schuldeputation für die Bernburger Straße den Bau einer Doppelschule für ein evangelisches und ein katholisches System ins Spiel. Am 27. November 1912 stimmte der Rat dem schulischen Großbauvorhaben mehrheitlich zu und genehmigte hierzu ein Baukostenbudget von 550.000 Mark. Vorgesehen war der Bau von 28 Klassenräumen (18 für die evangelische, 10 für die katholische Schule). Dazu eine Turnhalle, Zeichensaal, Physikzimmer, Brausebad, Schuldienerwohnung, zwei Amtszimmer, zwei Konferenzzimmer sowie eine Schulküche und ein Werkraum für Hobelbankarbeiten. Am 10. Februar 1914 wurde mit dem Bau begonnen.
Rechtwinklig zur Bernburger Straße entstand der Hauptbau, bestehend aus Vorderbau, Seitenflügel und Querbau, von dem aus zwei offene Bogengänge die Verbindung mit der Turnhalle herstellten. Die straßenseitige Hauptfassade, belebt durch zwei Giebel, macht noch heute einen imponierenden Eindruck. Alle Gebäude wurden in niederrheinischer Backsteinweise ausgeführt. Aus der veranschlagten Bauzeit von 15 Monaten wurden 20.
Die Verzögerung war dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges geschuldet. In der Schulchronik ist hierzu vermerkt: „Dem Rufe des Königs zu den Fahnen folgte die Hälfte der Arbeiter. Ende November hatten wir nur noch 11. Weiter bildete die Beschaffung von Rohmaterialien große Erschwerung. An Stelle der Bronze kam bei der Innenausstattung vielfach Eisen zur Verwendung“. In Gegenwart von Oberbürgermeister Adalbert Oehler und der Eller Honoratioren wurde die neue Unterrichtsanstalt am 7. Dezember 1915 „in einer schlichten, stimmungsvollen Eröffnungsfeier, die in der Turnhalle stattfand, ihrer Bestimmung übergeben“. Unter dem Eindruck des Krieges überboten sich Redner und Presse im vaterländischen Pathos. So schrieb das „Düsseldorfer Tageblatt“: „Der neue Schulbau in Eller ist ein Spiegelbild unseres felsenfesten Glaubens an die Zukunft, unseres unverrückbaren Vertrauens an einen glorreichen Endsieg“. Der Vorsitzende der Schuldeputation, Theodor Herold, hoffte: „Tausende von Kindern werden aus diesem Schulgebäude ins Leben hinaustreten. Mögen diese Knaben und Mädchen tüchtige Männer und Frauen werden, ein Geschlecht, das sich würdig erweist des großen Heldengeschlechts, das auf den Schlachtfeldern sein Blut einsetzt. Ein Geschlecht möge heranwachsen, das seinen Gott fürchtet und seinen Kaiser liebt“. Heinrich Arenz, Rektor der katholischen Mädchenschule, versprach, „Gottesfurcht und Vaterlandsliebe in die Herzen der ihm anvertrauten Mädchen zu pflanzen und sie zur echten und edlen Weiblichkeit zu erziehen und sie zur Pflichterfüllung, Frömmigkeit, Selbstzucht unermüdlich anzuleiten“.
Statt Glanz und Gloria folgte der Absturz: Kapitulation, Abdankung des Kaisers, Revolution, Besatzung, Inflation, Börsencrash, Machtübernahme, Gleichschaltung. Auch in der Bernburger Schule. Führerbilder in den Klassenzimmern, Schüler in HJ-Uniformen auf den Fluren, Sonnwendfeiern auf dem Schulhof. Und wieder die Verpflichtung auf Volk und Vaterland. Auf der Schulentlassungsfeier 1936 sprach Rektor Arnold Liebeton über die „Wehrhaftigkeit des Volkes“ und rief „zur Treue gegenüber dem Führer“ auf.
Die ersten Luftbomben auf Düsseldorf schlugen im Juni 1941 direkt hinter der Schule an der Flottenstraße ein. Es folgte ein Kommen und Gehen. Im Rahmen der Kinderlandverschickung wurden ganze Klassen nach Sachsen und Thüringen evakuiert. Die freien Räume belegte der Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD) mit einer Kommandostelle für den Luftschutz. In der Schule wurde ein Lager für französische Zwangsarbeiter eingerichtet. Im Oktober 1944 wurde der Unterricht eingestellt. Die verbliebenen Lehrer unterrichteten einzelne Kinder in den Kellern der nahen Umgebung. Wieder Kapitulation. Da die Schule den Krieg ohne Bombenschäden überstand, erfolgte bereits im Februar 1946 die Wiedereröffnung. Laut Schulchronik mangelte es an allem: Tafeln, Pulte, Bänke, Tintenfässer, Kreide, Bücher, Hefte. Die Kleidung der Kinder war Flickwerk. Das Schuhwerk ausgetreten. Noch schlimmer war die Unterernährung und „das Leid um den vermissten oder gefallenen Vater“. Ungeziefer und zerborstene Fenster erschwerten das Lernen.
Trotz aller Not und Improvisation stritten Politik, Kirche und Elternschaft um die weltanschauliche Ausrichtung. In Folge des Verbots konfessioneller Schulen waren 1938 die evangelischen und katholischen Zweige der Bernburger Schule zu Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Im März 1946 durfte die Elternschaft über die Einrichtung konfessioneller Schulen abstimmen. Gegen alle Erwartungen votierte im Arbeiterstadtteil Eller eine Mehrheit für die Wiederherstellung der Bernburger Schule als Bekenntnisschule. Obwohl unter einem Dach beheimatet, lebten evangelische und katholische Schüler und Lehrer in freundlicher Distanz nebeneinander her. Als Therese Hanisch, Rektorin der katholischen Volksschule, 1954 an der Stirnwand des Erdgeschosses „heimlich“ ein Marienmosaik im XXL-Format anbringen ließ, verkündete der evangelische Rektor: „Der tägliche Anblick des Marien-Mosaiks wird für die evangelischen Kinder als untragbar erachtet“. Schüler würden „im Religionsunterricht nach der Bedeutung von Person und Bild“ fragen. „Solche Fragen sind durchaus unerwünscht“. Das Mosaik musste an einen weniger prominenten Ort verlegt werden, geriet in Vergessenheit und wurde vor 20 Jahren wiederentdeckt.
Im Zuge der NRW-Schulreform wurden die konfessionellen Volksschulen an der Bernburgerstraße 1968 zu einer Gemeinschaftshauptschule zusammengeführt. Mit Gründung der Hauptschulen sollten das allgemeine Bildungsniveau und die individuellen Bildungschancen für sozial benachteiligte Kinder verbessert werden. Doch die Rechnung ging nicht auf. Zumindest in der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit. Viele sehen heute in der Hauptschule eine Art Resteschule. Entgegen dem allgemeinen Trend erfreut sich die Bernburger Schule seit Jahren allerdings wachsender Beliebtheit. Fragt man warum, werden schnell die Praxisorientierung der Schule sowie die individuelle Förderung und intensive Betreuung der Schüler genannt.
In mehr als 100 Jahren hat die Bernburger Schule selbst gelernt und sich gefunden. Nicht mehr für den Kaiser oder Führer wird gelehrt und gelernt. Nur noch für das Leben. „Uns ist wichtig“, so das Programm der Bernburger Schule, „unseren Schülerinnen und Schülern fachliches Wissen zu vermitteln, aber auch Wissen über die Welt und die Gesellschaft, in der sie leben, Kompetenzen, die sie befähigen in dieser Gesellschaft erfolgreich ihren Weg zu gehen“. Mit Beginn des neuen Schuljahres ändern sich Standort und Name; das Programm der „Schule am Eller Forst“ (vormals Bernburger Schule) bleibt und wird fortgeschrieben.