Düsseldorfer Med-Tech-Unternehmen Virtual Reality für Schlaganfall-Patienten

Düsseldorf · Die Inspiration kam aus dem Kinderzimmer, heute kann Patienten verschiedener Krankheitsbilder mit der Therapiemethode eines Düsseldorfer Unternehmens geholfen werden. Wie das Training mit der VR-Brille funktioniert.

 Thomas Saur, Caesar van Heyningen und Stefan Arand (v.l.) arbeiten stetig an der Weiterentwicklung von Cureosity. Sprecherin Julia Kurth (r.) zeigt, wie Patienten das System benutzen.

Thomas Saur, Caesar van Heyningen und Stefan Arand (v.l.) arbeiten stetig an der Weiterentwicklung von Cureosity. Sprecherin Julia Kurth (r.) zeigt, wie Patienten das System benutzen.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Die Aussicht ist überwältigend. Hoch oben auf einem Bergplateau über der Landschaft Islands, dazu einen Drachen in beiden Händen, den man durch die Weite lenken kann. Und das im Zweifelsfall vom Krankenbett aus. Das ist es, was Cureosity bietet. Doch auch Spiele zur Verbesserung der Mobilität und Feinmotorik sind in der virtuellen Therapie enthalten. Auf die Idee brachte die Gründer ihre eigene Geschichte und die Erkenntnis, dass nicht nur Kinder gerne spielen.

Die Gründer, das sind Thomas Saur, Stefan Arand und Marco Faulhammer. Sie alle haben in ihrer Familie Menschen, die auf Therapien angewiesen sind. Saurs Sohn ist seit einem Unfall querschnittgelähmt, Arands Sohn ist mit Trisomie 21 zur Welt gekommen, Faulhammers Partnerin ist an Multipler Sklerose erkrankt. Saur und Arand haben bei ihren Söhnen beobachtet, dass Therapiestunden oft zäh waren und Fortschritte hart erkämpft werden mussten. An der heimischen Playstation hingegen blühten die Kinder auf, zeigten Begeisterung. „Aus einer anfänglichen Spielerei wurde dann schnell eine konkrete Idee: die bestmögliche Therapie zu entwickeln, in der Elemente von Computerspielen auch medizinisch genutzt werden“, sagt Saur. Als sie dann zum ersten Mal eine VR-Brille ausprobierten, war klar, wohin die Reise gehen soll.

Und so wurde die Firma, nachdem alle schon zusammengearbeitet hatten, 2018 gegründet. „Wir hatten tausend Ideen und mussten daraus die eine Idee finden“, sagt Arand. Die Entwicklung geschah immer in enger Zusammenarbeit mit Patienten und Therapeuten, das war den Gründern wichtig. „Viele unserer Mitarbeiter kommen tatsächlich aus der Gaming-Branche, aber alle sollen auch mit Patienten arbeiten, um zu verstehen, welche Bedürfnisse diese haben“, sagt Arand. Und das System kommt an: Im Februar 2021 erhielt das Unternehmen die CE-Zertifizierung für die Software als medizinisches Produkt. „Derzeit wird Cureo in Kliniken in Deutschland, Österreich sowie der Schweiz eingesetzt. Der Angang des niederländischen Marktes sowie der Einstieg in internationale Märkte, wie zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate, stehen auf dem kurzfristigen Fahrplan“ sagt Caesar van Heyningen, CFO der Gesellschaft.

Eingesetzt werden kann es bei einer Reihe von Erkrankungen, die sensomotorische Defizite hervorrufen: Vom Schlaganfall-Patienten über Schädel-Hirn-Traumata bis hin zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder MS. „Immer mehr stellen wir aber fest, dass das System auch bei Alterspatienten gut ankommt, wenn zum Beispiel aufgrund des Alters die Mobilität eingeschränkt ist“, sagt Saur. Denn die Hardware besteht nur aus einer VR-Brille, einem Tablet und zwei Controllern, die aber nicht für alle Modi notwendig sind und – falls die Greiffähigkeit des Patienten eingeschränkt ist – mit kleinen Gurten an der Hand befestigt werden können.

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Foto: dpa, Patrick Pleul

Dann geht es in die verschiedenen Module. Das erste davon ist „active“, bei dem schwerstbetroffene Patienten zur Frühmobilisierung einem Schmetterling mit dem Blick oder dem Kopf folgen. Im Modus „moto“ wird dann mit kleinen Spielen wie Trommel-Abfolgen oder dem Fangen von Objekten die Motorik der oberen Extremitäten trainiert. Es gibt auch Formen, bei denen Alltagshandgriffe in einer virtuellen Umgebung geübt, kognitive Fähigkeiten trainiert oder auch, per Sensor, einzelne Finger zur Verbesserung der Feinmotorik eingesetzt werden. Der Modus „relax“ ist für alle Patienten geeignet und bietet Stressregulation, Entspannung und Schmerzlinderung.

Das Training macht Spaß, motiviert die Patienten, sich anzustrengen. „Unsere älteste Patientin zum Beispiel war 99 Jahre alt. Vor der Therapie saß sie eher teilnahmslos in ihrem Rollstuhl, als sie einmal angefangen hatte, wollte sie gar nicht mehr aufhören“, sagt Arand. Außerdem seien Fortschritte wesentlich besser messbar. In der Übersicht für die Therapeuten kann dann jede einzelne Trainingseinheit überprüft werden: Wo gibt es Fortschritte, was kann man noch tun? „Das motiviert natürlich zusätzlich, wenn der Fortschritt nicht nur diffus festgestellt wird, sondern konkret abgebildet werden kann“, sagt der Gründer. Dabei ist das System bewusst so einfach wie möglich gehalten. „Nach ein bis zwei Stunden Einführung wissen die Therapeuten, wie alles funktioniert, es ist kein IT-Experte zur Installation nötig“, sagt Saur. Eingesetzt werden kann sie dann in Reha-Zentren und Kliniken, aber auch im Krankbett selbst. Es sei wichtig, dass die Therapie zum Patienten komme, nicht anders herum.

Ein einfaches Design, eine möglichst unkomplizierte Handhabung für Patienten und Therapeuten und vor allem Spaß bei der Anwendung, das sind die zentralen Punkte bei Cureosity. Und so seien auch ihre Söhne stets die ersten Tester und schärfsten Kritiker. „Da weiß man ziemlich genau, dass diese Produktkritik zu 100 Prozent ehrlich ist“ sagt Arand.

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