Michael Köhlmeier Die tragische Biografie eines Preisträgers

Düsseldorf · Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier wird in der kommenden Woche mit dem Düsseldorfer Literaturpreis geehrt.

Er zählt zu den ungewöhnlichsten deutschsprachigen Autoren: der 1949 in Vorarlberg geborene Autor Michael Köhlmeier. Jetzt ehrt ihn die Kunst- und Kulturstiftung der Sparkasse mit dem Düsseldorfer Literaturpreis, der mit 20 000 Euro dotiert ist.

Sie können in diesem Jahr ein Jubiläum feiern: Seit 30 Jahren arbeiten Sie als freier Schriftsteller.

Köhlmeier Was heißt schon freier Schriftsteller! Ich habe zwischenzeitlich als Journalist gearbeitet, in allen Bereichen, nur nicht im Sport. Aber allmählich konnten wir von der Schriftstellerei leben, meine Frau und ich, Monika ist ja auch Schriftstellerin, so dass wir nicht auf Brotberufe angewiesen waren.

Ist es nicht auch anstrengend, permanent der Kraft der eigenen Fantasie vertrauen zu müssen?

Köhlmeier Das finde ich gar nicht. Ich finde es unvergleichlich anstrengender, wenn ich jeden Morgen zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort erscheinen müsste, um mir anhören zu müssen, was ich tun soll. Wie schön ist dagegen der Beruf der Schriftstellerei. Wir tun den ganzen Tag praktisch nichts anderes, als uns vorzustellen, wie etwas anders sein könnte, als es ist. Wir haben den Konjunktiv im Kopf - parallel zum Indikativ des Realen. Der Schriftsteller ist in der glücklichen Situation, dass er das ausdrücken kann. Und man wird dafür auch noch bezahlt. Ich wundere mich immer, dass es auch noch andere Berufe gibt.

Man kann in Ihrem Werk schwer zentrale Motive ausmachen. Lassen Sie sich stets neu inspirieren?

Köhlmeier Ich verändere mich halt auch. Es gibt kaum etwas, das mich mehr verändert als das Schreiben eines Buches. Und meine Bücher über Märchen, Sagen und die Nacherzählungen der griechischen Mythologie - wie könnte ich auf einen so ungeheuerlichen Fundus verzichten? Diese Geschichten sind ein Ozean, vor dem ich mit einer Kelle stehe und schöpfe. Der österreichische Rundfunk hatte mich eingeladen, die griechische Mythologie nachzuerzählen, und das habe ich dann gemacht. Das wurde so erfolgreich, dass ich eifersüchtig auf mich selbst war. Diese Geschichten waren erfolgreicher als meine Romane. Sie haben mir auch viel Geld eingebracht; und eine sechsköpfige Familie mit der Schriftstellerei niveauvoll durchzubringen, ist doch etwas. Aber eigentlich mache ich stets das gleiche: Ich setze mich hin und schreibe, und die Idee zu einem Buch kommt mir im Buch vorher; so ist es immer eine Art Weitergeben.

Sie haben in Ihrem Buch "Abendland" versucht, mit Geschichten das 20. Jahrhundert zu erzählen. Was ist für Sie dieses Abendland? Hierzulande gehen zur Rettung des Abendlandes Demonstranten auf die Straße.

Köhlmeier Diese Frage müsste man vielleicht erst einmal an die Pegida-Leute stellen.

Die Antwort fiele vermutlich karg aus.

Köhlmeier In der Tat wäre es sehr ernüchternd. Das Abendland ist doch etwas Wunderbares. Das beginnt schon mit dem herrlichen Begriff, in dem die deutsche Sprache ihre Vieldeutigkeit beweist. Ich kann es auch - wie in meinem Buch - als Metapher für ein Menschenleben an seinem Ende nehmen. Aber ich kann natürlich auch einen Kampfbegriff daraus machen; dann freilich wäre es eine Vergewaltigung. Dabei ist es der Abend ein sehr friedliches Wort, wie Ein- und Ausatmen. Die Kultur des Abendlandes ist so breit! Ohne den Einfluss von Judentum und Islam könnten wir das Wort Abendland gar nicht denken. Die Märchen aus 1001 Nacht sind nicht nur eine schöne Geschichtensammlung; das ist der Katalog einer ganzen Kultur. Und diese Kultur haben wir uns ausgeliehen.

Darin kommt auch die Figur Scheherazade vor, die sagt: Solange wir erzählen, leben wir. Erzählen als Existenzgrund. Konnte das Erzählen Ihnen auch helfen, als Ihre Tochter Paula, die selbst am Beginn einer Schriftstellerkarriere stand, den tödlichen Unfall hatte?

Köhlmeier Zunächst kann man natürlich gar nichts sagen, nichts schreiben. Aber dann klopft es an in einem, dass man sich ausdrücken muss, muss - ohne Kunst daraus machen zu wollen. Sei es nur, um das Grab zu schmücken. Und ich habe halt nach kurzer Zeit gemerkt, dass ich über dieses Unglück schreiben muss. Es wurde für mich zu einem Prüfstein für die Kunst überhaupt. Denn wenn die Kunst an diesem Punkt nichts zu sagen hat, hat sie nirgends etwas zu sagen. Dann ist sie nur noch so etwas wie Dekoration, nur behübschend. Dann hätte Kunst jeden Anspruch auch auf das Überleben der Scheherazade verloren.

Sie haben daraufhin die Novelle "Idylle mit ertrinkendem Hund" geschrieben.

Köhlmeier Während ich die Novelle geschrieben habe, fragte ich mich natürlich, ob das jetzt nicht auch ein Verrat an meiner Tochter sein könnte. Sie hätte das nicht gesagt, sie war Schriftstellerin mit Leib und Seele und vielleicht sogar mehr, als ich das je war. Aber zugleich wusste ich auch: Ich kann nichts anderes. Das Schreiben dient aber nicht dazu, meine Trauer loszuwerden. Ich will doch nicht aufhören, um meine Tochter zu trauern! Diese Trauer ist ein Bestandteil meines Lebens, auf den ich nicht verzichten möchte und nicht verzichten kann. Das ist mein Herzenseigentum, das mir niemand nehmen kann.

Der Düsseldorfer Literaturpreis der Sparkasse wird Ihre 20. Auszeichnung sein. Spielt auch Heine für Sie und Ihr Schreiben eine Rolle?

Köhlmeier: Aber natürlich doch. Es gibt kaum einen Autor, der - obwohl er auch ein ungemein witziger Schriftsteller ist - mich so zu Tränen rühren kann wie Heinrich Heine. Dass ich über dasselbe lachen und weinen kann, das hat nur Heinrich Heine hingekriegt - und Charlie Chaplin.

(RP)
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