Drogenkonsumraum in Düsseldorf Wo Heroin spritzen Alltag ist

Düsseldorf · Im Drogenkonsumraum der Düsseldorfer Drogenhilfe können Suchtkranke unter sterilen Bedingungen ihre Sucht stillen. Für Außenstehende ein Ort, der nur schwer zu ertragen ist.

Das ist der Drogenkonsumraum in Düsseldorf
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Das ist der Drogenkonsumraum in Düsseldorf

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Foto: Bretz, Andreas

Verblasste Blutspritzer auf dem Sichtschutz sind die einzigen Spuren, die die Klienten, wie sie hier genannt werden, am Vorabend hinterlassen haben. Ansonsten wirkt der Raum steril: Weiße Fliesen, schwarze Stühle, große Spiegel und Edelstahl-Arbeitsplatten. Die kleinen Tischmülleimer, Nagelscheren und Desinfektionsmittel könnten auf ein Behandlungszimmer beim Arzt hindeuten. Doch in diesem rund zehn Quadratmeter großen Raum werden keine Kranken geheilt. Im Gegenteil, Kranke machen sich hier noch kränker.

Im Düsseldorfer Drogenkonsumraum dürfen Drogenkranke unter Aufsicht ihrer Sucht nachgehen. Betrieben wird die Einrichtung von der Düsseldorfer Drogenhilfe. Zum einen, um die Süchtigen von der Straße zu holen und zum anderen, um Krankheiten wie HIV vorzubeugen. Es geht um harte Drogen wie Heroin und Kokain oder einem Mix aus beidem. Partydrogen wie LSD und Extasy haben hier nichts verloren.

Die Sitzplätze in dem U-förmigen Raum sind klar aufgeteilt: sechs Plätze für die Spritzer und drei für die Raucher. Auch sonst herrschen klare Regeln. Erst Hände waschen, dann anmelden, saubere Utensilien abholen und leise auf den zugewiesenen Platz gehen. Auf einem Zettel steht: "Achtung, nicht mit offener Nadel herumlaufen!" 30 Minuten darf der Konsumvorgang maximal dauern, danach müssen die Süchtigen ihren Platz reinigen, und steril hinterlassen. Nach Angaben der Düsseldorfer Drogenhilfe werden pro Tag im Drogenkonsumraum durchschnittlich 140 Konsumvorgänge durchgeführt.

Marc W. kommt bis zu dreimal täglich in den Raum an der Erkrather Straße. Seit seinem 23. Lebensjahr ist der gebürtige Erkrather heroinabhängig. Seine Haut ist blass, die blauen Augen glasig. Sein Hab und Gut transportiert der heute 40-Jährige in einem kleinen Trolley. In der Jugend fing es vermeintlich harmlos an mit Kiffen und ein paar Pillen auf Partys. Die Neugierde war groß, in der Techno-Szene gehörten die Drogen mit zum Spaß. "Irgendwann brachte ein Freund Heroin mit und ich probierte es aus", sagt Marc. Nach nur wenigen Wochen konnte er nicht mehr auf die Droge verzichten. "Irgendwann brauchst du die Droge, um überhaupt normal zu funktionieren", sagt der gelernte Elektriker.

Seitdem hat sich sein Leben radikal verändert. Er verlor Job und Wohnung, der Kontakt zu Familie und Freunden brach ab. Einmal schaffte der 40-Jährige sogar den kalten Entzug — blieb einige Zeit clean. Doch Probleme mit der Freundin trieben ihn wieder in die Sucht. Wenn er nicht im Drogenkonsumraum ist, verkauft er Obdachlosenzeitungen, bettelt und organisiert sich ein Bett für die anstehende Nacht. Es ist immer derselbe Tagesablauf. Die Sucht lässt ihm keine andere Wahl.

Routiniert kocht Marc das Heroin zusammen mit Ascorbinsäure auf einem Löffel auf. Das Gas für das Feuerzeug gibt's hier gratis. Dann zieht er den braunen, flüssigen Stoff mit einer Kanüle auf. Den Arm bindet er sich mit einem blauen Kofferband ab.

Bei anderen Süchtigen - die meisten sind männlich und Ende 30 - sieht der Vorgang des Drogenkonsums verzweifelt aus. Da wird die Nadel erst am Hals, dann an der Stirn, an der Leiste und, wenn gar nichts klappen will, am erigierten Penis angesetzt. Wer die Vene verfehlt, läuft Gefahr, sich "ein Ei unter die Haut zu schießen", wie es in der Szene heißt.

Zudem sorgen Überdosen oder gefährliche Cocktails aus Drogen und Alkohol zwei- bis dreimal im Monat für Notfälle. Häufig lautet die Diagnose Atemstillstand. "Für Außenstehende wirkt die Situation dramatisch, für uns ist das Routine", erklärt Sozialarbeiter Martin Seto. Er und seine Kollegen sind geschult in Erster Hilfe, eine Rettungsassistentin ist immer zur Stelle. Einen Toten gab es noch nie.

Die Mitarbeiter im Drogenkonsumraum müssen eine neutrale Haltung einnehmen und auch bewahren. Wenn die Konsumenten volljährig sind und vor ihrem ersten Besuch ein kurzes Aufnahmegespräch durchlaufen, dürfen die Sozialarbeiter ihnen den Konsum nicht verbieten. So sehen sie durch die Glasscheibe zu, wie sich auch Schwangere einen Schuss setzen. Auf der anderen Seite sind sie für viele Süchtigen die einzige Konstante im Leben, ein vertrautes Gesicht, das sich Probleme anhört und mit dem auch mal gescherzt werden kann. "Zu einigen pflegen wir eine zwar professionelle, aber freundschaftliche Beziehung", sagt Seto. Für die Mitarbeiter gilt zudem die ärztliche Schweigepflicht. Obwohl sie genau über die kriminelle Geschichte einiger Klienten Bescheid wissen, brauchen sie der Polizei keine Auskunft geben.

Marc versichert, bislang habe er für seine Sucht nicht kriminell werden müssen. Dafür bleibt am Ende des Tages auch kein Geld über. Für die Zukunft wünscht er sich eine eigene Wohnung. Und irgendwann will er auch die Kraft finden, die Sucht zu beenden.

(RP)
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