Der Verein will Kontakt nach Kanada aufnehmen Balldieb meldet sich nach 70 Jahren
Düsseldorf · 1952 nahm der damals zwölfjährige Hans-Dieter einen Lederball an sich, der beim Training des SV Wersten vor seinen Füßen gelandet war. Auch in seiner neuen Wahlheimat Kanada ließ der Diebstahl dem heute 82-Jährigen keine Ruhe.
Ein unangemeldeter Besucher aus Kanada hat die Fußballer vom SV Wersten 04 überrascht. Vorstandsmitglied Dirk Grüters kann noch immer nicht richtig glauben, was da passiert ist. „Ein Mann stand plötzlich vor unserem Clubhaus und fragte, ob er jemanden vom Verein sprechen könne“, berichtet Grüters. Was dann folgte, klingt tatsächlich wie eine Begegnung der außergewöhnlichen Art: Der weit angereiste Gast stellte sich als Sohn eines Hans-Dieter Wagner aus Winnipeg vor und überreichte den verdutzten 04ern einen Brief seines inzwischen 82-jährigen Vaters mitsamt einer Bar-Spende in Höhe von 200 Euro.
„Ich war völlig perplex“, gesteht Grüters angesichts des Inhalts – und noch verblüffter zeigte sich der Werstener, als er anschließend aus dem Brief eine geradezu rührende Geschichte erfuhr, die im Jahr 1952 ihren Anfang nahm. „Ich war damals zwölf Jahre jung“, schreibt Hans-Dieter Wagner, der seinerzeit mit seiner kriegs-verwitweten Mutter und zwei Geschwistern als „Panzerplatten-Kid“ in der Werstener Stahlhaussiedlung gelebt hat. Der Vater war als Soldat im Oktober 1944 in Holland gefallen.
„Wir konnten in der Manforter Straße bei den Eltern meiner Mutter in einem Keller ohne Wasser und Flaschnerei (Anm. d. Red.: Sanitäranlagen) unterkommen“, schildert Wagner die damals schwierigen Lebensumstände. Weil er in dieser Zeit „keine anderen Tagespläne“ hatte, zog es den Jungen oft zum benachbarten Fußballplatz des SV Wersten 04, wo er den Vereinsbesten beim Training zuschaute – aus einiger Entfernung.
„Ab und zu flog mal ein Ball über den Zaun“, heißt es in Wagners Erinnerung. Wer gerade in der Nähe war, schoss das Spielgerät wieder zurück. Und dabei ergab sich – aus Zufall – eine für den Zwölfjährigen verlockende Gelegenheit. Als einer der Bälle direkt vor ihm im Gras verwaist liegen geblieben war, konnte der Junge nicht widerstehen, stibitzte die Lederkugel und rannte, wie er schreibt, „wie ein Irrer“ damit nach Hause. Weil er gewusst habe, dass er und seine Familie sich nie hätten einen Fußball leisten können.
Über seine Tat habe er viel gegrübelt und nachgedacht, steht weiter in dem Brief zu lesen. „Und es hat mich über 70 Jahre geplagt.“ In einer Deutschlandreise seines Sohnes Glenn sah Hans-Dieter Wagner jetzt die passende Gelegenheit, späte Buße zu tun und dem SVW den Verlust von einst mit einer großzügigen Spende für die Jugendabteilung zu ersetzen. „Das geht ans Herz“, bekennt Dirk Grüters beeindruckt.
Nach erfolgter Spendenübergabe wurde vor dem Clubhaus der 04er ein gemeinsames Erinnerungsfoto als „Beweis“ für den Vater für die Wiedergutmachung geschossen. Weil alle so überrascht waren, hat keiner den Sohn gefragt, ob sie das Bild veröffentlichen dürfen. Bei einem anschließenden Gespräch im holprigen Deutsch-Englisch-Mix hat der Werstener noch erfahren, dass die Deutschlandtour des Spenden-Boten Glenn zugleich eine Reise in die Vergangenheit seines Vaters sei, der als junger Mann nach Nordamerika ausgewandert war, um sein Glück zu machen. „Der ehemaligen Schule seines Vaters an der Burscheider Straße hat Glenn ebenfalls einen Besuch abgestattet“, berichtet Grüters.
Genauere Informationen über den reuigen Dieb sind dem Verein leider nicht bekannt. „Ich war so überrumpelt, dass ich ganz vergessen habe, nach Kontaktdaten zu fragen“, räumt Grüters ein. Selbstverständlich wollen die 04er jetzt Nachforschungen anstellen und den Spender in Kanada ausfindig machen, um ihm ausdrücklich Dank zu sagen, zumal Hans-Dieter Wagner – wie im Brief vermerkt ist – noch immer ein bekennender Wersten-Fan ist, der sich per Internet über die sportlichen Erfolge informiert und auch Düsseldorfs Fortuna die Daumen drückt.