Straßen in Düsseldorf Kampf um ein bisschen Normalität

Die Bendemannstraße hat wegen der Diamorphinambulanz und des offenen Drogenkonsums auf der Straße keinen guten Ruf.

 Pastor Christian Kupfer (v.l.), Thea Dörnhöfer und Claus Lamprecht wollen eine gute Nachbarschaft an der Bendemannstraße.

Pastor Christian Kupfer (v.l.), Thea Dörnhöfer und Claus Lamprecht wollen eine gute Nachbarschaft an der Bendemannstraße.

Foto: RP/Dominik Schneider

Die Bendemannstraße unweit des Düsseldorfer Hauptbahnhofs wirkt auf den ersten Blick trostlos: Sie führt im Viereck rund um ein großes Parkhaus, ist von den Hauptstraßen kaum einsehbar. Seit Jahren werden dort auf offener Straße Drogen konsumiert, die Anwohner und auch die Mitglieder der benachbarten Gemeinden machen einen Bogen um die Süchtigen. Seit 2016 stehen vermehrt Suchtkranke vor Haus Nummer 15 Schlange. Dort hat eine Diamorphinambulanz eröffnet, eine von nur zehn in Deutschland. Die Praxis, in der Drogenabhängige unter kontrollierten Bedingungen reines Heroin bekommen, hat die Nachbarschaft an der Bendermannstraße auf eine weitere Probe gestellt – die allerdings bestanden wurde, wie alle Beteiligten heute feststellen.

„Wir haben es im Laufe der Zeit recht gut geschafft, Vorurteile und Abneigungen zu überwinden“, sagt Christian Kupfer, Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde, die ihre Räume im Haus Nummer 16 hat. Er erzählt von den Berührungsängsten, die seine Gemeindemitglieder gegenüber den Suchtkranken hatten. „Wir haben aber versucht, den Kontakt herzustellen“, sagt Kupfer. Begonnen hat das in der Weihnachtszeit 2018, als die Patienten der Klinik gemeinsam mit Gemeindemitgliedern Plätzchen gebacken und eine Singveranstaltung organisiert haben. „Wir haben festgestellt: Die Menschen sind freundlich, herzlich, ein normaler Umgang ist möglich“, erzählt Kupfer. Im Sommer folgte also ein weiteres Fest, bei dem die Freikirchler gemeinsam mit der ebenfalls an der Bendemannstraße ansässigen afrikanischen Gemeinde und den Patienten der Diamorphinklinik auf der Straße feierten.

„Der Austausch war wirklich schön“, erzählt auch Thea Dörnhöfer, die Sozialpädagogin an der Diamorphinklinik ist. In dem dreistöckigen Gebäude können Suchtkranke Heroin bekommen und vor Ort konsumieren – unter strengen Auflagen. „Wir geben nur zu bestimmten Zeiten aus, wer eine Minute zu spät kommt, bekommt nichts“, erklärt Dörnhöfer. Zu den Patienten zählen Obdachlose genauso wie Menschen, die eine Wohnung haben und einem Beruf nachgehen. Die Suchtkranken stehen zu den Ausgabezeiten vor der Klinik an, es werden Wartenummern gezogen. Die Atmosphäre scheint entspannt, viele kennen sich untereinander. Die wenigen Passanten werden gegrüßt, erwidern dies aber meist nicht. Das scheint die Abhängigen nicht zu stören: Sie sind die schrägen Blicke offenbar gewohnt.

Bis zu drei Rationen gibt es pro Tag, der Stoff darf nicht aus dem Gebäude mitgenommen werden. „Heroin selbst hat keine körperlichen Nebenwirkungen“, erklärt Dörnhöfer. Auf der Straße ist die Droge allerdings häufig mit giftigen Zusätzen gestreckt, weitere Gefahr droht durch verunreinigte Spritzen. „Bei uns kann in sicherem Rahmen konsumiert werden“, so die Sozialpädagogin. Anders als im Methadonprogramm, wo ein abgeschwächter Ersatzstoff verabreicht wird, ist eine Entwöhnung nicht das erklärte Ziel der Diamorphinambulanz. „Es geht um die Kontrolle des Konsums und darum, den Suchtkranken den Zugang zu sauberer Substanz zu ermöglichen“, sagt Dörnhöfer. Ihre Patienten müssen mehrere Voraussetzungen erfüllen, unter anderem bereits an einem Entwöhnungsprogramm teilgenommen haben. „Wir haben hier schon die schweren Fälle“, sagt Dörnhöfer.

Knappe 100 Meter von den wartenden Suchtkranken entfernt wird auf offener Straße konsumiert. Ein Mann in Regenjacke und Kapuze hockt vor dem Trafohäuschen auf dem Bürgersteig und bereitet sein Besteck vor. Menschen gehen an ihm vorbei, er blickt nicht auf, sie beachten ihn kaum.

„Suchtkranke sind von der Gesellschaft stigmatisiert“, sagt Claus Lamprecht, Arzt und einer der Inhaber der Diamorphinambulanz an der Bendemannstraße. Er weiß, dass der offene Konsum viele Anwohner stört – und er hat bereits zahlreiche Gespräche geführt, um die Ablehnung seiner Einrichtung gegenüber zu bekämpfen. Er ist dankbar, dass der Vermieter des Hauses Nummer 15 mit deren Ansiedlung einverstanden war, die Lage ist aus seiner Sicht ideal. Denn: „Suchtkranke scheitern oft bereits auf dem Weg zur Hilfe“, erklärt Lamprecht. Dass das Angebot, das Rauschmittel sicher zu bekommen, direkt neben den Stellen sei, an denen auf der Straße konsumiert werde, sei ein Vorteil.

„In Düsseldorf verschwinden zusehends die Rückzugsräume, das bedeutet auch, dass sich der Konsum an bestimmten Stellen konzentriert“, sagt der Mediziner. Entsprechend groß seien die Belastungen für Anwohner. Anders als die Mitglieder der Gemeinden seien sie im Allgemeinen weniger bereit, mit den Suchtkranken in Kontakt zu treten. „Sie sehen den offenen Konsum, der direkt vor ihrer Haustür stattfindet, und unsere Arbeit. Oft wird beides vermischt“, sagt Lamprecht. Aus Gesprächen weiß er: „Fast jeder befürwortet Hilfe für Suchtkranke. Und fast jeder lehnt ab, dass sie vor der eigenen Nase stattfindet.“

Thea Dörnhöfer sagt, man bemühe sich um einen Dialog. So habe die Ambulanz einen Tag der offenen Tür veranstaltet, um über ihre Arbeit zu informieren. Das Interesse war groß – kam allerdings hauptsächlich von Seiten der Freikirche.Diese will sich auch weiterhin um eine gute Nachbarschaft an der Bendemannstraße bemühen. „Die Kooperation lief bisher so gut, da können wir gar nicht aufhören“, sagt Pastor Kupfer.

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