Düsseldorf Die neue Altstadt - eine Ortserkundung

Düsseldorf · Die Sanierung des Amüsier- und Shoppingviertels ist beinahe abgeschlossen. Wie verändert das die Wahrnehmung?

 Machen hier Großeltern mit ihrem Enkel einen Ausflug nach Düsseldorf? Nein, es ist bloß unser Autor mit einem Schotten und einer Niederländerin auf einer Bank.

Machen hier Großeltern mit ihrem Enkel einen Ausflug nach Düsseldorf? Nein, es ist bloß unser Autor mit einem Schotten und einer Niederländerin auf einer Bank.

Foto: Bretz, Andreas

Am Ende lautet die wichtigste aller Fragen: Hat das Altstadtpflaster etwas zu sagen, obwohl es nicht sprechen kann? Die Antwort ist: Bitte nicht vorschnell mit dem Kopf schütteln. Dies ist die Geschichte von unentfernbaren Kaugummis, von unglaublich schlechten Straßenmusikern und von Männern, die Wurst aus der Packung essen. Aber vor allem ist dies die Geschichte vom Betonstein "Umbriano", dem am häufigsten missverstandenen Straßenbelag der Welt.

Machen hier Großeltern mit ihrem Enkel einen Ausflug nach Düsseldorf? Nein, es ist bloß unser Autor mit einem Schotten und einer Niederländerin auf einer Bank.

Machen hier Großeltern mit ihrem Enkel einen Ausflug nach Düsseldorf? Nein, es ist bloß unser Autor mit einem Schotten und einer Niederländerin auf einer Bank.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

2010 beschloss die Stadt Düsseldorf: Der Flickenteppich Altstadt gefällt uns nicht mehr, wir pflastern neu, stellen Bänke auf und pflanzen neue Bäume. 14500 Quadratmeter "Umbriano" hat die Stadt bereits verlegt, 2750 Quadratmeter kommen noch, jeder Einzelne davon wurde kritisiert, weil er zu grau sei. Gerade hat die Andreasstraße ihr neues Kleid erhalten. Wie nähert man sich also dem frischen Belag, den so viele nicht mögen? Am besten zu Fuß und ohne Strümpfe und Schuhe. Gar nicht so kalt. Noch ist auf der Andreasstraße zu erkennen, dass er weiß meliert ist, noch haben die Menschen ihn noch nicht mit ihrem Schmutz überzogen, noch hatte kein Altstadtgänger die Gelegenheit, dort einen Schwall unverdauten Bieres zu hinterlassen. Und noch hat niemand dort sein Kaugummi hingespuckt. Oh doch. Aber nur dort und dort und dort.

Plattgetretene Kaugummis sind wieder fester Bestandteil des Altstadtpflasters. Sehr fester Bestandteil.

Plattgetretene Kaugummis sind wieder fester Bestandteil des Altstadtpflasters. Sehr fester Bestandteil.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Auf der Bolkerstraße hatte der Mensch schon genug Zeit, aus dem hellen Grau ein dunkles Grau zu machen. Die Kaugummis haben bereits einen Zustand angenommen, für den nur Archäologen die richtigen Worte kennen. Die Straßenreiniger haben mit Besen und Wasser auf jeden Fall keine Chance. Wer sich dazu berufen fühlt, die Kaugummis mit dem Messer abzuschaben — Jahresurlaub einplanen. Doch wollen wir überhaupt eine Fußgängerzone ohne schwarze Kaugummi-Fladen? Und werden Steine schon inklusive Kaugummifladen angeliefert, um die Fußgänger nicht zu irritieren? Hat die Stadt 17 000 Quadratmeter "Umbriano Bubblegum" bestellt? Schließlich sieht man niemals jemanden, der ein Kaugummi ausspuckt.

Wer dem Pflasterstein "Umbriano" nahe sein will, zieht am besten Schuhe und Strümpfe aus. Auf der Andreasstraße ist der Belag sogar noch fast sauber.

Wer dem Pflasterstein "Umbriano" nahe sein will, zieht am besten Schuhe und Strümpfe aus. Auf der Andreasstraße ist der Belag sogar noch fast sauber.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Auf der Mittelstraße und der Flingerstraße ist nicht nur der Belag neu, auch Bänke gab es dort vorher nicht. Es gab früher sowieso nur zwei Bänke in der Altstadt. Wer auf dem neuen Mobiliar aus Holz einmal länger als fünf Minuten Platz nimmt und sich nicht von den Bierdeckeln und Zigaretten stören lässt, die zwischen die Holzlatten gequetscht sind, wird feststellen: Düsseldorf lässt sich am besten sitzend erkunden. Leider nicht im Schatten, die neuen Bäume sind bloß Zierde. Das Schotterbeet bloß eine Zweigstelle der Mülleimer. Was keinen Pfandwert hat, bleibt liegen.

Wer sitzt, kommt auch innerlich zur Ruhe, nimmt alles aufmerksamer wahr und fängt bald an, die Geschichten der Vorbeigehenden weiterzudenken. Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Und warum spazieren Bankkaufleute eigentlich immer in der Kombination "fünf Männer, eine einzige Frau" in die Mittagspause? Hier spielt der schlechteste Straßenmusiker der Welt, der ständig auf seine Finger guckt und den Text abliest und deshalb niemals Applaus erhält. Dort um die Ecke spielt das Streicher-Quintett, um das sich die Leute scharen. Die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz auf wenigen Quadratmetern.

Manchmal kommen diese menschlichen Existenzen noch näher. Wenn sie sich neben einem auf die Bank setzen. Da ist zum Beispiel der Jugendliche, der sogleich anfängt, ins Handy zu sprechen. Dass ihm eine Frau Kippen gekauft hat, weil er selbst noch keine Kippen kaufen darf. Dass es in Düsseldorf keine Pizza unter 13 Euro gibt. Dass im Kino gestern alle schnöselig waren. Das sei er aus Würzburg nicht gewohnt.

Da ist auch das junge Pärchen, das möglicherweise bloß einen Sketch von Helge Schneider aufführt. Ein Platz ist noch frei, auf den setzt sich der junge Herr, soll die Dame doch stehen. Dann lässt er sich eine Packung mit Hähnchenbrustscheiben geben und schiebt sie in sich hinein, während er seiner Freundin vorwirft, sie solle sich mal nicht so wegen der Stöckelschuhe anstellen. "Ich könnte locker einen Abend Stöckelschuhe tragen." Woraufhin sie ihn an eine Hochzeit erinnert, zu der er Schuhe mit Absatz trug und dann über Rückenschmerzen klagte. "Vielleicht hatte ich die Rückenschmerzen schon vorher." Danach verdrückt er noch den Inhalt einer zweiten Packung mit Putenbrustscheiben.

Am Ende lautet die wichtigste aller Fragen also: Hat das Altstadtpflaster etwas zu sagen, obwohl es nicht sprechen kann? Zugegeben, das neue Altstadtpflaster hat keinen ästhetischen Wert, es ist wirklich ein sehr tristes Pflaster, das bloß seinen Zweck erfüllt: Menschen können darüber laufen. Doch damit ist das Pflaster auch eine Aufforderung: Leute, ich bin langweilig, es gibt hier unten nichts zu sehen. Das Pflaster sagt: Nicht ich bin es, der den Unterschied machen soll. Ihr seid es. Auch wenn es nur der schlechteste Straßenmusiker der Welt ist.

(RP)
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