Düsseldorf Der sechsjährige Nick lebt dank einer Herztransplantation

Düsseldorf · Familie Ludwig erzählt über das Warten auf einen Spender und das Leben nach der Operation.

 Endlich wieder zusammen: Mutter Tanja und Vater Frank mit Sohn Nick im Spielzimmer des Sechsjährigen.

Endlich wieder zusammen: Mutter Tanja und Vater Frank mit Sohn Nick im Spielzimmer des Sechsjährigen.

Foto: Bretz, Andreas

Ein Jahr suchen Tanja und ihr Mann Frank nach den richtigen Worten. "Man sagt Danke zu so vielen banalen Dingen wie einem Bonbon. Doch wie kann man sich bei anderen Eltern dafür bedanken, dass sie in der schwersten Stunde ihres Lebens das Herz ihres Kindes spendeten?", fragt Tanja Ludwig-Sobotta.

Der Brief, den sie schließlich der Spenderfamilie schicken, wird dankbar angenommen, sagen die Ärzte. Die Ludwigs selbst werden die Familie des Spenders nie kennenlernen. Das ist bei Organspenden nicht erlaubt. Doch die Ludwigs werden der Familie immer dankbar sein: Ihr verdanken sie es, dass Sohn Nick noch lebt. Heute feiert er seinen sechsten Geburtstag.

Mit Kinderorganspenden hatten sich die Ludwigs lange nicht beschäftigt. "Wer will an den Tod seines Kindes denken und sich mit der Frage beschäftigen, was mit den Organen geschehen soll?", fragt Frank Ludwig. Doch vor etwas über drei Jahren müssen sich die Eltern damit auseinanderzusetzen. Nach einer harmlos wirkenden Bronchitis bekommt Nick — damals zwei Jahre alt — hohes Fieber, dann eine Lungenentzündung. Die Diagnose erschüttert die Familie: Nick hat ein zu großes Herz. Wenn sich kein Spender findet, wird er sterben. "Die Erde hörte auf sich zu drehen", erinnert sich Mutter Tanja an den Moment.

Nick wird in die Gießener Uniklinik verlegt. Mutter Tanja hört auf zu arbeiten. Wenn Nick morgens aufwacht, sitzt sie bereits an seinem Bett. Sie essen, spielen und spazieren gemeinsam. Nach ein paar Monaten ist Nick zu schwach, um zu gehen, muss im Rollstuhl gefahren werden — ein trauriges und erschütterndes Bild für die Eltern.

Zu Hause kümmert sich Vater Frank um die Söhne Timo (12) und Marco (14). Die sehen ihre Mutter nur noch an den Wochenenden: Dann kommt sie heim, und Vater Frank fährt zu Nick in die Klinik. Auch das Ehepaar sieht sich nur beim "Ablösen" in der Klinik.

Die Situation stellt das Familien- und Eheleben der Ludwigs auf eine harte Probe. Tanja Ludwig-Sobotta: "Eines Tages sagte mein Mann, dass wir unseren Nick niemals gesund nach Hause nehmen würden. Ich konnte das nicht verstehen, konnte die Hoffnung nicht aufgeben. Da konnten wir uns an den Wochenenden nur noch die Türklinke in die Hand geben." Auf Nicks Station war auch die Kinderonkologie, sagt Frank Ludwig: "Ich habe so viele Kinder kommen und gehen gesehen. Doch ich habe auch Kinder gesehen, die gestorben sind. Irgendwann gibt man auf."

Fast 12 000 Menschen warten in Deutschland zurzeit auf eine Organtransplantation, darunter viele Kinder. "Doch Kinder als Organspender: Das ist ein Tabuthema, die Zahl der Spender ist deshalb klein", so Tanja Sobotta-Ludwig.

Nick und seine Familie warten zehn Monate auf ein Spenderherz. Am 21. August 2010, um halb fünf morgens, bekommen sie den erlösenden Anruf: Es gibt einen Spender. Fünf Stunden dauert Nicks OP. Erst scheint sie gut zu verlaufen, doch dann muss Nick mit Lungenhochdruck kämpfen, sein Körper will das Organ abstoßen.

Mutter Tanja erinnert sich an diese Stunden in der Klinik, als sie am Krankenbett Nicks Hand hält und hofft, dass er den Kampf gewinnt. Nick ist zu jung, um sich an die OP zu erinnern. Doch wenn er älter ist, sagen die Ärzte, wird er mehr über die Transplantation wissen wollen. Vater Frank hat deswegen ein Fotoalbum für Nick zusammengestellt.

Auch nach der Transplantation kann die Familie nicht ohne Weiteres in ihren Alltag zurück. Alle drei Monate fahren Mutter Tanja und Nick in die Klinik in Gießen. Dann findet Nicks Kontrolluntersuchung statt, wird ihm Blut abgenommen, das EKG gemacht. "Wir holen uns unsere ,TÜV-Plakette' ab", sagt Mutter Tanja. Und ein Leben lang muss Nick Immunsuppressiva nehmen, um zu verhindern, dass sein Körper das fremde Organ abstößt.

Die belastende Zeit geht auch an den Eltern nicht spurlos vorbei. Wenige Monate nach der Transplantation gehen sie zur Reha. "Wir konnten nicht einfach so tun, als ob nichts geschehen sei", sagt Frank Ludwig. Freunde und Bekannte wissen anfangs nicht, wie sie mit dem Schicksal der Ludwigs umgehen sollen: "Einige konnten uns nichts mehr erzählen, weil sie dachten, dass das im Vergleich zu dem, was wir durchgemacht haben, nicht wichtig sei." Auch Mutter Tanja muss einige Reaktionen verarbeiten: "Es gab Menschen, die mich fragten, ob sich mein Sohn wegen des neuen Herzens verändert habe. Die dachten wirklich, dass ich ein fremdes Kind hätte."

Eines Tages wird Nick wieder ein Spenderherz brauchen. Weil sein Körper das Organ abzustoßen versucht, arbeitet sein Herz stets auf Hochtouren, altert dadurch schneller. Die Ludwigs hoffen, dass Nick schon erwachsen ist, wenn es so weit ist: Denn je älter Nick dann ist, um so einfacher wird es, einen Spender zu finden, sagt Vater Frank.

Am 21. August feiern die Ludwigs wieder Nicks Geburtstag. "Das ist sein Herz-Geburtstag, der Tag der Transplantation und seiner Wiedergeburt", sagt Mutter Tanja. Dann zünden die Ludwigs auch eine Kerze für das verstorbene Kind an.

(RP/ila)
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